Lucinda sass in einem Café und versteckte sich hinter der Karte. Normalerweise war ja sie diejenige, die als Kellnerin arbeitete und servieren musste, aber diesmal überliess sie den Job den anderen. Jetzt, da sie auch schon hinter die Kulissen geblickt hatte, analysierte sie spasseshalber die Kellner. Der eine Junge war noch etwas unsicher und ging ständig in die Küche zurück - höchstwahrscheinlich war er neu.
Zwar war Lucinda zum Beobachten in das Café gekommen, doch der junge Kellner gehörte nicht zu ihrem Zielobjekt. Schlechte Angewohnheiten wie Spionieren lassen sich nun mal schlecht abgewöhnen, merkte sie. Sie liess den Blick über die Gäste schweifen. Das Café war gut besucht, was einerseits gut und andererseits schlecht war.
Lucinda fiel nicht auf in dem Café und sie konnte ungehindert auf ihrem Stuhl herumrutschten, aber der Serienmörder konnte sich ebenso wie sie hinter den anderen Gästen verstecken.
Manche Leute waren zu zweit unterwegs oder in Gruppen. Zum Beispiel an dem Tisch am Eingang des Cafés sassen ein Junge und ein junges Mädchen, sich angeregt unterhaltend. Und dann gab es Leute, die alleine kommen, wie Lucinda, die an ihrem Laptop lernte und nebenan ein Buch liegen hatte über das Rechtssystem.
Natürlich las sie weder das Rechtssystem noch schrieb sie einen Aufsatz. Sondern sie bekam nun eine Mail von dem Jungen beim Eingang.
„Er kommt. Schwarze Jacke", las Lucinda schnell die Nachricht und schaute dann kurz zu dem jungen Mädchen. Mit einem Zwinkern gab sie Lizzie zu verstehen, dass sie Matts Nachricht erhalten hatte. Super, jetzt wurde es aufregend.
Dass Lizzie und Matthew in dem Café waren, war nicht weiter verwunderlich für den Mörder. Schliesslich hatten die beiden ihn schon einmal in dem Café entdeckt und es lag nah an ihrem Wohnblock. Bloss wäre es ungünstig gewesen, wenn auch Lucinda bei ihnen gesessen hätte, denn dann hätte sich der Mörder zu hundert Prozent ihr Gesicht eingeprägt. So aber sah er bloss seine Nachbarn und einen Haufen andere Gäste.
Just in dem Moment, in dem Lucinda ihr Rechtsbuch an einer beliebigen Seite aufschlug und ein Dokument auf dem Laptop öffnete, damit man die geöffnete Kamera im Hintergrund nicht sah, betrat der Mörder das Café. Er trug tatsächlich eine Lederjacke. Dazu Jeans und ein normales T-Shirt, wahrscheinlich das Erste, was er am Morgen aus dem Schrank gefischt hatte. Lucinda verfolgte seine Schritte durch das Café hinter einem Vorhang aus ihren blonden Haaren. Da sie das Zehnfingersystem beherrschte, konnte sie schnell in einem Fenster in ihrem Laptop Matt eine Mail schreiben. „Ich übernehme ihn 5 Minuten. K läuft."
Sie schickte ab und wartete, bis sie eine Bewegung aus der Ecke von Lizzie und Matthew wahrnahm. Sie haben es gelesen. Schnell fuhr ihr Blick zum Serienmörder zurück, der sich an einen Tisch in der Mitte gesetzt hatte und nun die Karte begutachtete. Menschen merkten, wenn andere sie beobachtete. Aus diesem Grund wollte Lucinda nicht, dass alle drei Augenpaare gleichzeitig auf dem Mörder lagen, denn dann würde er sie mit Sicherheit entdecken. Stattdessen würde sie ihn die nächsten fünf Minuten bis ins Detail mustern. Jetzt merkte sie, dass er eine Tasche dabei hatte. Was da wohl drin war? Hastig prägte sie sich die Grösse ein. Dann rückte sie den Laptop so, dass die Kamera ihn aufnahm, dann stellte sie ihr Buch hochkant auf und tat so, als würde sie lesen. Aber ihr Blick fuhr nicht auf der Seite von links nach rechts, sondern von dem Tisch des Mörders zu ihm und zurück. Er schaute die Karte lange an und sah sich im Raum um. Als der Kellner kam - es war der junge - sah er ihm kurz in die Augen und bestellte etwas einfaches, aber er wirkte beschäftigt. Dann wartete er auf etwas. Man könnte meinen, es sei die Bestellung, auf die er wartete, aber Lucinda vermutete, dass es jemand oder etwas anderes war. Kurz schaute Lucinda wieder auf die Uhr und sah, dass ihr noch eine Minute blieb bis zum Wechsel. Jetzt beobachtete sie, wie der Blick des Mörders kurz, nur für eine Millisekunde, in einem Ecken links von Lucinda hängenblieb. Er schaute gleich wieder weg, aber Lucindas geübtes Auge sah, dass er dort etwas entdeckt hatte.
DU LIEST GERADE
Engelsschwingen - Ausgestossen
ParanormalLucinda hat Flügel, aber sie ist kein Engel. Vielmehr hat sie die Aufgabe, Menschen aus ihrem Leidwesen zu erlösen - die Seele des Menschen entscheidet, ob sie leben oder sterben werden. In der Akademie der Erlöser werden neben ihr noch massenhaf...