Kapitel 39

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Lucinda sah zu ihm auf, auf einmal wurde ihr ein wenig wärmer. Doch sie traute sich nicht, jetzt etwas zu sagen. Zu sehr befürchtete sie, dass Matt gerade im Begriff war, etwas Nettes zu äussern und sie dies unterbrechen würde.

„Anscheinend denkst du das", fuhr er fort und jetzt sah auch er sie an. Als ihre Blicke sich trafen, wurde seiner intensiver, fast so wie unmittelbar nach dem Kuss.

Lucinda nickte kaum merklich, nur ein winziges Zucken mit ihren Nackenmuskeln.

„I-ich..." er hielt inne. „Du meinst deine Frage ernst, oder? Du willst ein ehrliche Antwort?" Fragend zog er die Augenbrauen zusammen.

Lucinda lächelte ihn an. „Ich kann sowieso nicht lügen", meinte sie. Wollte Matthew ihr gerade wirklich und aufrichtig erklären, wieso er sich so verhielt, wie er sich verhielt? Ohne auszuweichen? Ohne zu lügen? Sie umarmte sich fester, damit sie nicht zu zittern begann, und wartete dann ab, bis Matthew zu sprechen begann, die Stimme sanfter als sonst und etwas heiser.

„Ich weiss einfach nie, was du meinst", gab er zu und Lucinda rechnete es ihm hoch an, dass er den Blickkontakt beibehielt. „Ich kenne nicht viele Mädchen wie du. Einerseits scheinst du mich ständig zu veräppeln, aber andererseits scheinst du mich auch... als Kumpel zu sehen." Er machte eine Pause. Lucinda hielt den Atem an, nicht wissend, ob das ein Kompliment war oder nicht. „Ausserdem bist du eine gute Freundin von Lizzie. Und alles, was ich mir wünsche, ist, dass sie in Sicherheit ist. Und ich weiss einfach nicht, wie ich dich da einbeziehen soll." Langsam hatte Lucinda das Gefühl, dass er mehr zu sich sprach als zu ihr, aber sein tiefer Blick in ihre Augen sagte etwas anderes. „Deshalb halte ich einfach Abstand. Das ist am einfachsten."

Lucinda atmete die angehaltene Luft aus. An seinem Ton erkannte sie, dass er geendet hatte. Aber seine Erklärung schwirrte ihr im Kopf umher. Anscheinend war er von ihr verwirrt und wusste nicht, wie er sie einordnen sollte. Und anstatt dass er, wie es Lucinda getan hätte, sie näher kennenlernte, ging er also von Anfang an auf Distanz. Okay, das war eine plausible Antwort, auch wenn Lucinda diese Strategie nicht teilte. Zwar konnte sie sich seine Reaktion nach dem Kuss immer noch nicht erklären, aber erstens waren sie nicht in einem Verhör und zweitens hatte sie mehr erhalten, als sie sich erhofft hätte. Und Matthew selbst hatte ja nicht eine einzige Frage beantwortet bekommen.

Sie nickte mit einem Lächeln auf den Lippen. „Danke für die Antwort", sagte sie ehrlich. „Ich wusste nicht, dass ich so... wirken kann." Tatsächlich tat es ihr ein wenig leid, dass sie ihn anscheinend so verwirrte mit ihrem Verhalten. Etwa so, wie er es bei ihr tat. „Du kannst auch ganz schön... ähm." Sie brach abrupt ab. Es war nicht fair, ihn jetzt zu beleidigen.

„Ja, ich denke, du meinst... irritierend sein?", schlug er vor und hob einen Mundwinkel.

Lucinda nickte lachend. „Ja", gab sie zu. „Wie du ja mittlerweile weisst, dachte ich, du willst mich bloss loswerden." Warum auch immer, auf einmal begann sie, sich ihm zu öffnen. Sie vergass für eine kurze Zeit, dass sie fror, dass es dunkel war und dass oben dran ein Mörder war. Sie redete bloss gerade mit Matthew. Und das war alles. „Ich denke, du kannst mich als mehr als nur..." Errötend suchte sie die richtigen Worte. „Als nur eine Arbeitskollegin ansehen", ging sie nun auf seine Aussage von vorhin ein.

Matthew schaute sie einige Sekunden lang an, ohne etwas zu sagen. Dann schenkte er ihr ein Lächeln und nickte. „Okay", sagte er sanft. Er liess den Blick über sie gleiten und seine Augen weiteten sich leicht. Gerade wollte Lucinda eine belustigte Bemerkung abgeben, als er fragte: „Oh Luce, hast du kalt?" Er wirkte überrascht und... besorgt.

Lucinda schoss Röte ins Gesicht. „Ja...", meinte sie zögernd und schaute zu, wie Matthew sofort zu seinem Pullover griff, der neben ihm lag, und ihn ihr reichte.

„Hier", sagte er und lächelte sie süss an, sodass ihr alleine dadurch wärmer wurde. „Tut mir leid, hätte ich dir schon früher anbieten sollen."

Lucinda lachte und nahm ihn dankbar an. „Vielen Dank", sagte sie und schmunzelte dann. „Weisst du, es gibt keine Regeln, wann ein Junge einem Mädchen einen Pullover anbieten soll." Mit Absicht betonte sie die Zweideutigkeit in ihrer Stimme und schlüpfte währendem in den Pullover. Er roch nach ihm und augenblicklich wurde ihr warm. Der Pullover war natürlich viel zu gross, aber er war bequem und kuschelig. Glücklich sank Lucinda tiefer in den Stoff hinein und sah zu Matthew, der sie schmunzelnd beobachtete. „Der Pullover ist super", bemerkte sie. Er lachte leise, sagte aber nichts weiter.

Sondern für eine Weile schauten beide in den Nachthimmel und betrachteten die Sterne, die funkelten und ihnen zuzuwinken schienen. Der Mond war mittlerweile aufgegangen und leuchtete matt auf sie hinab. Und in der Dunkelheit hörte man hier und da Tiere, die miteinander kommunizierten.

„Bist du in letzter Zeit wieder angegriffen worden, Lucinda?", fragte Matthew unvermittelt in die angenehme Stille hinein. Er schaute nicht mehr in den Himmel.

Lucinda sah beim Klang ihres Namens zu ihm. „Von diesen seltsamen Leuten auf der Strasse?", fragte sie nach. Wenn er tatsächlich das meinte... war er ja erstaunlich fürsorglich und aufmerksam.

Matthew nickte. „Du hast ja mal von Angriffen erzählt gehabt. Und kürzlich war ich ja auch dabei gewesen." Er schaute zu ihr.

„Ja, du hast mir geholfen", sagte Lucinda nickend, auf einmal gerührt von seiner Frage. „Aber nein, seither wurde ich nicht mehr angegriffen." Darüber war sie echt froh. Erstens, weil ihre Schulter zwei Tage gebraucht hatte, um wieder voll funktionsfähig zu sein, und zweitens, weil sie echt die Nase voll hatte von diesen heimtückischen Hinterhalten.

„Gut", sagte auch Matthew. Auf einmal fand es Lucinda süss, wie er anscheinend etwas sagen wollte, aber beim besten nicht zu wissen schien, was er hinzufügen sollte.

„Ich darf sie aber nicht vergessen", sagte sie deshalb. „Die Angriffe müssen eine Bedeutung haben."

Matthew nickte wieder. „Ja", stimme er zu. „Sie verfolgen irgendein Ziel, von dem wir nichts wissen." Er verengte die Augen. „Und ich mag den Gedanken nicht, dass das ständig passieren könnte."

Lucinda rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. So viel Fürsorge war sie sich nicht gewohnt. „Ich hoffe, sie beschränken die Angriffe auf mich", meinte sie, den Gedanken bei Lizzie.

Matthew warf einen Blick in die Wohnung. Die Zimmertüre von Lizzie war zu, vorhin hatte sie noch etwas von Pyjama gesagt gehabt – wahrscheinlich schlief die Kleine bereits. Matt wandte sich wieder Lucinda zu und er hob einen Mundwinkel. „Ich hoffe, die Angriffe werden ganz verschwinden", korrigierte er ihre Aussage. „Weder Lizzie, noch ich oder du sollten bedroht sein."

Lucinda wurde ganz warm, noch wärmer, als der Pullover es sowieso war. Ob Matt es bewusst getan hatte oder nicht – die Aussage war extrem süss gewesen. Erst recht, wenn es keine Absicht gewesen war, dachte sich Lucinda und ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. Matt sorgte sich um sie. Er hasste sie nicht. Das war alles, was sie sich wünschen konnte.

***

Uuund? Wie fandet ihr die Szene?
Meinungen zu dem Gespräch?
Was denkt ihr, wie es mit ihnen weitergeht?

Engelsschwingen - AusgestossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt