21. Kapitel

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Mara fühlte sich Maurice noch näher, seit sie von seiner Paranoia wusste.
Er war früh abgehauen, hatte sich ins Fitnessstudio verkrochen. Allein zu sein, tat ihm gut.
Auch Mara hatte sich in Sport geflüchtet und war laufen gegangen. Ihre Playlist regte sie auf. Zu viel FIA, obwohl sie vor einigen Wochen noch jeden innerlich für bescheuert erklärt hätte, der diese Meinung überzeugt vertreten hätte. Sie nahm die Kopfhörer aus den Ohren und legte einen langen Sprint hin, bevor sie austrudelte und begann, sich zu dehnen.
"Schnell unterwegs." Sie sah nach links. Klient saß auf der Lehne der Parkbank, die Füße auf der Sitzfläche abgestellt. Mara stieg der Duft von billigem Kaffee in die Nase.
"Marvin", sagte sie. Sie setzte sich zu ihm in gleicher Manier.
"Kann ich die Sketch sehen, die Philian für unwürdig befunden hat?", fragte sie ein paar Sekunden später.
Klient schlug die Seite seines Notizbuchs auf.
Sein Style war immer eher kubistisch, kantiger, mit harten Schatten- und Lichteffekten. Es war ein arbeitender Zombie abgebildet. Dead Man Working hatte er runtergeschrieben.
"Behalt sie", empfahl Mara.
"Schmeißt du Sketches weg?"
"Nein." Tat sie nicht. Jede einzelne bedeutete für Mara eine Stunde Fokus. Diese Zeit landete nicht einfach so auf dem Müll.
"Wohnst du hier?", fragte sie.
Er zuckte die Achseln, ohne zu antworten. Gemessen daran, wie lange sie ihn jetzt schon kannte, wusste sie kaum etwas über ihn. Sie wusste, dass er Marvin hieß, seinen Nachnamen kannte sie nicht, dass er unter dem Pseudonym Klient sprayte und Walgesänge dazu hörte und dass er Jeanne schon sehr lange kannte.
Sie schwiegen einander an. Bis Mara eine Nachricht von Maurice erhielt, in der er fragte, wo sie war.
"Mein Freund sucht mich", sagte sie.
Klient nickte und nippte gleichgültig an seinem Kaffee.
"Marsea?" Sie drehte sich zu ihm um.
"Es gibt einen Ort ... Oder?"
Mara nickte. "Es gibt immer einen Ort." Dann ging sie ...
Maurice hatte super viel Essen gekauft. Aus einer Laune heraus.
"Ich muss mich umziehen, dann bin ich wieder - Was ist das alles?"
"Salat, Nudeln, Apfelschorle ... Nahrung."
"Ah, ja und damit willst du was anstellen? Leute bewerfen?"
"Nein, das wäre Verschwendung."
"Bist du schwanger?", lachte sie. "Ich werde den ganzen Kram jedenfalls nicht essen, sonst trample ich morgen als Nilpferd ins Hotel."
"Keine Sorge, den Großteil verdrück ich selber. Du kriegst Hunger, wenn du mir dabei zusehen musst."
Sie küsste ihn. "Kommst du mit hoch?", flüsterte sie ihm zu und ließ ihre Hände in seine Hosentaschen gleiten.
"Immer doch."
...
"Du hast noch nie Coq au Vin gekocht?"
Maurice schaufelte sich noch einen Löffel kalter Asianudeln in den Mund.
"Nein", mampfte er.
Mara schaute ihn an, als müsse sie ihn komplett neu in ihr Schema einordnen. Sie kaute auf einem zähen Gummibärchen rum.
"Es war das einzige Gericht, das mein Vater kochen konnte. Ich bin damit aufgewachsen, weil es immer Coq au Vin gab, wenn Mama nicht da war, um zu kochen. Mindestens einmal im Monat und das, seit ich vier Jahre alt war. Deswegen bin ich so kaputt im Kopf, der Alkohol hat meine Hirnzellen nach und nach abgebaut."
Maurice grinste.
"Er hat's mir beigebracht", erzählte Mara weiter. "Wir kochen morgen", beschloss sie. "Und du bist nicht authentisch, falscher Franzose."
"Realness wird überbewertet. Außerdem bin ich's nur zur Hälfte", konterte er.
"Ich hab euch aus meiner Playlist verbannt."
Maurice' Augenbrauen schossen in die Höhe.
"Ich werde auch die Poster von euch abreißen. Was soll ich damit, wenn du sowieso immer hier rumhängst?"
Er stellte seine Nudeln beiseite und begann ihren Körper mit Küssen zu übersähen ...
Sie machte ihre Drohungen wahr und noch am selben Tag waren die Wände des Schlafzimmers kahl.
"Mein Gott, so kann das aber auch nicht bleiben", sagte Mara schockiert.
Maurice kam eine Idee: "Aleks, du weißt schon, die Freundin von Raptoah, ist freiberuflich Künstlerin." Er suchte ihre Bilder bei Google und zeigte ihr einige.
Mara fand sie beeindruckend. "Sie wird doch nie Originale weitergeben", sagte sie misstrauisch.
"Nein, aber sie verkauft Drucke und an ihre Freunde verschenkt sie sie. Besonders, wenn die selbst auf dem Bild zu sehen sind."
"Hat sie 'ne Website?" Mara fuhr ihren Rechner hoch.
Maurice diktierte.
"Wow", hauchte sie. "Da sind total schöne Sachen dabei."
"Welches gefällt dir am besten?" Mara hatte die Sale-Seite aufgerufen, wo alles um dreißig Prozent reduziert war. Sie ahnte worauf er hinauswollte. Vielleicht würde ihn das ja davon abhalten ihr eine teure Harfe zu kaufen.
Sie wählte also aus und Maurice bestellte. Auf seinen Namen. In seine Wohnung. "Damit du's nicht selbst bezahlst und versuchst, mir beim Sparen zu helfen."
Mara schüttelte lächelnd den Kopf. Wie anders er ist, dachte sie.
Maurice schrieb Aleks an:


Maurice D.: Mach mir nichts vor, du hast Mara gemalt nach dieser Party, ich weiß es.
Aleks S.: Hast mich erwischt. :) Einmal dich, einmal sie, einmal euch.
Maurice D.: Ich nehme alle ...
Aleks S.: Im Atelier, morgen, 19 Uhr. Passt das?
Maurice D.: Dankeschön.

Mara blätterte in einem dicken Wälzer über dasHotelwesen.
"Machst du das freiwillig?"
Sie machte eine So-La-La-Geste. "Ab morgen muss ich eine Woche in die Berufsschule.Ist zur Vorbereitung."
"Sind die zwei Tussis auch da?"
Er hatte sie also noch nicht vergessen, seufzte Mara innerlich. Hieß das nicht,dass er sich ernsthaft für ihr Leben interessierte?
"Sie heißen Wilma und Frida."
"Interessiert mich nicht." Anscheinend nicht.
Er umarmte sie, einfach, weil sie aussah als könnte sie eine Umarmungvertragen.
"Können wir nochmal raus?", murmelte sie in sein Shirt. "Unddann zu dir? Hier sind die Wände so leer."
Er küsste sie auf den Scheitel. "Klar ... Schon mal auf dem Kreuzberggewesen?"
"Voll oft, aber da ist ein guter Ort." Sie dachte an Marvin, dieseltsame Begegnung mit ihm, heute Morgen. "Klients Sketch warfantastisch."
"Da, wo das Arschloch gesprüht hat?", fragte Maurice. Er hattePhilians selbstgefälliges Grinsen noch genau vor Augen.
"Sie hieß Dead Man Working",erwähnte Mara.
Ihm gefiel der Name. Manchmal war auch Maurice einer. Ein Dead Man Working.
"Gehen wir los?", fragte er, als er die Stille nicht mehr aushielt.
"Mh", machte Mara. Sie taste seinen Rücken entlang. Es gab immerirgendetwas Neues an ihm zu entdecken. Der Maurice-Effekt, dachtesie ...

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt