„Du hast Recht", stimmte Lucinda ihr zu und nahm es vom Haken. „Ich werde es anprobieren." Kurz schaute sie sich um. „Aber lass uns zuerst noch etwas weiteschauen."
Damit sie nicht hundertmal in die Kabine gehen mussten, suchten sie noch weitere potenzielle Kleider. Für Lizzie hatten sie zwei gefunden, die etwa in ihrem Stil und ihrer Grösse waren und auch Lucinda nahm noch zwei weitere mit, eines blau und eines rot.
Die beiden Mädchen quetschten sich in eine Kabine, obwohl aussen stand, dass man alleine reinsollte. Aber Lucinda konnte nicht verstehen, was diese Anweisung bringen sollte und so konnten sie einander beraten, ohne erst aus der Kabine treten zu müssen und sich gegebenenfalls in einem hässlichen Kleid allen zu entblössen.
Also begannen sie, die Kleider anzuziehen und auf Lizzies Bitte hin begann Lucinda mit dem Schwarzen. Lizzie half ihr, hinten den Reissverschluss zu schliessen und ihre Flügel zu richten und dann drehte sich Lucinda zum Spiegel. Sie erschrak ein wenig. Das Kleid war seltsam geschnitten und plusterte sich um die Hüfte herum auf. Lizzie hinter ihr kicherte ein wenig.
„Das sieht schrecklich aus", lachte nun auch Lucinda und schüttelte sich. „Bitte mach es wieder auf."
Belustigt befolgte Lizzie ihre Anweisung. „Das geht wirklich nicht", bemerkte sie. „Ich hab ja eine schlimme Intuition."
„Naja, mal schauen, wie die anderen sind", erwiderte Lucinda lachend und schlüpfte schnell aus dem Kleid. „Und jetzt zieh dich mal an."
Lizzie war immer noch in Unterwäsche und schnappte sich jetzt ihr eines Kleid, während auch Lucinda in das nächste stieg.
Lizzies erstes Kleid war zwar elegant und es passte ihr von der Grösse her, aber Lucinda war nicht begeistert. Lizzie war wunderschön und sie konnte viel mehr aus sich machen und somit zog die Kleine es wieder aus.
Beim blauen Kleid von Lucinda verhielt es sich ähnlich. Es passte diesmal, aber es sah ordinär aus und lag nicht optimal.
„Matthew gefällt rot sowieso besser", bemerkte Lizzie, als sie aus ihrem Kleid schlüpfte.
Lucinda erstarrte kaum merklich. „Wie bitte?" Wie kam Lizzie jetzt auf das Thema?
„Matt gefällt rot besser als blau", wiederholte Lizzie gelassen und schnappte sich ihr türkises Kleid. „Und er findet übrigens auch Frisuren schön."
Lucinda gab sich Mühe, sie nicht entsetzt anzustarren. Wieso sprach sie so, als würde es Lucinda interessieren, was Matthew gefällt und was ihm nicht gefällt? „Wieso meinst du?", fragte sie also nach. „Ich kaufe es ja nicht für Matthew."
Lizzie grinste, während sie ihr Kleid zurechtzupfte. Sie warf einen Blick auf Lucinda, die nur noch Unterwäsche anhatte, und sagte: „Ach, bist du ganz sicher?"
Lucinda drehte sich schnell zu ihrem roten Kleid um und hielt es vor sich, da sie spürte, dass ihre Wangen etwas so rot wurden wie der Stoff. „Ähm, ja, Kleine", stammelte sie. „Dein Bruder mag mich nicht." Und sie selbst wusste nicht, was sie fühlte. Aber dieses Kleid kaufte sie nur, weil sie an das Fest musste, nichts weiter.
„Wer sagt das?", fragte Lizzie ehrlich erstaunt.
Lucinda runzelte die Stirn. „Das sieht man. Komm schon, lass das, Kleine." Sie konnte es nicht brauchen, dass Lizzie sie noch mehr verwirrte.
„Nein, Luce", beharrte sie, auf einmal stur. „Er mag dich. Ich meine, er findet dich nett. Und er spricht von dir."
Lucinda schüttelte verwirrt den Kopf. „Von was redest du? Wenn er immer so ist zu Leuten, die er mag, dann hat er wohl nicht viele..." Sie brach schnell ab. Was sie beinahe gesagt hätte, war nicht nett und egal wie Matthew war, er war ihr Bruder. Und Lucinda wollte ihn nicht vor ihr beleidigen.
Lizzie seufzte. „Ja, ich weiss, er benimmt sich seit eurem Kuss komisch. Aber glaub mir, er ist einfach verwirrt. Ihr wärt süss zusammen."
Jetzt lachte Lucinda laut und alle Hoffnung und Verwirrung, die sich bei Lizzies Worten ihr geregt hatte, verpuffte. Lizzie war immer noch ein elfjähriges Mädchen, das durfte sie nicht vergessen. Und sie mochte Lucinda. Wahrscheinlich wünschte sie sich irgendwie, dass ihr Bruder und ihre Freundin zusammenkamen, weil das eine gute und einfache Lösung wäre. So wären beide „glücklich" in ihren Augen. Aber dem war in Wahrheit nicht so. Liebe war nicht so einfach. „Kleine, vielleicht ist er ja verwirrt, aber er wird mich nie mögen." Sie runzelte die Stirn, als sie merkte, nach was das tönte.
„Aber du würdest es wollen?", fragte Lizzie unschuldig nach.
Lucinda schüttelte schnell den Kopf und zog das rote Kleid über. „Nein, wir passen nicht zusammen", sagte sie, mehr zu sich selbst als zu Lizzie. Es war echt komisch. Zum Teil war er nett, höflich und sogar lustig. Aber häufiger verhielt Matt sich distanziert und ruhig und das irritierte Lucinda. Lizzie gegenüber jedoch war Matt immer sehr herzlich, liebevoll und gar väterlich. Er schien sich viel um sie zu kümmern und man merkte, wie sehr sie sich liebten.
„Hm", machte Lizzie und schaute kurz etwas traurig in den Spiegel. „Du solltest mit ihm reden, finde ich."
Lucinda warf ihr einen Blick zu. Wie viel wusste sie? „Und was sagen?"
Lizzie zuckte mit den Schultern. „Ich weiss nicht. Was ihr halt so besprechen wollt."
Fast schon mitleidig legte Lucinda ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich verspreche dir, dass ich nicht mit ihm streiten möchte."
Die Kleine sah auf und hob einen Mundwinkel. „Schon okay", lachte sie jetzt. „Ihr streitet doch gar nicht wirklich."
Lucinda holte tief Luft. Langsam ging das Gespräch zu weit und auf der Suche nach einer Ablenkung schaute sie an Lizzie hinab. Staunend stiess sie ein „Wow!" heraus. „Lizzie, das Kleid steht dir super!"
Das Türkis liess ihren leicht gebräunten Teint zur Geltung kommen und stand in einem schönen Kontrast mit ihren dunklen Augen und Haaren. Das Kleid war super für ihr Alter. Es war lang und glänzte im Licht und der Stoff war verspielt, nicht sexy. Zwar betonte es ihre Weiblichkeit, aber in einem angemessenen Mass und Lucinda warf baff, wie gut Lizzie darin aussah. „Du wirst mal Herzen brechen", sagte sie und starrte ihre Freundin weiterhin an.
Lizzie lachte verlegen und schaute sich im Spiegel an. „Kann ich es haben?", fragte sie mit einem Augenaufschlag.
Lucinda nickte heftig, ohne das Preisschild anzuschauen. Dieses Kleid musste in Lizzies Schrank, und wenn es die Welt kostete. „Natürlich! Das ist traumhaft, Lizzie!"
Lizzie grinste nur und schaute dann Lucinda an. „Dreh dich mal um, dann mach ich dein Kleid zu", bat sie. „Das sieht bestimmt super aus."
Lucinda spürte Lizzies kleine Hände, wie sie den Reissverschluss schloss und sachte bewegte sie ihre Flügel, um zu schauen, ob sie sie in dem Kleid bewegen konnte. Es funktionierte problemlos. Dann schaute sie sich im Spiegel an und sie hielt mitten in der Bewegung an. Denn wie zuvor bei Lizzie war dieses Kleid wunderschön. Es war ein Traum in Rot, superelegant, aber gleichzeitig figurbetont. Ihre blonden Haare fielen über den Stoff und unterstrichen das satte Rot. Das Kleid war ebenfalls lang und am Saum hatte es Spitzen. Es war eng und ab der Hüfte etwas flatterig, sodass es sich leicht drehen würde, wenn sie tanzen würde. Der Ausschnitt war zwar spitz, aber dennoch adäquat. Der Laden hier war ja wohl super! „Das Kleid ist aber auch schön", bemerkte Lucinda leise. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie in einem Kleid so gut aussehen konnte.
„Du bist hübsch", meinte Lizzie von hinten und lächelte. „Aber in dem Kleid siehst du echt super aus."
Lucinda lächelte verlegen und drehte sich zu ihrer Freundin um. „Ich denke, wir haben unsere Kleider, oder?" Ganz kurz dachte sie daran, wie Lizzie gesagt hatte, dass Matthew rot und Frisuren gefielen, aber schnell verdrängte sie den Gedanken. Ausserdem gefiel den meisten Männern rot und Nacken galten als anziehend. Das war also nichts Besonderes!
Lizzie nickte fröhlich, sie merkte zum Glück nichts von Lucindas Gedanken. „Wir müssen nur noch zu zweit hier rauskommen, ohne dass eine Verkäuferin mit uns schimpft, weil wir gegen die Regeln verstossen."
***
Was haltet ihr von Lizzie als Liebesberaterin? ^^ und was denkt ihr, wie das enden wird?
Nervt es euch auch so, dass man nie zu zweit in Kabinen darf?
![](https://img.wattpad.com/cover/67392941-288-k215826.jpg)
DU LIEST GERADE
Engelsschwingen - Ausgestossen
МистикаLucinda hat Flügel, aber sie ist kein Engel. Vielmehr hat sie die Aufgabe, Menschen aus ihrem Leidwesen zu erlösen - die Seele des Menschen entscheidet, ob sie leben oder sterben werden. In der Akademie der Erlöser werden neben ihr noch massenhaf...