Kapitel 17

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An der Bushaltestelle blieb ich stehen. Atmete tief durch.
Ich war so wütend, dass mir fast Tränen in die Augen traten.

Heul.
Jetzt.
Nicht!
Es käme wirklich dämlich rüber...

Also hielt ich sie zurück. Diese blöden Tränen. Ich wollte nicht vor Wut hier rumheulen. Ich wollte jetzt einfach nur in die schule. Einfach etwas normales machen. Mit Maya reden. Im Unterricht sitzen und fast einschlafen. Über Lehrer lästern. Mich über zu viele Hausaufgaben aufregen.

Wäre mir das doch nie passiert mit diesem ganzen Glas!

Meinst du das wirklich?

Nein... eigentlich nicht... J.J. hätte ich ohne dieses Glas nie kennengelernt, aber ...

Wann kommt eigentlich endlich dieser bescheuerte Bus? Ich musste mich ablenken. Nicht weiter über die Sache nachdenken.

"Marie!"

Scheiße ...

Magda war da.
"Wieso bist du ohne mich gegangen?"
"Ich..."
"Und warum ist Mom so wütend?"
"Ich..."
"Und wo ..."
"Magda! "

Sie sah mich mit großen Augen an.
Nie zuvor hatte ich sie angeschrien. Ich war der Meinung, dass sowas einen eh nicht weiter brachte.

Aber in letzter Zeit brach es einfach aus mir heraus. Und irgendwie schien es mir, als könnte ich nichts dagegen tun...
Der Arzt, Mom und Magda waren Opfer meiner Ausbrüche gewesen.

Manchmal gab es Zeiten, in denen ich mich nicht mehr kontrollieren konnte und dann Leuten, die ich gar nicht verletzen wollte, aus meiner Wut heraus weh tat. Sowas wollte ich eigentlich verhindern, doch mit wem konnte ich schon über meine Probleme sprechen?

- Mit niemanden.
Niemand würde mich verstehen oder mir gar sogar glauben...
Ich meine , Hallo?
Wer will den bitteschön etwas über durch Glas springen hören?

Jeder würde denken, ich sei reif für die Klapse.
Nein... ich konnte mit niemandem reden.
Und so fraß es sich in mich hinein.
Ich war eine tickende Zeitbombe und irgendwann explodierte ich....

"Marie?"
"Hm? Was ist denn?"

Magda seufzte. Sie würde mich wahrscheinlich jetzt schon einliefern...

"Du wolltest, dass ich aufhöre zu reden, also möchtest du höchstwahrscheinlich etwas sagen?", sagte sie.
"Mom und ich haben Stress", meinte ich nur,"und das wahrscheinlich nicht nur für kurz"

Jetzt sah sie mich wieder mit großen Augen an.
"Ach, hör doch einfach auf zu nerven, Magda"

Kaum hatte ich das ausgesprochen, bog auch schon der Bus um die ecke und ich dankte Gott dafür.

*************************

Die Schule war gar nicht so schlimm gewesen...
Ja gut. Okay, es war schlimm:

Magda hatte mich schon im Bus die ganze Zeit über angestarrt.

Und dann kam mir, kaum als ich die schule betreten hatte, eine gut gelaunte Maya entgegengelaufen und schmiss sich mir in die Arme.

Ich weiß nicht warum, aber bei körperlichen Kontakt war mir immer ein bisschen unwohl.

Allerdings wollte ich auch nicht unhöflich sein und tätschelte ihr deshalb ein wenig unbeholfen den Rücken bis sie sich wieder von mir löste.

Und dann kam es.
Sie sah mich an.
Neigte kurz den Kopf zur Seite.
Formte die Augen leicht zu Schlitzen und sagte:" Irgendwas stimmt nicht. "

Ich seufzte, lächelte sie gezwungen an und meinte:" Nein, es ist alles okay"
Damit musste sie sich wohl zufrieden geben, aber ihr forschender Blick verschwand nie.

Wie gerne hätte ich ihr alles erzählt.
Maya war eine vertrauenswürdige Person und würde mich bestimmt nicht verurteilen.
Aber das Risiko war einfach zu hoch, dass sie mich für eine Irre hielt.
Wessen Tagträume wurden denn schon mal wahr?

Als wir in die Pause gingen, ich meine Thermosflasche fest unter den Arm geklemmt, Maya fröhlich prappelnd, liefen uns unsere alten Freunde entgegen.

Irgendetwas hatte sich an ihnen verändert. Mir fiel nur nicht ein, was.
Doch als ich es schließlich erkannte, saß der Schock trotz allem tief. Sogar Maya hatte aufgehört zu reden.

Ich wollte mir einreden, dass es noch Hoffnung gäbe. Wir irgendwann wieder Freunde würden.
Aber als ich sie heute gesehen hatte, hatte mein Hoffnungs-Baum fast alle Blätter geworfen.

Ihre Augen blickten uns kalt und belustigt entgegen. Spotteten über uns.
Maya und mich.
Wir, die die Gruppe ohne richtige Gründe verlassen hatten.

Jetzt sah ich alles scharf.
Sie würden uns nicht verzeihen.
Würden uns nicht mehr aufnehmen.
Wir waren keine Freunde mehr.
Waren es wahrscheinlich nie gewesen.

Alles gelogen.
Hilflos sah ich zu Klara. Sie war meine beste Freundin gewesen. Seit Kindergarten.
Ich hatte ihr immer alles erzählt. Sie kannte mich wirklich.

Doch sie sah mich genauso kalt, wenn nicht sogar noch kälter, wie die anderen an.
Auch Provokation lag in ihren Blick:
Du hast es ja nicht anders gewollt.
Hast selbst gewählt...

Und trotzdem tat es weh. Verdammt weh. Ich dachte immer es würde wieder alles okay werden, doch dafür war es jetzt zu spät.

Tränen brannten in meinen Augen und ich wollte am liebsten schreien.
Ich hatte meine beste Freundin verloren. Ein Teil meines Lebens. Meines Herzens.

Eine Hand legte sich sachte auf meinen Rücken und schob mich weiter. Half mir, mich von ihrem Anblick zu lösen. Die Freunde, die meine Familie waren. Die, die sich zwar manchmal über mich lustig gemacht haben, mir aber trotzdem zugehört hatten, wenn Mom es nicht tat.
Mayas Hand schob mich.

Maya . Maya . Maya . Maya .

Sie war die letzte die mir noch blieb und ich betete zu Gott, dass sie mir erhalten bliebe.

"Komm. Beachte sie gar nicht. Sie verstehen es nicht. Können nicht. Wollen nicht."
Ich nickte ergeben und ließ mich von ihr zu einer Bank führen, auf der ich mich niederließ.
Und als wäre ein Damm eingebrochen, flossen die Tränen nun unaufhaltsam über mein Gesicht.

Ich hatte sie verloren.
Sie würden nie wieder kommen.
Meine Welt brach zusammen.

Und Maya nahm mich in den Arm.
Sie war die letzte, die mir blieb.
Und eigentlich wollte ich nicht mehr weinen. Ich wollte Maya damit nicht verletzen. Sie hatte sie auch verloren.
Wegen mir. Für mich.

Doch immer wenn ich versuchte aufzuhören, sagte sie mir, ich solle mich jetzt verdammt nochmal ausheulen, weil es mir nur dann besser ginge.
"Das Schlimmste ist, dass ich sie erkenne, aber ich kenne die Personen nicht mehr...", schluchzte ich dann noch zusammen und Maya antwortete, dass es ihr genauso ergehe.

Danach hatten wir Englisch.
Wie ich dieses fach hasste.
Und dann schrieben wir einen Test.
Wie ich diesen Lehrer hasste.

Zusammengefasst:
•Meine Freunde würden nie wieder mit mir reden.
•ich hatte deshalb die ganze Pause geheult
• hatte dann ENGLISCH gehabt und schrieb dort einen Test auf den ich mit 100% eine 6 bekam.
Ach ja, einen Eintrag wegen Vergessens der Hausaufgaben kassierte ich auch noch

Und am Ende der 6. Stunde, platzte unsere Sportlehrerin herein und verkündete, dass Wir ab jetzt in Sport schwimmen gehen würden.

Leben Hinter GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt