Nachwort

40 3 8
                                    

Mara und Maurice zählen zu meinen ältesten Figuren. Als ich mein Spektrum geliebter Bands um eine ganz besondere deutsche Gruppe erweiterte, griffen die ersten Zahnrädchen ineinander und die Charakterentwicklung kam zeitgleich ins Rollen. Ich erinnere mich daran, wie ich Musik hörte, mir Interviews ansah und die Menschen studierte, die hinter all dem steckten. Wie das immer so ist bei mir, folgte direkt die Überlegung, was ich ihnen gegenüberstellen würde. Also begab ich mich in meine Machtposition der Erzählerin, die nach ihrem Gutdünken über ihre Lieblinge – meine Charaktere – walten konnte. Blau wie wir ist meine erste Geschichte, bei der ich das Augenmerk verstärkt auf das Ambiente legte, auf die Stimmung, die im Kapitel rübergebracht werden sollte und ohne mich selbst loben zu wollen finde ich, dass dieses Ambiente durchgehend kohärent ist. Es ist blau, wie der Name der Story es verlangt; in jedem Kapitel eine andere Schattierung, von grellem Blaugrau, bis zu tiefdunklem Lapislazuli, über alle Farben des Meeres hinweg, cyan-, türkisfarben, azurn. Würde der Roman verfilmt werden, müsste ein blauer Farbfilter über allem liegen.

M&M, wie ich sie liebevoll zu nennen pflege, lieben sich bedingungslos und intensiv. Letzteres ist bei allen Paaren, die ich in meiner Fantasie erschaffen habe, der Fall gewesen, aber die Bedingungslosigkeit, habe ich im Nachhinein festgestellt, ist seltener bei mir anzutreffen. Ob Nia und Joko, Tua und Iara, Aleks und Luk oder Sinan und Tess – Sie zweifeln. Mara und Maurice tun das nie. Sie wissen, dass es schwierig ist, sind sich der Herausforderung stets bewusst, aber beide gehen sie sie ein. Ein Zögern, sowas gibt es bei ihnen nicht. Es ist das unbändige Verlangen nacheinander, auch das spiegelt sich in sämtlichen Paaren aus meiner Feder wider, trotzdem ist es mehr als nur das: Sie passen wirklich zusammen. Das ist etwas, das man nicht über jedes meiner Paare sagen kann.

So viel zu dem, was mir an dieser Geschichte gefällt. Ich kann meinen Schreibstil gut leiden, ich mag es fast lieber, wenn ich den personalen Erzähler spiele. Die Distanz hilft mir, ich blicke wie in einer Zuschauerrolle auf mein Leben. Was ich nicht mag, ist die Handlung. Die Entführung ist ein schreckliches Klischee und ich würde heute alles tun, um sie zu umgehen. Damals habe ich mich selbst unter Druck gesetzt, ich habe eigentlich jeden Tag geschrieben. Das kommt dabei raus, wenn einen die Kreativität verlässt und man vergeblich darauf wartet, dass einen die Muse küsst. Die Verknüpfungen sind höchstens in Ansätzen zu erkennen, die Handlung ist kein Geflecht, sie besteht aus Blöcken, die ich stümperhaft nebeneinandergesetzt habe. Was soll ich sagen? - Es stört mich. So sehr ich es auch mag, wie ich schreibe, so sehr missbillige ich, was ich schreibe. Das macht es kitschig und oberflächlich, und es grenzt an einen 08/15-Groschenroman.

Meine Worte sind harsch, das ist mir klar, aber wer schon mehr als ein Buch in seinem Leben gelesen hat, der weiß, dass Blau wie wir nicht die Krone der Schöpfung ist. Ich räufle auf, statt Fäden zusammenlaufen zu lassen und so sehr ich es auch selbst liebe, wenn nicht alles zum Erbrechen logisch ist – Diese Geschichte hat Fehler, allen voran unaufgelöste Handlungsstränge, die ich nicht vernünftig zuendegedacht habe. Nick beispielsweise ist gar nicht allsehend und allwissend, obwohl es in den betreffenden Kapiteln am Ende dem ein oder anderen so erscheinen mag. Es gibt keine Kameras, er spielt nur mit Maras Psyche auf eine perfide Art und Weise und ihr Hirn gaukelt ihr letztendlich etwas vor. Es sind Einbildungen, verstärkt durch ihre Panik und ihre Instabilität.

Und dann wären da aus dieser Kategorie noch die Besuche beim Psychiater. Krankenhäuser haben keine hauseigenen Psychiater, soweit ich inzwischen informiert bin. Aus der Idee lässt sich leicht meine damalige Abneigung gegen jegliche Form der Psychotherapie ablesen. Wenn ihr, die ihr das jetzt lest, mich damals gekannt hättet und meine Einstellungen, hättet ihr gewusst, dass Maras wenige Minuten im Büro von Dr. Alexis Asternas bloß Ausdruck meines zum damaligen Zeitpunkt noch unheilbaren Pessimismus waren. Generell möchte ich das noch einmal adressieren: Wenn ihr mit ähnlichen Problemen wie Mara zu kämpfen habt, und ihr seid nicht allein damit, denn Mara hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, wie ich sie damals und manchmal sogar noch heute habe, zu kämpfen habt, dann sucht euch bitte Hilfe, die euch beibringt, wie ihr euch selbst helfen könnt. Denn darauf läuft es am Ende hinaus. Ihr könnt euch nur selbst helfen.

Wenn ich auf Blau wie wir zurückblicke sehe ich eine schöne Geschichte, aber eine voll von Traurigkeit. Und zwar die Art von Traurigkeit, die sich selbst genug ist und die einen leer zurücklässt. Mara hilft sich nicht selbst und das ist etwas, dass ich nie wieder so schreiben möchte. Ihre Depression ist und bleibt ausweglos, aber das ist nicht das wahre Leben. Mir geht es heute sehr viel besser als damals, ich bin durch eine wirklich schwere Phase gegangen und ich habe den wenigen Rest, der von meinen durch die Bank weg negativen Gefühlen noch übrig war, mit dieser Geschichte verarbeitet. Einige der Kapitel sind sogar nichts weiter als Erinnerungen an Gefühle. Da hatte die innere Leere mich schon überfallen; da war schon alles gleichgültig und grau, das Blau längst ausgewaschen. Zum Glück war ich immer schon gut darin, so zu tun, als wüsste ich über Dinge Bescheid. Und so habe ich damals eben so getan, als wüsste ich, was romantische Liebe, was Intimität ist, wovon ich keine Ahnung hatte; als wüsste ich, was Freude ist, obwohl Freude nur eine dieser verblassten Erinnerungen war, von denen ich gerade schon gesprochen habe ... Das Einzige, was ich wirklich wusste, war, wie sich Schmerz anfühlte, und Verlust.

Ich wünsche euch, dass ihr nie auch nur eine Sache von dem durchmachen müsst, was Mara im Lauf des Buches durchmachen muss, aber die schreckliche Wahrheit ist, dass jeder von uns mindestens eine der Sachen schon erlebt hat, die sie durchsteht. Depressionen, einen geliebten Menschen verlieren, Selbstverletzung, Suizidgedanken und -versuche, unkontrollierbare Wut ... Sonst hättet ihr diese Geschichte gar nicht erst gelesen. Ich werde weiter darüber schreiben, über mentale Probleme, aber in Zukunft weniger für mich und m mehr für euch. Natürlich hat es mir geholfen, mich damals in Blau wie wir auszukotzen. Ich habe meinen Ballast auf dem Papier abgeladen, aber die Geschichte hat heute keinen Mehrwert für mich. Sie ist das Zeugnis eines Teenagers, der eine schlimme Phase durchmacht, und es ist eine schöne Geschichte – Aber mehr ist es nicht.

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt