7. Kapitel

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Sie waren nebeneinander eingeschlafen, ohne Annäherungsversuche davor oder danach. Es war nebensächlich. Gegen zehn Uhr stand sie auf, das weckte Maurice.
"Schlaf ruhig weiter", sagte Mara und packte leise ihre Tasche. Für die Prüfung trug sie einen Blazer, eine weiße Bluse und eine schwarze Stoffhose. Ihre Haare waren in einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie sah formell aus. "Du kannst so lange bleiben, wie du willst, aber ich bin erst in vier Stunden wieder zurück." Mara wollte sich noch mit Chloe treffen, die ihre Partnerin sein würde. Sie würden gemeinsam frühstücken und sie war ihrer besten Freundin noch einen ganzen Haufen Informationen schuldig, gerade, was Maurice anbelangte.
"Wenn du mir die Adresse deiner Schule aufschreibst, hol ich dich dort ab", sagte er schlaftrunken.
Mara schnappte sich einen Zettel und notierte die Anschrift. Hoffentlich sagt er das nicht nur so, dachte sie.
"Danke, bis nachher." Er drehte sich wieder auf die Seite und atmete innerhalb einer Sekunde wieder ruhig. Sie hatte schon gestern nicht damit gerechnet, dass er anrief und sich getäuscht. Vielleicht wäre er tatsächlich da später.

Chloe wartete im Café bereits. "Du warst verschwunden und dann bist du nicht mehr an dein Handy gegangen, du Depp. Was war los?"
"Maurice und ich sind zur WG eines Kumpels von ihm gefahren."
Chloes Augen weiteten sich. "Hattet ihr Sex?"
"Ja. Du glaubst doch nicht, dass ich mir das entgehen lasse. Aber halt dich fest: Er hat nach meiner Nummer gefragt und dann noch am selben Tag angerufen. Er hat mir jetzt fast zwei Tage Gesellschaft geleistet." Mara erkannte sich selbst kaum wieder. Maurice machte sie glücklich.
"Du Verrückte und du sagst einfach gar nichts!" Chloe freute sich für sie.
"Ich wollte es dir persönlich erzählen, außerdem: Hast du Magnus endlich in den Wind geschossen?"
Schuldbewusst rührte Chloe in ihrem Kaffee.
"Chloe, du machst den größten Fehler deines Lebens. Wenn er nicht treu sein kann, soll er es dir ins Gesicht sagen, anstatt dir ständig irgendwelche absurden Hoffnungen zu machen. Und seinen verfluchten Heiratsantrag zurückziehen."
"Nach drei Jahren lösen sich Verlobungen so oder so", murmelte Chloe.
"Aber so lange willst du warten oder was? Solltest du je wirklich heiraten, wirst du dem armen Kerl verklickern müssen, dass du schon mal verlobt warst", sagte Mara, möglichst sanft.
"Damit muss er dann wohl leben, Mara. Magnus ist ein Teil von mir und er wird immer einer bleiben!"
Sie machte sich kaputt.
Mara liebte Chloe über alles. Sie hatte sich mit ihr von Anfang an gut verstanden, aber es war nicht an ihr vorbeigegangen, dass sie sich beide veränderten und sich in unterschiedliche Richtungen entwickelten. Chloe wollte Magnus heiraten, koste es, was es wolle. Sie hatte keine Vorstellung davon, was sie in zwei Monaten machen würde, wenn sie ihr Abi in der Tasche hatte, im Gegensatz zu Mara, die direkt ihre Ausbildung antrat.
"Wir müssen los", sagte Chloe nachdem sie eine Ewigkeit geschwiegen hatten.

Maurice wachte in der leeren Wohnung auf. Er streunte durch Maras Zimmer sowie Küche, Bad und Flur, immer darauf bedacht, nichts durcheinander zu bringen. Die Zimmer ihrer kleinen Geschwister mied er, das ging ihn nun wirklich nichts an.
Maras Zimmer war so gut wie abgeschafft. In einer Ecke stand eine Kleiderstange mit verbliebenen Oberteilen und Hosen. Das hölzerne Regalbrett war auf das Bettgestell darunter abgestimmt und ein kleiner Balkon ging zum Innenhof ab. Der bequeme Bürostuhl, auf dem Maurice schon gestern Platz genommen hatte vervollständigte ihren massiven Schreibtisch, der wohl aus dem nächstgelegenen Antiquitätengeschäft stammte. Maurice griff nach dem Zettel mit der Adresse und stopfte ihn in seine Hosentasche.
Die großzügige Küche mit Essbereich war in Rottönen gehalten und er bemerkte den frischen Blumenstrauß auf dem Tisch. Er erinnerte sich wie Mara erzählt hatte, ihre Mutter wäre Floristin.
Im Bad standen vier Zahnbürsten in vier Becher verteilt, die mit Namen beschriftet waren. Die Schrift war krakeliger als seine eigene und da der Zahnputzbecher mit dem Namen Mara fehlte und stattdessen einer mit der Aufschrift Jasi den Waschbeckenrand zierte, vermutete er, dass es sich um Leons Kunsthandwerk handelte.
Im Flur verbrachte er die meiste Zeit, denn hier gab es das meiste spannende Zeug zu entdecken. Am interessantesten stellte sich der Rahmen über dem Schuhregal heraus. Er war mit etlichen Fotos gefüllt. Leon der am Strand eine Sandburg baute, die siebenjährige Edda, die Seifenblasen in die Luft pustete; aber bei diesen Schnappschüssen verweilte er nicht lang. Maurice studierte ein Bild, auf dem ein bärenähnlicher Mann mit freundlichem Gesicht zwei Mädchen im Arm hielt, die achtjährige Mara und die dreijährige Edda. Sein Lächeln strahlte. Er musste ihr Vater sein. Es gab mehrere Bilder, auf denen er zu sehen war. Unteranderem eins, auf dem er mit Maras Mutter eine Hochzeitstorte anschnitt und eins, dass ihn bei Eddas Einschulung zeigte und ein weiteres auf dem er ein Baby, vermutlich Leon, wiegte, während seine beiden Töchter lachend an ihm zogen und um ihn tanzten. Was war bloß mit ihm passiert? War er abgehauen, ohne sich je wieder zu melden? Aber dann gäbe es hier keine Fotos von ihm, dachte Maurice.

"You are best friends, but you both noticed that there were many difficulties over the past few months between you, so one of you will try to convince the other one to end the friendship by telling her about just those difficulties. You'll now get five minutes to collect your ideas for a dialogue", sagte die grauhaarige Prüferin.
Mara und Chloe verließen den Raum und besprachen ihre Strategie, dann wurden sie wieder hineingebeten.
Die Worte gingen ihnen leicht von den Lippen und beide wunderten sich, wie nah die erdachte Situation doch an der Realität war.
"Ihre Noten bekommen Sie nächste Woche mitgeteilt", schickte sie die Prüferin genervt weg. Weder Mara noch Chloe hatten je bei ihr Unterricht gehabt.
"Du warst toll", machte Chloe Mara ein Kompliment. "Manchmal wusste ich nicht, was ich sagen sollte, da hast du mich mit deiner Vorlage gerettet."
"Ich war einfach vorbereitet. Englisch ist mein wichtigstes Fach, wenn ich keine Eins absahne, kann ich meine Ausbildung gleich wieder in die Tonne treten."
"Mach dir mal keine Sorgen, du warst großartig heute."
Maurice lehnte an der Außenwand des Gebäudes, rauchte und behielt den Eingang der Schule im Auge. Mara befand sich in Begleitung des Mädchens, dass mit ihr beim Konzert gewesen war, einer Latina mit zimtfarbenen wilden Locken und dunkel geschminkten Augen.
Mara umarmte ihn stürmisch. Er lachte, hob sie hoch und schwang sie im Kreis, bevor er sie wieder absetzte.
"Hallo", begrüßte er Chloe, die etwas vonwegen, sie wolle nicht stören stotterte und dann im Eiltempo in Richtung U-Bahn abdampfte.
Mara sah ihr traurig nach.
"Ist sie öfter so komisch?", fragte Maurice.
"In letzter Zeit schon", antwortete Mara nachdenklich.

Blau wie wirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt