3.

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Als der Schultag dann auch endlich mal vorbei war, musste ich mich zusammenreißen, um Tim nicht sofort um den Hals zu fallen. Die zwei Hofpausen heute waren schrecklich gewesen und ich wollte nur noch auf schnellstem Wege nach Hause. Zusammen liefen wir den Gang entlang zur großen Eingangstür, als abgedämpfte Stimmen aus einem Raum meine Aufmerksamkeit weckten. Ich tippte Tim an, dass er ruhig bleiben sollte und schlich auf die nur angelehnte Tür zu und lauschte. Der Typ dafür war ich ja eigentlich nicht, aber das Thema konnte brisanter nicht sein!

"Glaubt mir, der Kerl war sich hundert pro sicher! Die Aufgaben plus Lösungen für die nächsten zwei Klassenarbeiten und vielleicht kriegt er sogar noch die Blätter für die Prüfungen durchgeschmuggelt. Nehmt die jetzt mit, sagt niemandem von wem ihr die habt und verteilt sie an welche, denen man vertrauen kann, fertig!" Der Junge, der energisch flüsterte und durch den Druck beinahe über seine eigenen Worte stolperte, war Rafael! Dann waren die anderen bestimmt..?

"Ne man, die behalten wir für uns. Wenn die echt sind, werden wir das früh genug herausfinden, und warum sollte jemand außer uns davon profitieren?" Ja, und das war eindeutig Tobi, der Chef von Speckis Clique. Dann waren auch sicherlich die drei Mädchen mit da drin, die immer um ihn herumscharwenzelten und noch so ein großer blonder Junge. Und, was hatten sie? Die Lösungen für sämtliche wichtige Tests, wenn Specki mit den Fingern schnippte und sein Bekannter, wer auch immer das war, losrannte und ihm diesen Gefallen erledigte? Das war- also... wow! Das war echt Wahnsinn! Blöd nur dass Tobi so ein selbstverliebter Arsch war und alle Kopien für sich behalten würde. Sonst hätten wir beide vielleicht auch irgendwie eine abgreifen können.

"Lösungen für die Prüfung? Komm Stegi, das müssen wir sofort dem Direktor sagen!" Tim starrte entrüstet auf den Spalt zwischen dem Türrahmen und der Wand und wollte mich an der Hand mit sich zum Sekretariat ziehen, doch ich blieb noch immer ein wenig hoffnungsvoll stehen. Die Chance an ein Blatt zu kommen war einfach so verlockend! "Nein Tim, warte noch", zischte ich leise. "Warum? Glaubst du, du bekommst was davon ab, wenn du nett fragst? Was haben die Schweine je für uns tolles getan? Komm, die sollen auch mal wegen was gradestehen!"

Mein Freund war wohl ein wenig zu laut gewesen, denn von drinnen kam plötzlich kein Geräusch mehr. Die Tür wurde aufgerissen und eines der Mädchen, die kleinere mit blondierten Haarspitzen und unnötig viel Schminke, starrte mich überrascht an - und dann zu Tim hinauf. "Öhm, Tobster? Das Ehepaar ist hier", stotterte sie, wich zurück und schloss schnell hinter sich ab, als hätte sie Angst, dass wir sie auf der Stelle zusammenschlagen oder verpetzen würden. Drinnen brach scheinbar gerade ein Gewittersturm aus chaotischen Befehlen von Tobi aus und Tim zupfte mich am Ärmel. "Komm jetzt! Ich will nicht hier sein, wenn-!"

Zu spät. Ich bekam beinahe noch das Holz vor die Stirn gedonnert, als Specki und sein Anführer nach draußen stürmten und uns gegen die Wand hinter uns schubsten. "Ohren auf Pussys, oder ihr werdet bald keine mehr haben! Erstens: ihr habt absolut nichts von irgendwelchen Lösungspapieren gehört! Zweitens: ihr werdet nicht zum Rektor oder irgendeinem Lehrer rennen und ausplaudern was ihr wisst, klar? Drittens: egal ob ihr euch auf den Kopf stellt oder sonst was für Kunststücke macht, ihr bekommt keinen Zettel ab, nur bevor ihr fragt. Alles mitgeschnitten soweit?"

Ich nickte eingeschüchtert, doch neben mir kassierte Tim einen Schlag von Specki, genau in die Magengrube. Er hatte scheinbar verweigert. "Tim!", stieß ich erschrocken aus, als er ein Stück zusammensank und von seinem Gegenüber am Kragen nach oben gezogen wurde. "Und jetzt? Oder willst du nochmal?"

"Niemals", knurrte Tim tapfer und fing auch schon die nächste Faust ein. Den Tränen nahe schlüpfte ich unter Tobi hindurch und stellte mich vor meinen Freund und hielt seine Hände fest, die etwas zitterten vor unterdrückten Schmerzen. "Tim, hör zu! Lass es bitte, ich will nicht dass du verletzt wirst! Bitte, das ist schon in Ordnung so!"

Er schaute zu mir herunter, direkt in meine leicht feuchten Augen, und nickte dann schließlich. "Nagut, ich halt dicht", versprach er zähneknirschend den beiden Jungs, die zurückgewichen waren, als könnten sie sich bei uns mit "Schwuleritis" anstecken, wie sie es mal genannt hatten. Idioten.

Ein letztes Mal beobachteten sie uns kritisch, wischten sich imaginär ihre Hände an den Klamotten ab und stapften zurück in ihren Raum. Sobald die Tür zugeschlagen war, beugte Tim sich nach vorn, stützte sich auf seinem Knie ab und tastete mit seiner freien Hand die Stelle ab, an der ihn Specki getroffen hatte. Zischend zog er Luft ein und etwas ängstlich hob ich seinen Pulli an, um einen sich bereits rötlich verfärbten Fleck auf der Höhe seines Bauchnabels zu finden, der verdammt schmerzhaft aussah. "Tuts sehr weh? Soll ich jemanden holen gehen?", fragte ich besorgt, doch er wuschelte mir bloß wieder mit erzwungenem Lächeln durch die Haare. "Nene, passt schon, irgendwie. Aber genial wie geistesgegenwärtig und cool du da eben reagiert hast."

"Cool? Junge, die hätten dich fast kleingefalten, ich hab mir mega Sorgen gemacht und vor denen beinahe noch geheult! Das war alles, außer cool reagiert!"

"Naja, okay mag sein, aber dir kaufen die jetzt auf jeden Fall ab, dass du dein Wort hältst. Und jetzt komm, der Direktor ist sicherlich noch da."

Aber wieder blieb ich stehen, als er mich mit sich ziehen wollte. Unschlüssig kaute ich mir auf der Unterlippe herum: "Tim, ich glaube wir sollten das vielleicht echt niemandem sagen. Sonst schlagen die dich wirklich bei der nächsten Gelegenheit zusammen, das will ich auf keinen Fall! Dann lieber denen ihren Triumph lassen."

Mein Freund schaute mich lange und mit einem unergründlichen Blick an, ehe er erst ein "Danke" murmelte, dann aber noch mit Nachdruck hinzufügte: "Aber stell dir mal vor, wir würden das Risiko eingehen und man glaubt uns ohne irgendwelche Nachfragen. Die ganze Clique würde fliegen, da bin ich mir sicher. Und dann brauchen wir auch keine Angst mehr vor denen haben!"

"Tus bitte trotzdem nicht! Die finden sicherlich Wege um uns das spüren zu lassen. Vielleicht behandeln die uns auch endlich normal, wenn wir sie dieses eine Mal in Ruhe machen lassen." Flehend schaute ich Tim an und schließlich gab er seufzend auf. "Überzeugt bin ich nicht und ich rieche da ganz großen Ärger auf uns zukommen, aber nagut, wenn du das wirklich nicht willst soll es mir recht sein."

Stürmisch umarmte ich ihn und zuckte schuldbewusst zusammen, als er wegen dem frischen blauen Fleck aufjapste. "Tschuldigung", nuschelte ich verlegen, "und dankeschön Timbo!"

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt