Lucinda trat nach einem stressigen Morgen aus dem Café, wieder in normalen Kleidern. Es war schönes Wetter und es hatte viel Kundschaft gehabt, Lucinda war kaum eine Minute zum Ruhen gehabt und war auch etwas spät dran. Also breitete sie ihre Flügel aus und hob ab. Kaum war sie in der Luft, begann sie zu fliegen und flog in Luftlinie zu dem Waffengeschäft, in dessen Nähe sie sich mit Matthew traf. In der Luft war sie schneller und wurde nicht vom Verkehr verhindert, bloss zwei Mal kreuzte sie andere Sotíras und wich denen schnell aus. Eine Seitenstrasse von der Strasse mit dem Waffenladen entfernt landete Lucinda auf dem Boden und stellte mit einem Blick auf die Uhr überrascht fest, dass sie noch Zeit hatte. Etwas angeekelt ging sie durch die Seitenstrasse. Normalerweise kam sie von der anderen Seite, deshalb kannte sie diese Strasse nicht gut. Der Boden war dreckig, Hunde hatten an die Hauswände gepinkelt und es stank. Es war wahrlich nicht die angenehmste Strasse und eigentlich hätte Lucinda vorhersehen können, was nun passierte.
Sie war beinahe bei der etwas grösseren Strasse des Waffenladens angekommen, als sie schnelle Schritte hörte und jemand sie beim Arm packte. Ruckartig wurde sie zurückgezogen und überrascht schrie sie auf. Eine grobe Hand hielt sie fest und drehte sie nun schwungvoll um, ihre Schulter wurde schmerzhaft gezerrt. Lucinda packte die Hand des Mannes vor ihr und wollte ihm den Arm verdrehen, aber im letzten Moment liess er los. Erleichtert machte Lucinda einen Schritt rückwärts, doch sie sah seinen Fuss nicht kommen. Er kickte ihr in den Bauch und sie ging keuchend in die Knie, die Luft blieb ihr weg und sie fluchte innerlich. Der Mann war blond und trug ein Sweatshirt und Jeans. Nichts an ihm wirkte besonders bedrohlich, aber er schien etwas gegen sie zu haben. Gerade, als sie sich von seinem Schlag erholt hatte, machte der Mann einen Satz auf sie zu und wollte nach ihren Schultern packen. Lucinda warf sich zurück, holte aus und boxte ihm kräftig in den Kiefer. Ihre Faust schmerzte, aber sein Kopf flog zurück und er stolperte ein paar Schritte rückwärts. Lucinda, die ihm dennoch auf keinen Fall den Rücken zudrehen wollte, fragte mit ein paar Metern Abstand: „Was willst du von mir? Zu wem gehörst du?" Die Fragen waren beide extrem blöd, das wusste sie eigentlich. Dasselbe fragten ihre Opfer stets und natürlich gab niemand eine Antwort. Doch langsam hatte es Lucinda satt, ständig auf der Strasse angegriffen zu werden. Der Mann rieb sich mit finsterem Blick den Kiefer und schwieg. Er taumelte etwas, offenbar war ihr Schlag sauber gewesen.
Erneut hörte Lucinda Schritte. Blitzartig drehte sie sich um, aber da war nur ein Passant, der die grössere Strasse passierte und ihr kurz einen irritierten Blick zuwarf. Na, wie nett.
Dann bewegten sich plötzlich mehrere Personen auf einmal.
„Achtung!", schrie eine Männerstimme.
Lucinda fuhr alarmiert herum.
Ihr Angreifer stürzte sich auf sie, jemand anderes stürzte sich auf den Angreifer. Ein Schlag ertönte, jemand ging zu Boden und Lucinda kreischte mädchenhaft auf. Dann löste sich das Wirrwarr vor ihr und sie erkannte allmählich, was passiert war. Der Angreifer lag bewusstlos auf dem Boden, nebendran stand Matthew, in der Hand hatte er einen Deckel eines Mülleimers. Schwer atmend schaute er zu Lucinda und fragte: „Alles okay?"
Lucinda starrte ihn verblüfft an. Die gerade Haltung, die er gerade hatte, stand ihm gut, stellte sie fest. Er war überraschend gross. Schnell nickte sie, den Blick in seinen blauen Augen. „Ja..." Verwirrt fuhr sie sich durch die blonden Haare, die ihr ungeordnet ins Gesicht fielen und ihre rechte Schulter protestierte dabei. „Hast du ihn gerade K.O. geschlagen?"
Matthew nickte stumm. Er ging ein paar Schritte in die Seitengasse hinein und legte den Deckel wieder auf dem Mülleimer, dann ging er zurück zu Lucinda, die immer noch starr an derselben Stelle stand.
„Was, ist das so erstaunlich?", fragte Matt amüsiert.
Lucinda schüttelte schnell den Kopf. „Nein... Danke", sagte sie. Sie hatte Matt gar nicht kommen sehen und wenn er nicht gewesen wäre, hätte sie vielleicht noch einige Schläge einstecken müssen. Sie war ihm dankbar, auch wenn es unerwartet gekommen ist. Schnell nahm sie ihn beim Arm und zog ihn aus der Seitengasse, um Distanz zwischen dem Angreifer und ihnen zu bringen.
„Kanntest du ihn?", fragte Matt gedämpft und folgte schnell ihren Schritten. In der Strasse des Waffengeschäfts hatte es ein paar Leute, aber ebenfalls nicht allzu viele.
„Nein", erwiderte Lucinda, die immer noch etwas benommen war von dem abrupten Angriff. Sie liess ihn los und massierte ihre rechte Schulter. „Aber ich habe das Gefühl, dass all die Angreifer unter einer Decke stecken. Nur habe ich keine Ahnung, was sie wollen und was diese willkürlichen Angriffe sollten." Behutsam bewegte sie ihre Schulter und merkte dabei, dass Matt sie musterte. Hastig liess sie es bleiben.
„Das finden wir schon noch heraus", sagte er jetzt überraschend sanft. „Wahrscheinlich gehören sie zu dem Mörder, meinst du nicht?"
Lucinda biss sich auf die Lippen. Das würde keinen Sinn machen, fand sie. „Ich glaube eher nicht..."
Matt schaute noch einmal zurück. „Ich würde ihn am liebsten grün und blau schlagen", knurrte er erregt und Lucinda sah, dass er seine Muskeln anspannte.
„Ganz ruhig, Matt", sagte sie, überrascht über die heftige Reaktion.
„Und du bist sicher nicht verletzt?" Er schien sie gar nicht gehört zu haben.
Lucinda schüttelte wieder den Kopf. „Matthew, mir geht's gut. Und jetzt konzentrier dich. Da vorne ist das Geschäft." Sie konnte es nicht brauchen, dass Matthew ausgerechnet jetzt seinen Beschützerinstinkt auspackte.
Als sie das Geschäft vor sich sah, blieb sie augenblicklich stehen. Die Strasse sah aus, wie sie sie in Erinnerung hatte. Es hatte viele kleine Geschäfte, dazwischen Wohnhäuser und viele Verkehrstafel. Der Teil der Stadt war nicht viel besucht, es waren wenige Leute unterwegs, doch es war knapp nicht heruntergekommen. Hier und da gab es Bänke – etwas, was in der Stadt beliebt war, wie Lucinda festgestellt hatte.
Auf der Höhe des Waffenladens war eine weitere Seitengasse, doch eine, die viel eher besucht war. Dort setzten sich die beiden auf eine Bank, vor der eine Werbetafel war. Wenn der Mörder von der anderen Seite her kommen würde und sich nicht genau umsehen würde, würde er sie nicht bemerken. Doch sie hatten guten Blick auf den Eingang und Lucinda hatte eine kleine Kamera an ihrem linken Flügel befestigt, der alles um sie herum in hoher Auflösung filmte. Sie war echt froh um die moderne Technologie. Lucinda setzte sich also links von Matthew auf die Bank, links von ihnen sahen sie auf den Laden und nun taten sie so, als würden sie einfach herumsitzen. Beide spähten abwechslungsweise auf den Eingang, schauend, ob der Mörder kam oder nicht. Es war wahrlich ein Glücksspiel, das sie da spielten. Denn ihre Deckung war nicht perfekt und sie wussten nicht einmal genau, ob er zur Reparatur kam. Aber sie mussten es riskieren.
***
Was denkt ihr, was passiert?
Und was denkt ihr über den plötzlichen Angriff?
Ab in die Kommentare damit :D! Ich liebe es, eure Spekulationen zu lesen!
Und falls das jemanden interessiert - hier endet das "offizielle" 8. Kapitel.
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Engelsschwingen - Ausgestossen
МистикаLucinda hat Flügel, aber sie ist kein Engel. Vielmehr hat sie die Aufgabe, Menschen aus ihrem Leidwesen zu erlösen - die Seele des Menschen entscheidet, ob sie leben oder sterben werden. In der Akademie der Erlöser werden neben ihr noch massenhaf...