Die Bässe dröhnten schmerzhaft, dabei waren sie noch fast hundert Meter von Tariks Wohnung entfernt.
Maurice hielt Maras Hand. Hinter ihnen liefen Philian, Marvin, Jeanne, Lilli, Carol und Kurt. Sogar Livo hatte sich ihrer Partypatrouille angeschlossen. In Maurice' Kopf spielten sich die verschiedensten Szenarien des Aufeinandertreffens von Sinan und Jeanne ab. Immer angefangen von Überraschung, mündeten die Vorstellungen in Schock, Wut, Enttäuschung, Trauer, Liebe, Freude, Verzückung ... Die Bandbreite der möglichen Gefühle war gar nicht zu erschöpfen.
Es sollte eine kleine Feier zum Tourauftakt sein, hatte Tarik behauptet. Je mehr, desto besser und so weiter. Schon als sie sofort von Dan empfangen wurden, wusste Maurice, dass man ihn eiskalt angelogen hatte.
"Jo, Maurice!", prostete ihm Miller, wie seine Fans ihn nannten, zu.
Er setzte sein sorgloses Grinsen auf, schob Mara dabei aber sanft hinter sich. Wenn sie sie jetzt entdeckten, dauerte das Verhör den ganzen Abend.
Glücklicherweise war Dan vollkommen dicht.
Mara hatte gelernt, die Partys zu lieben, auf die Maurice sie mitschleppte. Alle Leute waren immer freundlich und zuvorkommend zu ihr gewesen.
Auch heute umarmte Niko sie wieder herzlich. "Wer sind denn die ganzen anderen?", fragte er.
Mara stellte alle der Reihe nach vor.
"Niko", sagte Maurice' Freund lediglich. Reichte schließlich aus.
"Mara!" Aleks grinste sie fröhlich an. Luk war diesmal nicht bei ihr, stattdessen unterhielt sie sich mit Maik aus Essen. Mara nickte ihr höflich zu.
"Ich suche Tarik", sagte Maurice zu ihr, dann verschwand er in der Menge.
Alle anderen, die mitgekommen waren, standen hinter ihr wie verlorene Schäfchen.
"Na los, zerstreut und amüsiert euch", forderte sie sie auf und ging selbst, um kurz Ivo zu begrüßen.
Die einzige, die stehen blieb, war Jeanne. "Wo ist die Raucherecke?", fragte sie Niko. Der deutete auf den Balkon hinter sich.
Draußen traf sie auf Tarik.
"Hey, bist du nicht Jeanne, Maras Freundin aus dem Kollektiv?" Er hatte sie sofort erkannt. Die Lederjacke und ihre dunklen Haare hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt.
"Und mit wem habe ich die Ehre?", fragte sie.
Er hielt ihr sein Feuerzeug entgegen, weil sie eine Kippe herausgeholt hatte.
"Tarik. Bin ein Freund von Maurice."
Besagter suchte währenddessen unermüdlich die ganze Location nach seinem Kumpel ab, ohne fündig zu werden.
Wenigstens ist Sinan auch noch nicht da, dachte er ...
Carol wollte bloß weg von Kurt, aber Livo war direkt abgehauen und im Getümmel der Tanzenden konnte sie sich die Mühe ihn zurückzuholen auch sparen. Philian war ihre Erlösung. Er bot ihr an, gemeinsam etwas zu trinken zu holen. Dankbar nahm sie an. Den eifersüchtigen Blick, den Klient ihr zuwarf, als sie neben Kilian die Küche betrat, nahm sie nicht wahr ...
Mara blieb bei Niko. Sie beobachteten Stean und Lilli.
"Der hat ein Händchen für Frauen", sagte Niko.
"Du doch auch", wandte Mara ein.
"Ach ja?"
"Ich hab 'ne Menge Freundinnen auf Konzerten von euch kennengelernt. Mit einigen von denen hattest du angeblich schon mal persönlich Kontakt. Du bist einfach sympathisch. Zumindest wären die alle mit dir in die Kiste gestiegen."
Er lachte. "Im Gegensatz zu Maurice habe ich viel zu viel Angst vor unseren Fans."
"Angst?"
"Okay, vielleicht nicht Angst, aber ... Respekt. Ich will Distanz halten."
Mara musste daran denken, wie Maurice ihr einfach sein entsperrtes Handy überreicht hatte und lächelte unwillkürlich ...
Tarik hatte sich jetzt lange genug mit Jeanne unterhalten. Er küsste sie einfach. Der Effekt war heftig, denn sie, wiederum, zog ihn direkt ins Bad.
"Du bist also Maras neue beste Freundin", stellte Philian fest.
"Jep", nickte Carol. "Wir teilen dasselbe Schicksal. Meine ehemalige beste Freundin hat sich abgesetzt und Mara und Chloe ... Mann, die sind halt nicht mehr beste Freundinnen. Punkt."
"Hab ich mitbekommen", lachte er.
"Danke nochmal, dass du mich nach dem Jubiläum nach Hause gebracht hast", sagte Carol.
"Das war doch selbstverständlich." Philian setzte ein breites Lächeln auf.
Marvins Miene verfinsterte sich immer weiter.
"Darf ich mal?" Genervt griff er zwischen sie, nach dem teuren Single Malt.
"Dein Ernst, Marv?", stöhnte Kilian genervt auf. Er würde sich hier und heute nicht die Tour vermasseln lassen. Erst recht nicht von einem so zweitklassigen Typen wie Klient.
Marvin schenkte sich in aller Ruhe ein; seine Arme blockierten jegliche Annäherung, die sich Philian in den letzten Minuten Schritt für Schritt erarbeitet hatte. Klient wich keinen Meter zurück.
Lilli konnte Stean gut leiden. Er war charmant und sie wusste, dass er nur auf das Eine aus war. Aber ... Was wäre schon dabei?
Sinan war endlich angekommen. Auch ihn begrüßte Dan an der Tür.
"Ich muss erstmal dringend pissen", entschuldigte sich Sinan. Doch der Anblick, der sich ihm beim Aufreißen der Badezimmertür bot, war verstörend: Da stand sie. Seine Freundin, auf die er seit mehreren Monaten stand. Von einem seiner besten Freunde an die Wand gepresst und schwer atmend.
"Verdammt, hast du nicht abgeschlossen?", keuchte Tarik.
"Sinan", erschreckte sie sich.
Ihr Kumpel jedoch, schlug die Tür sofort wieder zu.
"Sinan", sagte Maurice hinter ihm. "Jeanne ist hier, sie wollte wohl zur Raucherecke." Er klopfte ihm ermutigend auf die Schulter.
"Da ist sie nicht", erwiderte Sinan wie gelähmt. Maurice' dämliches Gesicht zwang ihn nachzuschieben: "Sie ist im Bad und lässt sich gerade ordentlich von Tarik durchficken."
Maurice war eine Sekunde lang so perplex, dass er Sinan nicht aufhalten konnte, als dieser in der Masse verschwand ...
Mara unterhielt sich mit Aleks und beobachtete argwöhnisch Carol und Philian. Die beiden hingen wohl schon den ganzen Abend beieinander und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Carol lachte zum vierten Mal in nur fünf Minuten, da hörte Mara Klient.
"Dummer Wichser", gab er bekannt und rauschte direkt an ihnen vorbei und raus aus der Wohnung.
Was war das denn?, dachte sie.
"Mara, ich hab richtig Mist gebaut", sprach Maurice sie an.
"Wieso?"
"Sinan kennt Jeanne schon länger und steht auf sie, aber er hat sie mit Tarik erwischt", erklärte er. "Ich hab Angst, dass er irgendwelche Dreckssubstanzen mischt."
"Er wird schon -" Ihr Handy unterbrach sie.
"Mama?", fragte sie überrascht.
"Mara! Oh, es ist - Es ist etwas schlimmes passiert - Edda - Du musst herkommen - Wir sind im Krankenhaus, sie hatte einen Anfall - Bitte Mara, bitte, beeil dich - Oh Gott ..."
"Was ist -"
Evelyn schluchzte.
"Mama, in welchem Krankenhaus seid ihr?"
"Charité. Oh, Mara, bitte komm schnell her ..."
"Ich bin gleich da, Mama, versuch in der Zwischenzeit, dich zu beruhigen."
Rasch legte sie auf. "Ich muss zur Charité, es ist irgendwas mit Edda", wandte sich Mara besorgt an Maurice.
"Ich komm mit", unterstützte er sie.
Dann rief seine Freundin ein Taxi.
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Blau wie wir
RomanceMara war anders. Er mochte sie eben. Ihre weizenblonden Haare, wenn sie um sie wogten, ihre haselnussfarbenen Augen, die Stupsnase und ihr Lachen, wie das Klingeln feiner Glöckchen, das der Wind hervorkitzelte ... Maurice war anders. Sie mochte ihn...