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Dagi klopfte mir aufmunternd auf die Schulter, ehe sie sich ihre Sonnenbrille wieder aufsetzte und auf die Tür zusteuerte. Ich wollte ihr sofort folgen, doch Tobi hielt mich zurück und drückte mir eine von innen gefütterte Stoffjacke in die Hände. "Dagi wird aufpassen, dass du deine Aufgabe erfüllst. Schau sie nicht zu lange an, gehe nicht zu ihr hin, rede nicht mit ihr. Helfen wird sie dir bei deiner Aufgabe eh nicht. Und falls du doch geschnappt werden solltest, empfehle ich dir, nicht unsere Namen zu erwähnen. Alles klar soweit? Dann los!"

Verdattert und dezent mit Informationen überfordert ließ ich meinen Kopf auf und ab wackeln und stolperte dann durch die Automatiktüren nach drinnen.

In dem Laden war es um einiges kühler als draußen, trotzdem fühlte ich mich wie in einer Sauna gefangen. Da waren überall Leute, so viele Leute, es war doch komplett unmöglich, hier etwas unbemerkt rauszukriegen! Und die Jacke, die der Anführer mir noch gegeben hatte, was sollte ich damit? Es war doch auch schon ohne unerträglich heiß, was erwartete Tobi von mir? Dass ich die auch noch dabei anhatte und die Show hier abzog, ohne am Ende Schwitzflecken von meiner Nervosität vorweisen zu müssen? Weil dafür wars schon jetzt zu spät.

Fahrig tastete ich den Stoff ab, langte in die Taschen und die Kapuze, ob da irgendwas drin war, was mir weiterhelfen könnte, und stoppte schließlich am dicken weichen Futter ungefähr auf Brusthöhe. Da war ein großer, ungeflickter Riss, der kaum auffiel, wenn man nicht gezielt danach suchte, und der genug Platz bot, um kleine Gegenstände darin verschwinden zu lassen. Gegenstände wie Prospekte, Stifte, vielleicht sogar ein Portemonnaie und, wer hätte es jetzt anders erwartet, geradeso auch bestimmt die eine oder andere CD. Sonst war die Jacke im Topzustand und bei einem genaueren Blick sogar ein echtes teures Markenstück. Ob die echt Tobi gehörte? Oder seinem Vater? Kennengelernt hatte ich den ja nie und ich wollte wetten, dass er sie ihm nur über seine Leiche freiwillig geliehen hätte und beim Anblick von dem etwa 20 Zentimeter langen Einschnitt bestimmt tot umgefallen wäre, wenn meine Theorie stimmte.

Siedend heiß fiel mir meine Mission wieder ein und schnell zog ich mir die Jacke über, bevor ich zielstrebig die Gänge entlangschlenderte, obwohl meine Beine mittlerweile kraftlos wie Wackelpudding schienen. Bei einem schnellen Blick um mich entdeckte ich Dagi, die scheinbar interessiert vor der Abteilung mit Schmuck und Schminke stand, aber auch den Technikkram nicht weit von ihrem Standort entfernt im Blick hatte. Mir war unglaublich mulmig zumute, während ich auf die Regale mit den CDs zusteuerte und beinahe sofort spürte, wie das blonde Mädchen mich fixierte. Jetzt gab es kein Zurück mehr!

Hoffentlich behielt Tobi recht und es gab hier im Laden tatsächlich keine Kameras, gesehen hatte ich bis jetzt zum Glück nichts auffälliges in der Art. Ich hatte große Angst davor, beim Klauen erwischt zu werden, nichts mehr von dem Held der letzten Schultage war zurückgeblieben. Eine panische Hitzewelle durchströmte meinen Körper und ich fing an in Strömen - Stopp, war ne glatte Untertreibung - ich meine natürlich in Bächen zu schwitzen. Okay, okay, Ruhe bewahren, ganz ruhig bleiben, es war doch bloß eine bescheuerte CD! Ich brauchte ja nicht einmal meine Hände super auffällig in die Taschen zu stecken, um sie zu verdecken oder festzuhalten. Eigentlich ein Kinderspiel.

Ich rückte mir das Schild meiner Käppi zurecht, suchte die Reihen nach Neuerscheinungen ab, warf meiner Beschattung einen letzten nervösen Blick zu und konzentrierte mich dann in der unendlich scheinenden Auswahl auf die angeforderte Band. Es dauerte ewig, ich kam in der Aufregung einfach nicht damit klar, nach welchem Schema die Hüllen sortiert waren. Mittlerweile schlug mir mein Herz bis zum Hals, meine Finger zitterten deutlich erkennbar und mehrmals stieß ich fast einen ganzen Stapel CDs auf einmal aus dem Regal. Dann endlich hielt ich das gesuchte Objekt in meinen leicht verkrampften Händen: Iron Maiden, The Book of Souls. Das war auf jeden Fall das neueste Album von denen.

Plötzlich erschien mir meine Aufgabe unerfüllbar. Kalte Füße. Mein Shirt sog sich nur so mit meinem Angstschweiß voll. Ich konnte das nicht. Ich konnte doch nicht einfach so Sachen unbezahlt mitgehen lassen! Langsam wollte ich die CD schon wieder zurück an ihren Platz zwischen den anderen Sachen einordnen, als ich weit hinten in meinem Kopf ein Flüstern hörte. Pussy, hallte es böse und wurde allmählich lauter. Ich riss mich am Riemen. Es war doch bloß ein beschissenes Stück Plastik, niemand außer Dagi beobachtete mich und in der Jacke würde das Ding doch gar nicht auffallen! Eine bessere Gelegenheit würde sich auch nicht noch einmal bieten! Die Abteilung war momentan wie ausgestorben.

Vorsichtig klackte ich die Hülle auseinander und tat, als würde mich das Motiv auf der Oberseite besonders interessieren, obwohl es genauso gut von außen zu bestaunen war und für mich eigentlich eher unwichtig. Durch einen ungeschickten Griff fiel die Hülle samt CD zu meinen Füßen auf den Boden, bevor ich es auffangen konnte und das darauffolgende Klappern musste wohl im ganzen Laden zu hören sein. Peinlich gerührt beugte ich mich herunter, schloss die Hülle schnell wieder und stellte sie zurück, bevor ich mich mit geröteten Wangen auf den Weg zu den Kassen machte. Die runde Scheibe auf der Höhe meines Herzens fühlte sich schwer und verräterisch auffällig an. Nicht daran denken und auf gar keinen Fall danach tasten! Sonst wäre ich echt ein Depp.

Ich schlängelte mich zwischen den anderen Kunden hindurch, entschuldigte mich mehrmals, wenn ich jemanden anstieß und wünschte der Frau an der Kasse noch einen schönen Tag. Der Ausgang war schon zum Greifen nahe, als mich ihre Stimme stocken ließ. „Sie, hey Sie da, junger Herr!" Nicht umdrehen! Jetzt ja nicht umdrehen, wegrennen okay, aber mich auf gar keinen Fall angesprochen fühlen und zu der Frau zurückgehen!

„M-meinen Sie mich?", fragte ich sie, während ich instinktiv eine 180 Grad Wendung zu ihr vollführte. Fuck. Ich war tot! So ein dummer Fehler konnte echt nur mir passieren, ich hatte es doch schon fast geschafft gehabt und jetzt konnte ich nicht einmal mehr weglaufen, weil ich mein Gesicht preisgegeben hatte. Ertappt und innerlich bibbernd, als stünde ich plötzlich nur noch mit einer Badehose bekleidet im Eiswasser, starrte ich die Verkäuferin an, die um ihren Tisch gelaufen kam und mich anlächelte. Aus den Augenwinkeln sah ich Dagi erschrocken hinter einem Aufsteller verschwinden. Ich war so hart am Arsch.

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt