Kapitel 20

562 33 2
                                    

Ein Anruf. Aus der Türkei. Mir wurde plötzlich mulmig und ich wollte für einen kurzen Moment gar nicht abheben. Sie haben mich Monate lang nicht angerufen. Welche Eltern machen sowas? Und wieso? Sie könnten sich doch einmal im Monat melden. Sogar das würde mir reichen. Nicht einmal das konnten sie tun. Tut schon weh, so von ihnen vernachlässigt zu werden. Aber sie sind immer noch meine Eltern. Daran kann ich nichts ändern.

Mit lautem Seufzen nahm ich ab. "Hallo.", sprach ich in das Handy, das ich am rechten Ohr hielt.

"Kızım (Meine Tochter).", hörte ich die Stimme meiner Mutter sagen. Durch ihre Stimme erwärmte sich mein Herz. Wie ich es vermisste habe, dass sie mich so nennt. Wieso haben sie nicht angerufen? Wieso?

"Ordamısın? (Bist du noch dran?)", fragte sie erneut, da ich kein Laut von mir gab. Wie denn auch. Ich bin verwundert. Einen kleinen Funken Glück verspüre ich auch.

"Burdayım (Ich bin dran).", bekam ich noch so halbwegs raus und räusperte mich etwas. Ich spürte schon, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Nicht weinen. Nur nicht weinen, Merve. Du darfst nicht schwach wirken. Im Gegenteil. Du musst ihnen zeigen, dass du auch ohne sie zurecht kommen kannst. Ich meine, wieso nicht? Sie haben sich nicht gemeldet. Ich habe keine Schuld daran. Ich bin die Unschuldige.

"Nasılsın Kızım? (Wie geht es dir meine Tochter?)", sagte sie fröhlich was ich nicht verstand. Wie kann sie nach alldem noch fröhlich wirken?

"Mir geht es sehr gut", log ich, "wie geht es euch?", fragte ich und schniefte einmal. Nicht einmal die Sache mit dem Psycho möchte ich ihnen erzählen, da es sie sowieso nicht interessieren wird. Das weiß ich.

"Uns geht es auch gut, danke.", meinte sie abgelenkt, denn ich hörte Stimmen aus dem Hintergrund, die ich leider nicht verstand. Aber ich konnte heraushören, dass es mein Vater ist, der rumschreit. Aber wieso? Läuft etwas wegen seiner 'Arbeit' schief? Auch da haben sie mich angelogen. Seine Firma hat nichts mit der Türkei zu tun!

"Was-", setzte ich an und wollte wissen, was vor sich geht, als er plötzlich anfing zu schreien.

"Verdammt! Nasıl kaçar?! (Wie kann er bloß abhauen?!)", schrie er sehr sehr wütend. So habe ich ihn ja noch nicht gehört! Was ist da los?

"Ich muss auflegen, tut mir leid mein Engel.", hörte ich meine Mutter besorgt sagen, bevor sie auflegte und ich stumm nach vorne sah. Was ist dort los? Wieso ist er so? Wieso erzählt mir keiner was?! Man, ich fühle mich so ausgeschlossen von alldem! Wieso kann mir keiner sagen, was dort passiert?

Mit verstörenden Gedanken wählte ich die selbe Nummer wieder und wartete sehnsüchtig darauf, dass meine Mutter wieder abnimmt, aber nein. Die Mailbox. Wütend und etwas besorgt, legte ich mein Handy beiseite und fuhr mir durch die Haare. Okay, ruhig. Versuche dich zu beruhigen. Wenn es doch so schlimm wäre, hätten sie es mir doch selber erzählt, oder nicht? Ich bin deren Tochter, sie müssen mir das erzählen. Mach dir keine Sorgen Merve. Deine Eltern geht es gut und du hast ihre Stimmen gehört. Nach Monaten. Also, was willst du noch? Genau, beruhige dich.

"Merve? Geht's dir gut?", hörte ich plötzlich Aleyna fragen, die sich mit fragendem Blick gegenüber mich setzte. Ich sah auf und versuchte lächelnd zu nicken. Schlimmer kann es ja nicht werden, oder?

Keine Sekunde später, piepte mein Handy. Eine Nachricht. Anonym. Nicht schon wieder. Bitte, Allah (Gott) lass es nicht der Psycho sein. Bitte nicht. Das ist das letzte, was ich nun gebrauchen kann. Ehrlich.

Mit zitternden Händen, öffnete ich die Nachricht und bekam etwas zu lesen, dass mir den Atem raubte.

'Ah deine so lieben, fürsorglichen Eltern. Haben sie sich endlich gemeldet? Du hättest ihnen auch einen schönen Gruß von mir ausrichten können!'

Mein Held - KahramanımWo Geschichten leben. Entdecke jetzt