15. Kapitel

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Circa eine Woche nach ihrem nächtlichen Abstecher in die Philharmonie wollte Maurice Mara seinen Eltern vorstellen.
Sie hatte ihm geantwortet, es wäre nur gerecht, schließlich habe sie ihn bei ihrer Mutter ins kalte Wasser geworfen.
"Maurice!", begrüßte ihn seine Mutter freudestrahlend.
Mara konnte nur daran denken, dass sie auf dieselbe Art schön war wie ihre eigene Mutter. Mit kleinen Lachfältchen um die Augen, den dumpfen Schatten darunter, von durchgearbeiteten Nachtschichten. Maurice hatte ihr gegenüber kurz erwähnt, seine Mutter wäre Krankenschwester in der Charité.
"Maman, das ist Mara", stellte er sie vor. So eingeschüchtert wie jetzt, hatte er seine Freundin selten erlebt.
Seine Mutter lächelte warm und alle Anspannung fiel von Mara ab.
"Wie schön du bist, Liebes", sagte sie und strich ihr sanft mit dem Daumen über die rechte Wange. Auch Maurice wandte diese Geste häufig bei ihr an, fiel ihr auf.
"Danke", sagte sie höflich und errötete.
"Kommt rein", winkte ihre Mutter.
Maurice' Vater saß in einem bequemen Ohrensessel und studierte aufmerksam die Abendzeitung.
Mara dachte an ihren eigenen Vater, der nie eine Zeitung angerührt hatte. Er sagte, es wäre eine Verschwendung von kostbarer Zeit, die er mit seiner Familie verbringen wollte.
"Hallo Paps." Maurice schüttelte seinem alten Herrn grinsend die Hand.
"Das ist sie also", sagte sein Vater und lächelte Mara an.
"Mara, freut mich, Sie kennenzulernen", taute sie auf. Wenn Maurice sich mit ihrer Familie arrangieren konnte, wollte sie auch zu seiner ein gutes Verhältnis haben.
Er wusste wie aufgeregt sie war. Ein klitzekleiner Rachegedanke hatte sich schon in seine Entscheidung eingeschlichen. Sie hatte ihn vor einigen Wochen voll ins offene Messer laufen lassen und irgendwie wollte er es ihr wohl heimzahlen.
Mara fand das im Grunde gar nicht gut. Schließlich hatte sie ihn ihrer Mutter vorgestellt als sie noch nicht zusammen, sondern nur Freunde gewesen waren. Okay, vielleicht nicht einmal das. Als sie ... einander sympathisch waren. Aber meinetwegen, dachte sie, er ist der Mann.
Geschlechterrollen hatten sich einen abstrusen Weg in Maras Leben gebahnt. Über den Geschichtsunterricht. Ihr Lehrer war ein ekelhafter Nazi gewesen und auch wenn Maras Mutter ihr erklärt hatte, dass nichts von dem, was er sagte, wahr war, so blieb doch ein Rest Zweifel in ihrer jüngeren Persönlichkeit, der nie wieder verschwand.
"Und was machst du, Mara?", fragte Maurice' Vater beim Essen. Es gab Fisch, Zanderfilet mit Salzkartoffeln in Weißweinsoße.
"Ich habe gerade die erste Woche meiner Ausbildung hinter mich gebracht", erwiderte sie.
"Als was?"
"Hotelfachfrau."
"Ich habe mir früher in den Sommerferien immer etwas dazuverdient als Zimmermädchen", sagte seine Mutter. Gabrielle hieß sie. "Es war anstrengend, alles penibel zu reinigen, aber sie haben gut gezahlt."
"Anstrengend ist es immer noch, besonders im Waldorf Astoria", nickte Mara.
"Oh, da bist du ja gleich in die oberen Riegen eingestiegen", merkte Maurice' Vater an.
"Ich möchte später stolz auf meinen Beruf sein."
"Wer möchte das nicht?", lächelte Gabrielle.
"Ehrgeiz ist gut", bekannte auch Maurice' Vater, Theo. Natürlich machte es ihn stutzig, dass sie ihre Ausbildung erst diese Woche begonnen hatte, aber vielleicht hatte sie ja davor schon studiert oder ähnliches. Ein so junges Ding traute er seinem Sohn nun wirklich nicht zu.
Maurice hatte ihnen nichts gesagt, aus Angst, sie würden so reagieren wie er selbst und sie damit endlos verunsichern.
"Sie mögen dich", flüsterte er Mara ins Ohr als seine Eltern gemeinsam in der Küche verschwunden waren. Es war wie auf der Party heute. Sie hatte sich unwohl gefühlt, aber im Endeffekt hinterließ sie doch einen netten Eindruck.
Mara seufzte und kuschelte sich auf der Couch an ihren Freund. Er war die ganze Woche bei ihr gewesen oder sie bei ihm.
Es war noch sehr viel unkomplizierter als sie es sich vorgestellt hatte.
Ihr gefiel es, dass sie in unterschiedlichen Wohnungen lebten. So hatte sie sich eine Art Refugium erschaffen, ohne ihn vernachlässigen zu müssen.
Wenn sie da war, verbrachte er jede Sekunde mit ihr; war sie weg, feilte er im Studio an seinen Parts für das neue Album.
Der Gedanke an die Tour bereitete Maurice dennoch Kopf- und Bauchweh. Er hatte ihr versprochen, sie könne auf jeden Fall mitfahren, aber sie hatte ihn sofort durchschaut, wusste, dass er keine Macht darüber hatte. Außerdem, machte sie ihm klar, könne sie nicht gleich am Anfang ihrer Ausbildung Urlaub nehmen. Also käme sie so oder so nicht mit und er solle sich keine Sorgen machen und die anderen Jungs gar nicht erst mit der Frage nach ihr belästigen.
Trotzdem würde sie ihn schrecklich vermissen, das war ihr klar. Daran, dass er sie nach Lust und Laune betrügen könnte, versuchte sie erst gar nicht zu denken. Er hatte gesagt, er liebte sie und sie glaubte ihm.
"So, hier der Kaffee." Theo stellte ein Tablett mit zwei dampfenden Tassen vor ihnen ab.
Nachdem man Maras Verhör am Ende des Abendessens offenbar auf Eis gelegt hatte, stellte sich nun Maurice den Fragen seiner Eltern.
Wie die Musik liefe - Gut.
Wie es Niko, Tarik und Sinan ging - Alle wohl auf. Dass Sinan sich Chlamydien eingefangen hatte, ließ er aus.
Ob er sie denn demnächst nochmal besuchen würde - Mal sehen.
Wie es ihm gesundheitlich ging - Bestens.
Ob er noch Pläne mit Mara hatte - Heiraten, Kinder kriegen, alt werden, gab er bekannt, in bestem ironischem Ton, auch wenn es längst seinen realen Plänen mit ihr entsprach. Man sollte die Pferde nicht scheu machen.
Was er in seiner Freizeit machte - Zeit mit Freunden verbringen, Sport ...
Das ging noch eine Weile so weiter. Geduldig beantwortete er alles, während Mara mit seinen Händen spielte und sich langweilte. Ihm war schon aufgefallen, dass sie sich fast genauso schnell langweilte wie er und daraufhin träumte.
Das kleine Schwarze in Wildlederoptik, das sie für diesen Anlass aus dem Schrank gepickt hatte, war hauteng, umspielte ihre Kurven und rutschte mit voranschreitenden Stunden stetig nach oben. Schmuck hatte sie minimalistisch angelegt. Schlichte Ringe, ein Armband und Ohrringe, alles in Silber. Ihre weizenblonden Haare waren frisch gewaschen, glänzten holographisch und dufteten angenehm nach Shampoo. Was sie wohl drunter hatte?
Mara blickte auf und er wurde rot. Reiß dich zusammen, dachte er. Das Haus seiner Eltern war kein guter Ort um über Sex nachzudenken. Rasch wandte er seine Augen von ihr ab, allerdings ein wenig zu spät. Gabrielle hatte sehr wohl mitbekommen, dass ihr Sohn ihr nicht zuhörte. Sie lächelte wissend: "Na ja, dann; es ist spät geworden, du musst morgen sicher früh raus, nicht, Mara?"
Mara nickte verlegen und schlüpfte zurück in ihre Schuhe, elegante schwarze Pumps mit Spitzeneinsätzen an den Seiten.
"Tut mir leid", sagte Maurice draußen und legte ihr den Trenchcoat über die Schultern.
"Muss es nicht." Sie küsste ihn auf die Wange. "Lass uns schnell nach Hause fahren, bevor ich den Gedanken daran, dass deine Mutter genau weiß, was wir heute Abend noch tun werden, nicht mehr loswerde."

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt