5.

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Und obwohl die Nacht echt schön gewesen war, behielt ich letztendlich mit meiner Vorhersage recht. Bis zum Montagmorgen konnte ich nicht anständig laufen und sah aus, als hätte ich einen Stock im Arsch klemmen. Wie eine watschelnde Ente und als meine Mom mich nach der Übernachtung an der Haustür begrüßt hatte, konnte sie sich ihren Teil dazu sicher gut denken. Wenigstens hatte sie nichts weiter gesagt, mir ein weiches Kissen für den knarzigen Küchenstuhl besorgt und das Essen vom Vortag warmgemacht.

Jetzt musste ich mir zum Glück auch keine blöden Kommentare von meinen Klassenkameraden anhören, mir ging es wieder besser und zu meiner Überraschung war ich tatsächlich mal recht pünktlich vor Tims Haus angekommen. Nur dass um diese Zeit noch kein Tim draußen wartete, daran war seine jahrelange Erfahrung und Beobachtungsgabe schuld. Also musste ich bei ihm klingeln und während er sich ebenso erstaunt seine Jacke überwarf und Schuhe anzog, durfte ich mir von seiner älteren Schwester in höchsten Tönen anhören, dass endlich ein verdammtes Wunder geschehen sei und sie diesen Tag noch im Kalender für die Nachwelt markieren würde als den Tag, an dem Stegis Ohren für den Wecker plötzlich wieder einwandfrei funktionierten! Blöde Kuh. Eigentlich war Sally harmlos und ganz nett, aber eben auch einer dieser unausstehlichen Morgenmenschen mit viel zu viel Elan und guter Laune. Ekelhaft sowas.

"Wie kommts?", wollte Tim auch sofort wissen, als er die Tür hinter sich schloss. Scheinbar hatten ihm jetzt die paar Minuten zum Haarestylen gefehlt, denn die führen gerade Eigenregie auf seinem Kopf und sahen sehr verstrubbelt aus. Als ich nicht sofort auf seine Frage antwortete, bildete sich eine nachdenkliche Falte auf seiner Stirn. "Wir gehen doch jetzt noch frühs zum Direx, oder? Alles noch wie ausgemacht?"

"Hmm", brummelte ich unschlüssig. Die Gruppe würde uns heute sicherlich wie die Schießhunde im Auge behalten. Und ich hatte ehrlich gesagt das ganze Wochenende nicht mehr daran gedacht. "Ich weiß immer noch nicht... Ich wär dafür, bis heute Nachmittag zu warten und dann erst zu entscheiden."

Tim sah enttäuscht aus. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er sich so schnell wie nur möglich an Specki rächen wollte für die Aktion am Freitag. Aber Abwarten war wirklich besser, die Wahrscheinlichkeit war zwar nur sehr gering, aber vielleicht würden sie uns ja jetzt doch besser behandeln als vorher und wir hätten endlich die Chance, völlig bedenkenlos durch die Gänge zu laufen und als einzige Sorgen nur über unsere Hausaufgaben und anstehende Tests zu meckern. Wir wären einmal wie alle anderen, ganz normale Schüler hier am Gymnasium.

"Stegi? Hey, Stegi! Wenn du noch weiter hier stehen bleibst, hat sich dein Frühaufstehen heute auch nicht mehr gelohnt", lachte Tim, der anscheinend schon seit einer kleinen Weile versuchte, mich aus meinen Gedanken zu reißen. Meine Wangen verfärbten sich blässlich rosa, ich schnappte nach seiner Hand und verfiel in ein schnelleres Lauftempo. Normalität begann man am besten mit Pünktlichkeit. Ich wollte die Gesichter der anderen sehen, wenn das "Ehepaar" schon vor ihnen im Klassenraum saß und allen, die noch kamen, die Zungen rausstrecken konnte. Vielleicht waren wir sogar eher da als Specki, dann konnte er Tim nicht nochmal provozieren. Vor Lehrern war er nämlich auch nicht sehr mutig.

Doch schon am Schultor sank mein Enthusiasmus. Die mit den gefärbten Haarspitzen stand allein auf dem Schulhof und hielt nach jemandem Ausschau. Als sie uns sah, zögerte sie erst, dann kam sie aber auf uns zugelaufen. "H-hey, Tim und Stegi, richtig?", fragte sie nervös, der Laufbotenjob schien ihr nicht gut zu gefallen. Tim baute sich bereits schützend vor mir auf, doch mit einem entschuldigenden Blick schlüpfte ich wieder neben ihn. "Was willst du von uns, hm? Hat Tobi nicht Angst, dass du dir unseren Schwuleritis einfängst?", äffte er den letzten Teil mit Speckis Stimme und dem damals noch ängstlichen Unterton in ihr nach. Das Mädchen strich sich eingeschüchtert eine Strähne aus dem Gesicht. Ich hätte schwören können, es wären am Freitag eigentlich noch blondierte Spitzen gewesen, jetzt waren sie hellblau. "N-nein hat Tobi nicht. Er hat m-mir gesagt, ich soll euch fragen, ob ihr, ähem, ob ihr nicht mal mit uns in der Pause abhängen wollt. A-also, nur ein mal. Weil ihr uns nicht verpfiffen habt..." Sie hatte die Strähne wieder in der Hand und spielte jetzt nervös an ihr herum, während sie auf unsere Antwort wartete. Tim schnaubte sofort: "Achja? Jetzt auf einmal sind wir eure Kumpels? Könnt ihr vergessen!" Gespannt wartete er auf meine Zustimmung, doch ich schwieg. Das Angebot war verlockend. Endlich nicht mehr alleine in einer Ecke stehen müssen und uns Beschimpfungen anhören, sondern die ganzen coolen Leute an der Schule kennenlernen, die mit der Clique herumstanden; Das hatte schon was! Ich würde wieder das Gefühl einer eingeschworenen Truppe bekommen, wie früher. Ich wünschte mir das echt sehr, aber ohne Tim...?

"Du denkst doch nicht darüber nach, da mit hinzugehen, oder?", wollte er im selben Moment wissen und zögernd nickte ich. "Hör zu", verlangte ich, weil er sofort entgeistert aufstöhnte, "das ist wie ein Friedensangebot! Wenn auch nur ein kleines. Wir können jetzt Ja sagen, dann werden sie uns wirklich nicht mehr ärgern, oder wir verzichten und nichts hat sich geändert." Schnell warf ich einen Seitenblick zu der Blondine, die auf uns wartete, aber netterweise so tat, als interessiere sie der Schulhof plötzlich besonders stark, obwohl sie ihn wie wir jeden Tag sah. Ich wandte mich zurück an Tim: "Ich weiß, dass Tobi ein Arsch ist und ich hab nicht vor, mich mit ihm oder mit Specki anzufreunden. Komm schon, einen Tag nur!"

Er schaute mir unverwandt in die Augen. Weder von meinen Argumenten begeistert oder entzürnt, sondern einfach nur, als könne er meine Gedanken durch unseren intensiven Blickkontakt nachvollziehen. "Da ist noch was anderes, oder? Noch ein Grund, warum du heute zu denen gehen willst."

Ich nickte und rechnete damit, dass er spätestens jetzt enttäuscht von mir sein würde, warum er mir denn nicht reichen würde. "Ich vermisse die Grundschulgruppe", erklärte ich schlicht und er schien zu verstehen.

Das Mädchen wartete immer noch, deutlich hibbeliger, ihre Augen huschten vom einen zum anderen. "Okay, Stegi kommt heute mal mit zu euch. Ich verzichte!" Überrascht schaute ich meinen Freund von unten her an, während sie verschwand, um ihrem Boss die Nachricht zu überbringen. "Aber Tim, so meinte ich das nicht-", fing ich entrüstet an, doch er legte mir seinen Zeigefinger an die Lippen und brachte mich zum Verstummen. "Ist schon gut, eine Pause halte ich mal alleine aus. Wenn es dich glücklich macht, bin ich auch glücklich!"

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt