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Tim würde in den nächsten Tagen nicht zur Schule kommen, hatten die Ärzte gemeint. Seine Milz war leicht eingerissen, sie hatten ihn operiert und nun musste er zuerst noch in der Klinik einige Zeit das Bett hüten. Ufff, das war echt ein Schock für mich gewesen, doch im Nachhinein war ich relativ froh, dass nicht noch schlimmeres passiert war. Angeblich hätte die Ruptur nur ein wenig stärker sein brauchen und mein Freund hätte lange Behandlungen, Therapien und und und vor sich gehabt. Da waren ein oder zwei Wochen ohne ihn noch gradeso erträglich.

Seltsam war nur, dass Tim sich angeblich nicht mehr daran erinnern konnte, wer ihn erst in die hinterste Ecke des Schulhofs gedrängt und dann so dermaßen zugerichtet hatte. An alles davor und danach, dass ich zu Bibi gegangen war und dass Tobi, Rafael und kurz darauf auch ich ihn in der Raucherecke gefunden hatten, wie ich Hilfe holen wollte und dann noch der Weg mit dem Krankenwagen. Dort war er ohnmächtig geworden und ich hatte wahrscheinlich den Schock meines Lebens deswegen bekommen. Meine kranken Vorstellungen hatten Tim schon auf in den Himmel geschickt, wie er plötzlich so reglos und vollkommen stumm dagelegen hatte...

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich durch mein vieles Grübeln wach geworden war, blinzelte zum Wecker und staunte nicht schlecht. Ich war einmal rechtzeitig aufgewacht, hatte genug Zeit zum Anziehen, Frühstücken, gründlich Duschen und brauchte mich ausnahmsweise nicht zu beeilen. Mensch, das noch Wunder geschahen, voll cool! Nur leider würde Tim es nicht mitbekommen. Er brauchte heute nicht auf mich zu warten und ich nicht vor seinem Haus auf ihn. Einsam würde es werden, wo er doch in jedem Fach neben mir saß.

Meine Mutter hatte Frühschicht und musste immer schon mitten in der Nacht aufstehen und zur Arbeit fahren. Deshalb konnte sie mich auch nie wecken, sondern musste auf meine Wecker vertrauen und wie gut das ging, ist ja schon bekannt. Also frühstückte ich jetzt auch alleine, machte mich fertig für die Schule, schnappte meinen Rucksack und erschrak, als sich beim Zuschließen der Tür plötzlich eine Hand auf meine Schulter legte. "Ach hier wohnst du also Stegi? Mensch, was für ein Zufall!"

"Bibi?", keuchte ich schwach und hielt meine Hand gegen meine Brust und mein viel zu schnell schlagendes Herz darunter, "Boah, hast du mich verjagt! Mach das bitte nie wieder!"

Sie machte schnell einen Schritt rückwärts und schaute mich besorgt an. "Sorry. Uhmm, wie geht es Tim? Ich hab gestern von Rafi davon erfahren, dass er verprügelt wurde. Ist alles okay bei ihm?"

"Er... er wird erstmal nicht in die Schule kommen", murmelte ich niedergeschlagen, "können Tobi und... und Rafi vielleicht dafür sorgen, dass niemand ihn mehr attackiert? Ich hab echt Angst um ihn, nicht dass er sofort nach seiner Entlassung schon wieder verletzt wird."

Das Mädchen wiegte ihren Kopf hin und her, während sie sich in Bewegung setzte und meinen Arm mit ihren Fingern streifte: "Mal sehen was sich machen lässt. Kommst du? Oder willst du noch weiter hier rumstehen?"

Okay, ich musste das hier und jetzt klären, damit sie diese ...Dinge, wie ihr ständiges Augenklimpern, anzügliche Posen und Berührungen ein für alle mal unterließ. Es nervte gewaltig und war echt uncool dafür, dass sie, so wie ich, vergeben war und sich sonst eigentlich relativ nett verhielt. Und wenn sie damit weitermachte, würde Ardian vielleicht noch ausrasten, keine Ahnung ob er der mega eifersüchtige Typ war oder nicht, aber ich wollte es ganz ehrlich auch nicht herausfinden! Also, jetzt fragen was das immer soll, bevor sie sich eventuell noch taub stellen konnte oder nicht mehr wusste, worauf ich hinaus wollte.

"Du Bibi, was soll das eigentlich immer, wenn du mich so anflirtest? Ich finde das nicht sexy, das müsstest du doch eigentlich wissen."

Abrupt hielt sie inne und stellte sich mir in den Weg. "Okay, egal was passiert, mach solche Andeutungen auf keinen Fall vor Tobi oder Rafi, hörst du? Ich komm damit klar, aber wenn die beiden das mitbekommen, dass du dich nicht "umpolen" lässt, bist du sofort unten durch und die finden verdammt einfach einen Weg, um dich das spüren zu lassen! So wie... wie Ardy..." Müde wandte sie ihren Kopf ab und lief etwas in sich zusammengesunken weiter. Schnell holte ich wieder zu ihr auf. "Wie? Aber, Ardy ist doch nicht...?"

"Nein, natürlich nicht, aber er hatte es satt, wie seine Kumpels Leute wie dich und Tim behandeln. Er hatte nur den Vorschlag gemacht, dass sie mit dem Mobbing aufhören sollten und am nächsten Tag wurde in seiner Schultasche ein Feuerzeug, Taschenmesser und Schnapsflaschen gefunden. Mein Freund wäre nie so blöd gewesen, sowas mit in die Schule zu nehmen, nein, die anderen haben ihm das untergeschmuggelt!"

"Warum bist DU dann überhaupt noch in der Clique, obwohl du die Wahrheit kennst?", fragte ich, von diesen neuen Erkenntnissen völlig erschlagen. Zwar hatte Tim mich vor wenigen Tagen auch daran erinnert und niemand hatte den Moment jemals vergessen, als der damals noch Elftklässler plötzlich rücksichtslos und mit verquollenen Augen aus dem Schulhaus gestürmt war, vorbei an allen Schülern die auf den Pausenhof wollten. Wir alle hatten ihn gesehen und uns gefragt, was mit ihm nur sein konnte, doch wir hatten ihn danach nicht noch einmal im Schulhaus angetroffen. Jetzt kannte ich die Wahrheit. Und obwohl Bibi es auch wusste, hielt sie still. "Naja, weißt du, Melina und Dagi sind die einzigen Freundinnen, die ich hier habe. Wenn ich aussteige, hab ich niemanden mehr. Deswegen. Und jetzt komm, ich hab zuerst Mathe und will keinen Ärger bekommen!"

Den Rest des Weges verbrachten wir schweigend. Bibi hatte ihre Lippen geschürzt und starrte stur geradeaus, während ich oft zu ihr hinüberschaute und mich fragte, wie sehr sie die Clique - oder die Clique sie - wohl geformt hatte.

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt