Kapitel 35

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Lucinda runzelte die Stirn und reichte ihm ihr Handy. „Hier." Sie schaute ihm zu, wie er die Mail las. Er hatte die Lider gesenkt und Lucinda sah dichte Wimpern, teilweise verdreckt durch einzelne Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen. Er las die Mail konzentriert und sorgfältig, bestimmt war er gut in der Schule. Dann nickte er. „Okay, das klingt vertrauenswürdig", sagte er zustimmend. „Und wir haben nun eine gute Quelle."

Lucinda nickte ebenfalls, während sie das Handy wieder an sich nahm und versorgte. „Ich denke, wenn wir noch etwas über seinen Arbeitsplatz forschen, naja..." Sie warf Lizzie einen vielsagenden Blick zu, das Mädchen schaute sie daraufhin mit grossen Augen an. „Können wir endlich etwas unternehmen und nicht nur Videos anschauen. Wir können bald zur Phase zwei fortschreiten, zum externen." Lucinda lächelte. Die zweite Stufe gefiel ihr selbst ebenfalls am besten. Die erste Phase war zwar interessant, aber in gewisser Weise auch langweilig und es gab viel trockene Arbeit zu erledigen. Die dritte Stufe war gefährlich und mit Körpereinsatz verbunden, da konnte es auch gröbere Verletzungen geben. Deshalb war ihr die zweite Phase am liebsten, denn zwar war man in Bewegung und handelte, doch man war noch nicht offensiv im Zielfeld des Gegners.

Auch Lizzie schien ihre Freude zu teilen. Sie sprang wieder von ihrem Sitz auf dem Sofa auf und lief zu Lucinda, um sich unmittelbar neben sie zu setzen. „Yeah, jetzt wird's aufregend!", rief sie erfreut. Lucinda fragte sich langsam, ob die Kline ADHS hatte.

„Und gefährlich", ergänzte Matthew mit dem Blick auf seiner kleinen Schwester, aber Lucinda spürte, dass er immer noch verwirrt war über ihren Auftritt von vorhin. Mist, was war da nur in sie gefahren?!

Hastig schüttelte sie den Gedanken ab und fokussierte sich auf Matts Aussage. „Ja, das auch", gab sie zu. „Aber das ist unvermeidbar." Ansonsten konnte man die Mission gleich abblasen und sich ergeben. Doch Matthew und Lizzie hatten helfen wollen, dann mussten sie sich jetzt damit abfinden. Matt jedenfalls. Bei Lizzie würde sie einen Rückzug willkommen heissen, aber keine der beiden dachte daran.

Zu Lucindas Überraschung nickte Matthew. „Ja, wir schaffen das." Er seufzte und sah an die Decke, als würde er den Mörder durch seine Wohnung spazieren sehen. Lucinda lief ein Schauer über den Rücken, als ihr einfiel, dass die Vorstellung gar nicht so abwegig war.

„Was ist der nächste Schritt, Luce?", fragte Matt dann und schaute sie zum ersten Mal wieder an, wenn auch besetzt und distanziert.

Lucinda hob die Augenbrauen. „Seit wann hörst du denn auf mich?", fragte sie belustigt. Normalerweise schlug er etwas vor und hörte sich erst danach ihre Einwände an.

Matt verdrehte die Augen, doch zu ihrem Triumph sah Lucinda, dass seine Mundwinkel zuckten. „Du bist dich die Erlöserin unter uns", meinte er schulterzuckend, als habe er diese Haltung schon immer gehabt.

Lucinda grinste. „Also gut", sagte sie, in ihrem Kopf die nächsten Strategien ausdenkend. „Ich werde über die Nacht darüber schlafen müssen und etwas googeln. Fühlt euch frei, euch über dieses Human Health zu informieren", warf sie ein und fuhr fort: „und morgen gehen wir die nächsten Schritte durch, okay? Und kommt bitte zu mir, es ist hier echt... äh, etwas ungemütlich." Fast errötete sie, als sie das Zuhause der Geschwister somit beleidigte, aber den Blicken Lizzies und Matts nach oben zu beurteilen, konnten sie gut verstehen, was sie meinte – zumal ja auch Lizzie ihr Zuhause schon lange mied.

„Dann bis morgen, Lu", sagte Lizzie überschwänglich und warf sich ihr kurz in eine Umarmung. Gerührt drückte Lucinda das Mädchen an sich und für einen winzigen Moment schloss sie die Augen, einfach glücklich darüber, dass sie dieses wundervolle Mädchen kennen durfte.

Wieder Mal hatte Lucinda schlecht geschlafen. Das schien zu einer Gewohnheit zu werden, merkte sie, als sie verzweifelt versuchte, auf dem Flug in die Arbeit nicht zu gähnen. Trotz einem doppelten Kaffee war sie immer noch müde, denn in dieser Nacht hatte sie noch weniger Schlaf abbekommen als sonst. Ihre Gedanken hatten sich unentwegt um den Mörder, den Lieferanten, Matthew und Lizzie gedreht. Egal, mit was sie sich hatte ablenken wollen, ihr Gehirn hatte immer eine Möglichkeit gefunden, einen Weg zurück zu ihren Problemen zu finden. Jetzt merkte sie, wie geschützt sie gewesen war in der Akademie. Nicht, dass sie noch gross trauerte, aber Fakt war, dass sie da immer abgeschlossene Projekte gehabt hatte, weniger selbst investieren musste und zudem keine persönliche Bindung zu den Opfern gehabt hatte. Beinahe wäre sie in einen hohen Industrieturm hineingeflogen, als sie in Gedanken versunken etwas vom Kurs abgekommen war. Mit heftigem Flügelschlagen flog sie aus der Gefahrzone und verfluchte sich für ihre Unvorsichtigkeit. Wenn sie zu müde war, würde weder die Arbeit noch die Mission noch sonst etwas gut vorankommen! Sie musste einen Weg finden, mehr Schlaf zu bekommen, beschloss sie, als sie torkelnd vor dem Büchercafé landete.

Zum Glück war auch heute nicht viel los und ab und zu sass Lucinda geistabwesend in einer Ecke und döste halb, um etwas von ihrem Schlafbedürfnis zu decken. Gleichzeitig überdachte sie nochmals ihre Strategie, die sie sich über die Nacht ausgedacht hatte.

Als sie nach der Arbeit wieder nach Hause flog, entdeckte sie bereits Matthew und Lizzie vor der Haustüre und sie schenkte den beiden ein Lächeln. Lizzie erwiderte es strahlend, Matthew zögernd.

„Kommt rein", forderte Lucinda die Geschwister auf und öffnete die Tür zum Mehrfamilienhaus. Die drei schleppten sich die Treppe hoch und kamen etwas ausser Atem in Lucindas Appartement an.

„Und, was hast du beim Schlafen herausgefunden?", neckte Lizzie Lucinda, als die drei es sich auf ihrem Sofa bequem machten.

Lucinda zuckte ein wenig zusammen und grinste dann. „Naja, nicht beim Schlafen, aber beim Wach herumliegen", korrigierte sie. „Ich hab einen Vorschlag, ja."

Kurz schaute sie die Geschwister an, um zu sehen, ob sie bereit waren dafür. Beide schauten sie abwartend an und sie begann mit ihrem Plan: „Ich möchte den Mörder bei der Arbeit sehen. Wenn wir wissen, wie seine Arbeitszeiten aussehen, können wir auch feststellen, wann er nicht zu Hause sein kann und wann er zwangsläufig bei der Arbeit war oder diese schwänzt."

„Und wie willst du das anstellen?", fragte Matthew irritiert. Er schaute auf Lucindas Flügel, die sie hinter dem Rücken gefaltet hatte. „Auch mit Kameras?"

Lucinda schüttelte den Kopf und lächelte breit. „Nein, ich habe eine viel bessere Idee", sagte sie und beugte sich geheimnisvoll vor. „Es gibt bald ein öffentliches Fest, weil es die Firma seit zwanzig Jahren gibt. Und dort werden wir anwesend sein."

Lizzie machte grosse Augen. „Wie cool!", rief sie. „Da können einfach alle reinspazieren?"

Lucinda schüttelte den Kopf. „Ja und nein. Man braucht eine Einladung, wenn man mit niemandem dort verwandt ist. Aber der Lieferant war so nett, uns eine Einladung zu geben!" Wieder strahlte sie, stolz auf ihre Connections. Was für ein Glück sie doch hatte, dass genau er sie damals von der Strasse aufgelesen hatte! Es wäre viel mühsamer gewesen, eine Einladung zu fälschen oder durch ein Fenster zu klettern.

„Ehrlich? Wir kriegen eine Einladung von dem?", fragte Matt überrascht nach. „Wieso lädt er uns ein, nur weil er dich vage kennt?"

Lucinda schmunzelte. „Naja, weil ich so interessiert bin an der Firma und mir unbedingt ein Bild davon machen muss, um abzuwägen, ob ich wirklich einmal da arbeiten möchte", antwortete sie.

***

Ich nehme an, ihr hört den Unterton? xD

Freue mich über Reaktionen!

Engelsschwingen - AusgestossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt