"Ach, es ging bloß um ein Geschenk für Ardy. Er hat zwar gesagt, dass er nicht unbedingt etwas will, aber es ist immerhin sein Geburtstag und ich wollte ihn glücklich machen. Weißt du, er ist zurzeit echt niedergeschlagen, seine Ausbildung läuft nicht so, wie er es sich wünscht und mit einem Abi wäre er wahrscheinlich besser dran gewesen als nur mit einem Realschulabschluss..."
Ich nickte ein wenig abwesend, bis ich verstand, worauf Bibi hinaus wollte. "Aber ich kenne Ardian doch gar nicht und auch nicht, was er brauchen könnte."
"Aber du bist doch ein Junge, was würdest du dir zum Beispiel wünschen?"
"Was hat das damit zu tun?"
"Ach was weiß ich, vom Charakter ähnelst du ihm schon etwas, sag einfach!"Das ganze war schon wieder anstrengender für mich als erst vermutet. Vor allem, weil sie die ganze Zeit einen leicht eingeschnappten Flunsch zog und während sie sprach die ganze Zeit auf- und abhibbelte und so wahrscheinlich absichtlich ihre Oberweite extra betonen wollte. Die hopste nämlich in ihrem weit ausgeschnittenem Top munter mit ihren Bewegungen mit und war für mich im ehesten Fall irritierend und störend. Wann begriff die Welt nur endlich, was man homosexuelle egal mit welchen Reizen nicht umorientieren konnte? Diese Leute konnte man doch auch nicht zum Schwulsein zwingen, aber uns natürlich schon, jaja. Lächerlich.
Bevor ich ihr antwortete, legte ich ihr meine Hände auf die Schultern, damit sie endlich stillhielt. "Hmm... Ich weiß nicht, zockt dein Ardy gerne? Am PC oder andere Konsolen? Vielleicht würde er sich über ein neues Videospiel freuen, das ist jetzt das einzige, was mir spontan einfällt."
Ihre Augen wurden kreisrund und sie nickte verstehend. "Stimmt! Warum bin ich da nicht selbst drauf gekommen? Aber... lenkt ihn das nicht eventuell zu sehr ab? Ich weiß ja nicht wie lang ihr Kerle so am Tag spielt. Nicht dass er noch seine Stelle verliert deswegen."
Langsam riss mein Geduldsfaden. Ich hatte Tim versprochen, so schnell wie möglich wieder zu ihm zu kommen, nachdem er beinahe wieder in Tränen ausgebrochen war, als ich zu Bibi gehen wollte. Und bis jetzt hatte er mir immer noch nicht gesagt, was mit ihm los war. Ich wollte doch so gerne helfen. Wollte doch, dass er wieder so wurde wie noch vor ein paar Tagen. Aber er ließ mich nicht an seinen Problemen teilhaben, fraß allen Ärger und alle Sorgen in sich hinein und belastete sich spürbar immer weiter. Plus seine mittlerweile dauerhafte Anhänglichkeit.
"Hör mal Bibi, dein Freund wird schon wissen was gut für ihn ist. Und ich muss jetzt echt langsam zurück, Tim wartet schon! Du weißt aber nicht zufällig, warum er seit gestern so seltsam drauf ist?", fiel mir noch ein und gespannt schaute ich sie an, doch sie schüttelte nur den Kopf. "Er ist wohl sonst nicht so schüchtern?", fragte sie nach. Schüchtern sah das nach außen hin aus? Wenn ichs nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass Tim vor allem und jedem eine furchtbare Panik entwickelt hatte und ich seine einzige Rettung weit und breit war, dass jemand seine komplette Persönlichkeit umgekrempelt und auf den Kopf gestellt hatte. Apropos Rettung. "Naja, ich geh dann mal, bis später", verabschiedete ich mich hastig und merkte verdutzt, dass er nicht mehr an unserer alten Stelle stand, an der ich mich vorhin von ihm verabschiedet hatte. Ich konnte ihn überhaupt nirgendwo ausfindig machen, Tobi und Rafael ebenso wenig, wie mir mit einem Mal auffiel. Oh verdammt, nicht dass sich Tims Vermutungen noch bestätigten! Ich lief los, suchte den gesamten Schulhof nach ihnen ab und fand sie schließlich zusammen am letzten Teil des Geländes, in den normalerweise die Raucher gingen, damit sie nicht unbedingt von den Lehrern gesehen wurden. Tim sah schrecklich aus. Er krümmte sich zwischen den anderen beiden zusammen und hustete Blut, Tobi beugte sich gerade zu ihm herunter, schien ihm etwas zuzureden.
"TIIIM!", schrie ich, ließ meine Tasche fallen und rannte das letzte Stück zu ihnen, kniete mich vor meinen Freund und schaute die Jungs aus der Clique verzweifelt an. "Wer war das? Oder... Ward ihr...?"
Tobi verneinte: "Wir haben gesehen, wie ein paar andere Kerle ihn hierher geschleppt haben und konnten sie vertreiben, aber leider nicht mehr rechtzeitig. Nicht wahr Tim?"
Mein Freund schaute auf, mit einem stummen Flehen in seinen Augen, dann nickte er zögernd.
"Oh Gott, Tim! Tim!", schluchzte ich neben ihm, strich ihm über die Stirn, durch die Haare. Wer hatte ihm das angetan? Er hatte zwar keine sichtbaren äußeren Verletzungen, aber wer wusste schon genau, wie das nach einem ersten professionellen Check aussah? Was wenn er von den Schlägen bleibende Schäden davontrug?
Rafael war währenddessen ein paar Schritte von uns weggegangen und auch Tobi machte Anstalten zu gehen. "Danke dass ihr ihn gefunden habt! Wenn ihr nicht gewesen wärt dann... dann..." Ich konnte den Satz nicht mehr vollenden, doch sie verstanden, lächelten aufmunternd und kehrten um, zurück zu den anderen. Auch ich sprang auf, so sehr ich den Gedanken auch verabscheute, Tim alleine hier liegenzulassen, doch er brauchte einen Arzt, sofort! Aber ich kam nicht weit. Tim hatte mit einer Hand nach meinem Fußknöchel getastet und hob vorsichtig seinen Kopf: "St-stegi! Geh nicht! B-bitte lass mich nicht allein!"
"Du musst behandelt werden Timbo! Ich bin ja gleich wieder da und hol Hilfe für dich! Versprochen!"
Und dann, ganz langsam, verringerte er den Druck und nickte geschlagen. Während er schwer atmend seine Augen schloss und sich zusammenrollte, rannte ich um mein Leben zum Eingang vom Schulhaus. Jede Sekunde zählte jetzt!
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Blinded & Muted (#Stexpert)
Fanfiction"Ich war blind, du warst stumm. Und wir fanden einfach keine Möglichkeit, einander über diese Hindernisse hinweg zu helfen." Tim und Stegi sind seit ihrem Outing die klassischen Außenseiter. Sie werden gemobbt, geschlagen und beschimpft. Stegi sieht...