Kapitel 62

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Ich fasse es nicht, dass sie so weit gehen konnte. Wie schafft sie das alleine? Macht sie das überhaupt alleine? „Du wirst heute auf keinen Fall hier bleiben, wir gehen zu mir.", sagte er wütend und lief direkt hoch in das Schlafzimmer. Ich stand immernoch da, wie betäubt und konnte mich nicht bewegen. Sie meint es ernst. Ziemlich ernst sogar. Cetin wird höchstwahrscheinlich meine Sachen zusammen packen, damit ich bei ihm bleibe. Aber ich kann nicht. Wie denn auch? Sie wird uns weiterhin terrorisieren. Sie wird nicht aufhören, bis ich mich von ihm trenne. „Nein.", sagte ich laut und hoffte, dass er mich gehört hat. „Hast du was gesagt?", rief er von oben und kam mit einem Koffer in der Hand runter. „Nein, hab ich gesagt.", wiederholte ich mich und starrte ihn an. Keine Ahnung, wie ich das gerade über meine Lippen bringen konnte. Keine Ahnung, wie ich ihn so krass verletzen konnte in den zwei Tagen. „Merve, was meinst du damit?", fragte er nun und stellte den Koffer auf den Boden. „Ich werde nicht bei dir bleiben, fahr mich zu Aleyna.", sagte ich spontan und musste mich zusammenreißen, ihm nicht um den Hals zu fallen. Er würde mir fehlen. „Das meinst du doch nicht ernst?", fragte er nun verwirrt und klang wütend. Ich hörte, wie er sich zusammenreißen musste, um nicht laut zu werden. Ich weiß, dass er mich schonen will. Mir nicht auf die Pelle rücken will. Aber was hab ich denn für eine Wahl? „Bitte, Cetin.", flüsterte ich und konnte ihm nicht mehr in die verletzlichen haselnussbraunen Augen blicken. Ich ertrage es nicht mehr. „Du wirst doch nicht ernsthaft glauben, dass ich dich in diesem Zustand alleine bei Aleyna lassen werde?", fragte er und stellte sich dicht vor mich. „Was ist nur los mit dir? Seit gestern sprichst du kaum ein Wort mit mir. Was ist los, Mervem?", flüsterte er und strich mir mit seinem Finger über meine Wange. Ich humpelte einen Schritt nach hinten, sodass seine Hand in der Luft war. Er blickte mich an und konnte nicht glauben, dass ich so bin. Ich sehe es ihm an. Er hat so viele Fragen. Aber ich kann nicht. „Dann werde ich mich abholen lassen.", sagte ich und kramte aus meiner Hosentasche das Handy heraus. „Schon gut, ich fahre dich, wenn du das so möchtest.", sagte er gekränkt und warf mir noch einen letzten Blick zu, bevor er den Koffer nahm und zusammen mit mir hertunterlief. Die Tür sperrte er ab und behielt den Schlüssel.

„Ich werde die Wohnung morgen reinigen lassen. Komplett."  sagte er als wir zusammen im Auto saßen. Ich nickte nur und konnte im Augenblick weinen. Einfach losheulen. Es schmerzt so sehr, ihn verletzen zu müssen. Meine Hände zitterten und ich versuchte sie so gut wie möglich zu verstecken, damit er nichts merkt. Ich muss doch etwas unternehmen können! „Wir sind da.", sagte er und blickte mich an, als er den Motor abstellte. Ich nickte und wollte aussteigen, als er sanft mein Handgelenk hielt. „Ich liebe dich, Mervem.", flüsterte er und blickte mir in die Augen. Wir sahen uns nur an. Ich konnte es nicht sagen. Ich kann nicht. Es brennt auf meiner Zunge, aber nein. Als er merkte, dass er von mir nichts horen würde, stieg er aus und lief auf meine Seite, um mir die Tür zu öffnen. Er half mir raus und schnappte sich den Koffer, der auf der Rückbank war. „Wenn was ist, bitte ruf an. Ich bin so schnell wie möglich da.", sagte er ernst, als wir klingelten. Aleyna öffnete uns die Tür und blickte mich schockiert an. „Merve! Was ist passiert?! Oh mein Gott, kommt sofort rein!", sagte sie hektisch und öffnete die Tür in einem großen Schwung, damit ich Platz hatte. „Cetin wird jetzt auch gleich wieder gehen. Danke dass du mir geholfen hast.", murmelte ich und blickte ihn kaum an. Er nickte und ließ mich los, da Aleyna mich nun hielt. Es tut mir leid Cetin.

„Dann werd ich jetzt wohl gehen.", murmelte er und nickte Aleyna zu, die uns verwirrt ansah. Klar, merkt man sowas. „Bis dann.", sagte er im Gehen und schloss die Türe hinter sich zu. Er war sauer. Er ist gekränkt. Oh man! Als er weg war, konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen und ließ mich auf die Knie fallen. Meine Tränen liefen runter wie ein Wasserfall und Aleyna kniete sich sofort zu mir. „Merve!", rief sie und nahm mein Gesicht in ihre Hände. „Ich habe alles zerstört! Ich habe alles vermasselt. Das ist alles meine Schuld! Ich wollte nie so kalt zu ihm sein, ich liebe ihn doch! Ich will ihn nicht verlassen müssen!", wimmerte ich und wische mir die Tränen weg und fiel Aleyna um den Hals. Es reicht. „Merve, was ist passiert?!", fragte Aleyna und erwiderte meine Umarmung. Sie sagte nichts und streichelte nur meinen Rücken. „Alles ist meine Schuld.", wimmerte ich und weinte. Weinte, als gäbe es kein Ende mehr. „Merve.", sagte sie mitfühlend und entzog sich aus der Umarmung. Sie nahm mich unter die Arme und hob mich hoch. „Lass uns ins Wohnzimmer gehen.", sagte sie besänftigend und führte mich in das Zimmer. Sie setzte mich direkt auf das Sofa und sorgte dafür, das mein Bein ausgestreckt darauf lag. Sie schnappte sich einen Sessel und setzte sich neben mich hin. „Jetzt Erzähl mir alles von Anfang an!", forderte sie mich auf und ich fing an, ihr alles von A bis Z zu erzählen. Wie ich in den Zustand gekommen bin, wie Damla mich dazu gebracht hat, so zu Cetin zu sein. Wie sie mich kontrolliert und ich aus Angst nicht handeln kann. „Diese Göre!", schrie Aleyna und sprang auf. „Wie kann sie es wagen, dich so rumzukommandieren?! Wie kommt sie eigentlich auf die Idee, dass du ihr Cetin ausgespannt hättest?! Hat sie ihn denn nicht betrogen?! Also was soll der Kindergarten dann?!", flippte Aleyna komplett aus und stand von dem Sessel auf. „Versprich mir, Cetin nichts davon zu erzählen! Er wird es diesmal nicht verzeihen können.", murmelte ich und schniefte einmal. Sie seufzte und setzte sich wieder hin. „Wie lange willst du das durchziehen? Bis ihr euch trennt? Das werde ich nicht zulassen, tut mir leid.", sagte sie ernst und blickte mir dabei in dir Augen. Ich atmete laut aus und drehte meinen Kopf weg. „Bitte lass mich ein paar Tage hier bei dir bleiben.", sagte ich und hörte Aleyna ebenfalls laut ausschnaufen. „Natürlich, dafür musst du nicht fragen. Ich werde dir Zeit geben, bis du es Cetin selber sagst. Wenn nicht, werde ich es in die Hand nehmen müssen. Ich kann nicht zusehen, wie eure traumhafte Beziehung wegen einer Lüge auseinander geht.", sagte sie und streichelte meine Haare. „Hör auf dein Herz, Merve.", sagte sie, wobei mir eine Träne die Wange runterfließt. Ich ertrage es nicht mehr. Es schmerzt in mir. Sie merkte wohl, dass ich keine Kraft mehr hatte und schnaufte aus. „Ich werde das Gästezimmer für dich herrichten. Du kannst dann jederzeit schlafen gehen. Ruf mich einfach, wenn du etwas brauchst.", sagte sie liebevoll, bevor sie aus dem Zimmer lief.

Das Gästezimmer befand sich gleich gegenüber dem Wohnzimmer, was mir um einiges an Weg erleichterte. Ich bin so froh, dass ich hier bei ihr bleiben kann. Aber wie soll ich Cetin sagen, dass Damla die jenige ist, die dahinter steckt? Wie? Er wird sie diesmal wirklich umbringen. Das kann ich doch nicht machen! Ich wischte mir die getrockneten Tränen weg und schnaufte aus. Ich liebe ihn, verdammt! Mein Handy vibrierte in meiner Handtasche, die ich durchsuchte. ‚Cetin', las ich, als ich mein Handy gefunden hatte. Er hat mir eine Nachricht geschickt. Ich öffnete sie mit zittriger Hand und merke wie sich die Tränen einen Weg an meiner Wange bahnten.

„Mervem, ich weiß nicht was in letzter Zeit mir dir los ist. Wieso du dich gegenüber mir so verhältst. Ich will dir auch nicht zu nahe treten, da ich weiß, was du damals erlitten hast, als du diese Nachrichten von deinem Stiefbruder erhalten hast. Vielleicht brauchst du auch nur ein bisschen Ruhe. Aber bitte halte keinen Abstand von mir. Ich ertrage das nicht. Nicht, nach alldem was wir zusammen durchgestanden haben. Ich liebe dich und vermisse dich. Ich denke nur an dich und wie es dir wohl gerade geht. Ich hoffe Aleyna passt gut auf dich auf. Falls du etwas brauchst ruf mich an, ich werde in 2 Minuten da sein. Schlaf gut."

Es wird nicht besser. Ich legte mein Handy beiseite und fing an zu weinen. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, damit Aleyna mich nicht hört. Alleine sein. Das brauche ich jetzt. Oder auch nicht. Cetin. Seine Nähe brauche ich. Nur seine. Er ist mein Held. Mein Freund. Mein Seelenverwandter. Mein Ein und Alles. Wie kann ich bei dem Text noch so kalt gegenüber ihm sein. Wie? Wie bringe ich das über mein Herz? Ich werde alles bereuen. Das weiß ich. Das spüre ich. Ich legte mich auf das Sofa und rollte mich zusammen. Ich zog meine Knie an mich und verschonte meinen verstauchten Fuß. Dadurch dass ich weinte, fiel ich in einen tiefen, langen Schlaf.

•Cetin's Sicht•

Denkt Merve wirklich, dass ich nichts von alldem mitbekommen habe? Dass ich nicht gemerkt habe, was hier abläuft? Dass ich nicht gemerkt habe, wer dahinter stecken könnte? Denkt sie wirklich, sie wäre mir so egal? Natürlich habe ich alles mitbekommen, was sie hinter der Tür Aleyna gesagt hat. Weinend. Es schmerzte, sie hinter der Tür zu hören und nichts unternehmen zu können. Rein gar nichts. Doch eines weiß ich. Ich muss etwas gegen diese Nachrichten unternehmen & ich weiß auch schon wo ich anfangen muss. An der Wand, las ich dieses eine Wort, was mir alles verriet. Was mir verriet, wer diese Person ist. Sie wird es bereuen, dass sie sich auf so eine Weise an Merve vergriffen hat. Zutiefst bereuen. Dieser Tag wird lang werden. Ziemlich lang.

Damla, mach dich auf etwas gefasst.

Mein Held - KahramanımWo Geschichten leben. Entdecke jetzt