Mit dröhnenden Kopfschmerzen und verklebten Augen wachte ich auf. Alles um mich herum stank nach Bier und Schnaps, sodass es mir fast hochkam. Angewidert hob ich meinen Kopf und schaute mich um. Wo war ich nochmal? Ach, stimmt, die Party gestern. Alle anderen hatten es sich auf den Sesseln und Sofas bequem gemacht, ich schien der einzige zu sein, den es auf dem blanken Boden umgenietet hatte. Jeder Zentimeter meines Körpers fühlte sich an wie von Muskelkater geplagt und ich versuchte mich an gestern Abend zu erinnern und die Filmrisse zu füllen. Da war was, es hatte was mit Tim zu tun, nur was genau wusste ich nicht mehr... Moment, ich hatte ihn angerufen... Er wollte mich abholen kommen und dann habe ich...
Plötzlich war ich hellwach und begann am ganzen Körper zu zittern. Mit fahrigen Fingern suchte ich in meinen Hosentaschen, rannte zum Kleiderständer und tastete meine Jacke ab, lief zurück, wühlte zwischen den leeren Flaschen herum. Wo war mein Handy!? Fuck, fuck fuck fuck, wenn mir mein Gedächtnis keinen Streich spielte, hatte ich mich gestern sturzbesoffen von meinem Freund getrennt! Aber.. ich hatte es doch nicht so gemeint! Ich brauchte ihn doch! Ich liebte ihn! Egal was ich gestern getan oder gesagt hatte!
Endlich fand ich das Handy in einer Sofaritze, eingeklemmt von zwei Kissen, und tippte hastig auf den Bildschirm. Der Verlauf zeigte tatsächlich einen Anruf von mir an. Bitte, bitte Gott, lass das nicht die Wahrheit sein! Mir traten Tränen in die Augen, während ich Tim erneut anrief und darauf wartete, dass er abhob. Doch es tutete dreimal, viermal, fünfmal, immer weiter, niemand ging dran. Dann endlich sein Anrufbeantworter: "Hallo, ich bin grade nicht da oder hab das Klingeln wieder nicht gehört. Wenns was wichtiges ist, dann könnt ihr jetzt loslegen und mir eine Nachricht hinterlassen! Danke!"
"Tim? Timbo, es tut mir leid! Alles was ich gestern Abend zu dir gesagt habe! Ich hab nicht nachgedacht, bitte, geh ran, Tim, bitte! Ich will immer noch mit dir zusammen sein, ich brauche dich! Bitte Timmi!" Ich merkte kaum, dass ich in Tränen ausgebrochen war, erst dann, als ich sah, dass die Mailbox noch immer jedes Geräusch aufnahm. Schnell drückte ich sie weg und betete, dass Tim bald die Nachricht hören würde. Warum hatte ich das nur getan...?
Ich schaute mich noch einmal um, während die ersten Schnapsleichen von den Sofas wieder laut stöhnend zum Leben erwachten und sich irritiert nach der Quelle des Schniefens und Schluchzens umschauten. Nur wegen ihnen! Wegen der Clique, sie waren verantwortlich dafür, dass ich Tim so mies behandelt hatte! Mit meinen Armen vor meinem Gesicht stürmte ich aus Tobis Zuhause, riss meine Jacke an mich und stolperte im Licht der Sonne den ganzen Weg zurück nach Hause.
"Diese Nummer ist leider nicht vergeben. Bitte überprüfen Sie-"
Verwirrt und mit einer dunklen Vorahnung legte ich auf und griff mir an den Kopf. Meine Mutter hatte mich gerügt dafür, dass ich ohne ihr etwas zu sagen außerhalb übernachtet hatte und das war dann zu viel für mich gewesen. Die letzte halbe Stunde hatte sie mich jetzt getröstet, bis ich mich wieder beruhigt hatte. "Du musst das dringend mit Tim klären Schatz! Jeder macht mal Fehler, man muss nur versuchen sie so schnell wie möglich wieder auszubügeln", mit diesen Worten war ich dann auf mein Zimmer gegangen, um ihn erneut anzurufen.
Jetzt rannte ich die Treppe wieder runter, warf mir eine Jacke über, Schuhe an und stieß die Tür auf. Was auch immer Tim mit seinem Handy gemacht hatte, vor mir persönlich konnte er sich nicht verstecken oder wegschließen. Er würde mir zuhören müssen, und wenn er mir die Tür vor der Nase zuknallte! Dann würde ich meine Entschuldigung so lange vor seinem Fenster wiederholen, bis er wieder runterkam und ordentlich mit mir redete. Betrunken passierte sowas doch ab und zu mal, das konnte ich zwar nicht als Ausrede für meinen Fehler bringen, aber er musste doch auch schonmal etwas richtig peinliches in diesem Zustand gemacht haben! ...Ach ne, stimmt... Tim verabscheute Alkohol und hatte bisher nie mehr als ein Bier an einem Abend angerührt... Aber er würde schon wissen, was ich meinte!
Ich war vor seinem Haus angekommen und schaute nach oben zu seinem Zimmer. Das Fenster war bloß angekippt, dahinter hörte ich jemanden werkeln. Es klang, als ob er gerade sämtliche Möbel in seinem Raum an einen anderen Platz verschob - oder sie der Reihe nach umstieß! Langsam kam ich noch näher und erschrak ein wenig, als ich auf etwas trat, das laut knirschte. Vorsichtig hob ich meinen Fuß. Da lag sein Handy, ein Riss zierte die Verschalung und das Display war komplett zersprungen und ließ freie Sicht auf den Innenraum. Die Karte fand ich wenige Meter daneben, unter Gewalteinwirkung zerbrochen und unbenutzbar. Wahrscheinlich hatte Tim beides aus dieser Höhe auf dem Straßenpflaster zerschellen lassen. Verzweifelt stürmte ich auf die Tür zu und klingelte Sturm. Keine Reaktion. Also hämmerte ich stattdessen gegen sie und keine halbe Minute öffnete Sally nur einen winzigen Spalt breit und fixierte mich böse. "Vorsicht mit der Tür, Bursche! Tim will dich nicht sehen und mir ist es auch egal, wie du das geschafft hast, aber jetzt grade zerlegt er seine ganze Einrichtung! Wenn Mom deswegen einen Herzinfarkt bekommt, bist du fällig Stegi!" Auch sie klang heillos überfordert mit dem plötzlichen Verhalten ihres kleinen Bruders und ich witterte meine Chance. "Bitte S, lass mich mit ihm reden! Ich bring ihn schon wieder zur Vernunft, er versteht da nur etwas wahnsinnig falsch", versuchte ich bettelnd, stieß aber auf Granit bei ihr.
Sie schüttelte bestimmt den Kopf: "Kann versuchen es ihm auszurichten, aber ins Haus kommst du uns vorerst nicht. Sorry "S", aber Tim rastet sonst noch mehr aus, das kann ich Mom nicht noch zutrauen." Dann knallte sie mir die Tür vor der Nase zu, bevor ich noch etwas zu meiner Verteidigung sagen konnte. Verdammt! Toll gemacht Stegi, echt super! Ich war so ein Idiot, ein blöder verwöhnter Volltrottel!
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Blinded & Muted (#Stexpert)
Fanfiction"Ich war blind, du warst stumm. Und wir fanden einfach keine Möglichkeit, einander über diese Hindernisse hinweg zu helfen." Tim und Stegi sind seit ihrem Outing die klassischen Außenseiter. Sie werden gemobbt, geschlagen und beschimpft. Stegi sieht...