8.

1K 98 6
                                    

Gegen Nachmittag klingelte ich bei meinem Freund und Sally öffnete mir die Tür. "Ach, du schon wieder?", grinste sie und ließ mich rein, "Tim hatte sowas in der Art schon angekündigt."

"Er ist nicht sauer auf mich?", fragte ich hoffnungsvoll, hörte jedoch schon gar nicht mehr ihre Antwort, denn da stürmte ich bereits die Stufen ins Obergeschoss zu seinem Zimmer hinauf. "Hey Tim, ich bin da!", rief ich und öffnete seine Tür. Er zockte gerade auf seiner Ps4, warf den Kontroller jedoch beiseite und stand auf, um mich zu umarmen. "Du hast dran gedacht", freute er sich und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Tims Zimmer hatte mir schon immer gut gefallen. Es war offen und hell, nichts unnötiges lag oder stand im Weg und er hatte einen riesigen Fernseher, auf dem er alle möglichen Spiele laufen ließ, über Autorennen hin zu Shootern bis Strategiespiele und wann immer ich ihn besuchte kam ich auch in den Genuss dieses Luxus. Eine Wand von seinem Raum war außerdem seiner Lieblingssportart Basketball gewidmet, ein Plakat klebte am nächsten und erschuf einen auf den ersten Blick sehr schrägen Kontrast zu seinem sonst so picobello aufgeräumten und ordentlichen Zimmer. Sogar seine Bettdecke zeigte ausgebreitet einen Spieler seiner Favoritenmannschaft in Aktion, doch jetzt lag sie noch vom Morgen zusammengeknüllt als großer grau-oranger Haufen Stoff auf der Matratze.

Auf die ließ ich mich fallen und Tim lehnte sich neben mir zurück und beobachtete den flimmernden Bildschirm ihm gegenüber. "Bist du mir böse, dass ich ohne dich weggerannt bin?", wollte ich schuldbewusst wissen. Aber er sah zum Glück nicht so aus als ob und zog mich anstelle einer Antwort in seine Arme. "Heyhey, ich kann dich voll verstehen, was der alte Sack vorhin mit dir gemacht hat war alles andere als in Ordnung. Hätte er mich an deiner Stelle rausgepickt, wärs mir genauso ergangen wie dir."

"Nur dass du nicht geflennt hättest deswegen, du lässt diese Scheiße einfach nicht so nah an dich ran wie ich", maulte ich neidisch. Tim hatte vor einem halben Jahr Stress mit unserer Deutschlehrerin gehabt und als sie ihn vor der Klasse hatte vorführen wollen, war er einfach aufgestanden, aus dem Klassenzimmer gegangen und hatte Musik in der Cafeteria gehört, bis ich ihn in der Pause wieder aufgegabelt hatte. Über seine Reaktion hatte niemand gelacht oder sich lustig gemacht, Pluspunkte bekam er dadurch zwar auch bei niemandem, aber er war halt cool. So viel cooler als ich. Ich ließ mich immer zur Schnecke machen und hatte nicht genug Mut oder überhaupt die Idee für solche Aktionen.

"Glaub mir, bei der Hexe in Deutsch war es einfach, so unnahbar und ignorant zu sein, aber vor dem Mathetypen hab auch ich zu viel Bammel für großartige Faxen", meinte Tim in diesem Moment perfekt ergänzend zu meinen Gedanken und begann, mit seinen Händen durch meine Haare zu streichen, ganz sanft und leicht, weshalb ich mich sofort entspannte und meinen Kopf gegen seine Schulter sinken ließ. Mein Blick blieb an dem pausierten Spiel kleben. Fifa, ein Länderspiel Deutschland gegen Lettland wenn mich nicht alles täuschte. Tim lag zwar haushoch in Führung, aber ich war auch nicht ganz unbegabt in diesem Spiel und der zweite Kontroller lag angeschlossen und ausgeschaltet neben der Konsole. Wenn ich-

Tim merkte mein brennendes Interesse wohl, aber er griff nach der Fernbedienung und schaltete seinen Fernseher aus und augenblicklich sah ich nur noch den schwarzen Bildschirm. Peinlich, ich war hier bei Tim, wir redeten grade über unsere Gefühle und ich denk wieder nur ans zocken. Um meine kurzzeitige Enttäuschung zu überspielen rückte ich noch näher an meinen Freund heran und schlang meine Arme um seine Hüfte. Er grinste, küsste mich wieder federleicht auf die Stirn und zog mich ganz langsam mit sich in die liegende Haltung, bis ich mit dem Kopf auf seinem Bauch ruhte und meine rechte Hand verschränkt war mit seiner linken. Mit dem Daumen streichelte ich über Tims angenehm raue Haut während er begann, sacht meinen Nacken zu kraulen. Es war so angenehm, dass mir mehrmals fast die Augen zufielen und ich mich ermahnen musste, wach zu bleiben. Als das immer schwieriger wurde, setzte ich mich über ihn und beugte mich zu seinem Mund herunter. Er erwiderte den Kuss, knabberte leicht an meiner Unterlippe, was ich zu genießen gelernt hatte, und bat irgendwann mit seiner Zunge um Einlass, den ich gewährte. Immer weiter ließ ich mich von Tim hinunter aufs Bett ziehen, bis ich richtig auf ihm lag und seinen Schritt an meinem Oberschenkel spürte. Schelmisch drückte ich leicht dagegen und bemerkte sofort eine Reaktion von ihm. Für einen kurzen Moment erlahmte seine Zunge in meinem Mund, was ich nutzte um sie zurückzudrängen und einmal selbst die Kontrolle zu übernehmen. Drei, vier Sekunden lang ließ er sich das gefallen, dann rollte er sich plötzlich unter mir hervor und drückte mich aufs Bett, sodass ich jetzt unter ihm lag und seine Augen funkeln sah. "Na na na, wird da jemand aufmüpfig?", kommentierte er meinen traurigen Gesichtsausdruck, dann begann er, Küsse an meinem Hals entlang zu verteilen, soweit mein Tshirt das jedenfalls zuließ. Tim musste sich mit beiden Armen neben mir abstützen, er war zwar nicht dick, aber unser Größenunterschied machte ihn doch um einiges schwerer als mich und auf Dauer direkt auf meinem Körper liegend unangenehm. Das konnte ich jetzt ausnutzen, um von seinen Händen aufwärts an den Innenseiten seiner Unterarme entlangzufahren, dann weiter zu seinen Oberarmen, an denen ich unter der Anspannung die ersten Erfolge seines neu angefangenen Fitnesstrainings erspürte.

Tim hatte unterdessen den Ausschnitt meines Oberteils erreicht und wanderte wieder zurück nach oben. Bevor er den abschließenden Kuss auf meinen Mund drückte, hielt er jedoch inne. "Versprichst du mit etwas, kleiner Dino?", hauchte er warm gegen meine Lippen und ein Kribbeln durchfuhr meinen ganzen Körper. "Ja Timbo", wisperte ich mindestens genauso leise zurück, "alles was du willst!"

Er lachte in sich hinein. "Och man, nicht was du jetzt denkst", erklärte er, dann sah er mit einem Mal ernster aus und schien in meinen Augen nach etwas zu suchen, das er nicht auf Anhieb fand. "Versprich mir, dass egal was auch passiert, sei es wegen der Clique oder etwas anderem, versprich mir, dass unsere Beziehung darunter nicht leidet. Dass wir uns trotzdem noch treffen und du mich nicht vergisst."

Uff, das war echt deep. Also nicht dass ich ihm nicht sofort mit einem ehrlich "Versprochen" darauf hätte antworten können, sondern dass er sich darum solche Gedanken machte. Schließlich hatten wir heute nur eine Pause weniger zusammen verbracht als sonst.

"Stegi?"
"Ich versprechs dir, aber-"
"Pssst"
"Aber-"
"Schhhht"
"Aber-"

Er zog sein Gesicht von mir weg, das mir bei unseren letzten Worten immer näher gekommen war und schaute mich jetzt erwartungsvoll und leicht gekränkt an. "Was aber?"

"Aber warum machst du dir darüber solche Gedanken? Du weißt, dass ich dich liebe, seit Jahren! Warum sollte sich das ändern?"

Tim schaute zur Seite und schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. "Ich hab einfach ein richtig mieses Gefühl bei Tobis Truppe", murmelte er und wollte schon komplett von mir ablassen, doch ich griff nach seinen Handgelenken und hielt ihn so fest. "Na jetzt komm schon her, ich vermiss noch was!" Aufreizend wackelte ich mit den Augenbrauen und spitzte provozierend meine Lippen, was er diesmal mit einem belustigten Schnauben und einem Grinsen quittierte. "Okay, aber beschwer dich nicht, wenn der dann Morgen früh zum Aufstehen fehlt!"

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt