31.

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Aber Melina ließ sich auch heute Abend nicht blicken und niemand wusste, wo sie war und was sie anderes unternahm, nicht einmal Taddl. Dementsprechend angepisst saß er auch eher im Hintergrund und hing seinen trüben Gedanken nach, während wir anderen mit einer Flasche Jack Daniels um die Lautsprecher saßen, lachten, tranken und der Musik zuhörten. Nie davor hatte ich vergleichbare Lieder bei mir Zuhause laufen gehabt, doch nach einer relativ kurzen Eingewöhnungszeit, fand ich die Richtung echt gut. War mal was anderes als immer nur die langweiligen Tophits aus dem Radio. Doch durch den Beat und den Bass und unsere angeregte Unterhaltung merkte ich nicht, wann ich mit dem Alkohol die feine unsichtbare Grenze überschritt, nach der ich nicht mehr ganz so klar denken konnte wie vor der Party vorgenommen. Plötzlich erschien alles, was die anderen ebenfalls betrunken von sich gaben, ungeheuer witzig und mein Bauch begann zu schmerzen, weil ich so oft und ausgelassen kicherte und lachte. Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass ich mega die Kinderlache hatte, die sich anhörte wie ein Delfin auf Crack, aber was sollte ich bitte tun? Ich war nicht mehr Herr über meine Sinne und konnte die in einer Tour folgenden Lachanfälle nicht mehr kontrollieren.

Glücklicherweise war ich noch irgendwo weit hinten in meinem Kopf klar genug, um die anschließende "Ich hab noch nie"-Runde dankend abzulehnen, aufzustehen und nach draußen an die frische Luft zu schwanken. Dauerte zwar seine Zeit und ich stieß mehrmals beinahe mit dem Schirmständer und dem Kleiderhaken im Flur zusammen, aber irgendwann öffnete ich letztendlich die Haustür und stolperte raus in die Nacht. Mit dem ersten Atemzug klärte sich der Rausch in meinem Kopf und mir gelang es wieder, geradeaus zu laufen, ohne umzukippen.

"Hey man, fahr den Rest vom Abend lieber ne Stufe runter."

Verwirrt schaute ich mich nach demjenigen um, zu dem die Bassstimme gehört hatte und entdeckte schließlich Taddl, nur wenige Meter entfernt im tiefschwarzen Schatten der Hausfassade. Noch immer grinsend lief ich zu ihm, obwohl er nicht gerade einladend gewirkt hatte und schaute ihm zu, wie er sich einen Joint bastelte und anschließend auf seinem Handy rumtippte.

"Melina?", fragte ich.

"Ne, Ardy. Wollt mal wieder mit ihm ne Runde abhängen", klärte er mich im eher nebensächlichen Tonfall auf, schrieb die Nachricht noch schnell zuende und kniff dann die Augen zusammen, als müsste er sich zu Tode konzentrieren. Ich wusste, mit so viel Alkohol im Blut wie ich gerade hatte, machte man sich vermutlich mehr Feinde als Freunde beim Erzählen, aber dadurch überwand ich plötzlich auch die Hemmschwelle, um mit dem zwei Köpfe größeren Jungen zu reden. Hätte ich mich nüchtern wahrscheinlich nie getraut.

"Was is denn los mit dir un Melina? Ihr seht nicht gerade wie das absolude Traumpaar zusammn aus, wenn ich das mal so sagen darf!"

Taddl kratzte sich am Kinn. "Hmm, fällt den anderen also auch auf...", brummelte er, machte eine Kunstpause und seufzte dann, "ach man weißt du? Es ist einfach frustrierend mit der! Knutschen? Ja okay, wenn Madame mal danach ist, aber sie lässt mich einfach pardu nicht an ihre Möpse!"

Ich wusste nicht wirklich, was ich erwartet hatte, aber sein Gefühlsausbruch toppte alle Vorstellungen. Ich musste schon wieder kichern: Dieser Kerl, dieser ewig erwachsen wirkende, zwei Meter große, furchteinflößende und bereits tätowierte Muskelschrank von Junge besaß Gefühle und Bedürfnisse wie andere Menschen auch. Irre! Abgefahren.

Er beachtete mich nicht weiter, zog nach einem Ton, der wie ein Pistolenschuss klang und mich zusammenfahren ließ, sein Handy wieder aus der Hosentasche und tippte erneut auf dem leuchtenden Display herum. Was war das dann aber bitte für ein Nachrichtenton? Der zerstörte ja schon wieder ganz die Illusion, die ich mir bis jetzt von Taddl gebildet hatte. Aber auch schön zu wissen, dass es noch jemand anderen von Ardians alten Kumpeln gab, der sich wie Bibi ums Erhalten dieser Freundschaft kümmerte.

Meine Fantasie erlaubte sich einen Streich und ließ vor meinem inneren Auge ein Bild von mir und Tim entstehen, doch Tim war in meiner Vorstellung ebenfalls Teil der Clique. Wir hätten vermutlich den ganzen Abend zusammen rumgealbert, den Pool im Garten unsicher gemacht und wären anschließend an die Fete zusammen Heim gelaufen. Und wenn einem von uns beiden das selbe Schicksal ereilt hätte wie Ardy, wäre der andere sicherlich auch für denjenigen dagewesen. Da fiel mir auch auf, dass ich Tim echt vermisste. Lag garantiert mit daran, dass der Alkohol mich auch furchtbar sentimental machte. Also ging ich wieder rein, schnappte mir aus meiner Jackentasche mein Smartphone und versuchte ohne allzu viele Rechtschreibfehler um Mitternacht eine Whatsapp an Tim zu verfassen: "Hey timno, komm doch aucj mit her, hier ist party und allein ista doof. Wartr auf diiich!"

Naja, mehr schlecht als recht und bevor ich nochmal groß darüber nachdachte, was das morgen für Konsequenzen haben könnte, schickte ich die Nachricht auch schon ab.

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt