Blinded & Muted (#Stexpert)

33.

Irgendwann am Nachmittag, als Bibi nach mehreren ausgedehnten Stunden gemeinsam vor der Konsole schon wieder nach Hause gegangen war, summte mein Handy. Und nicht nur einmal, sondern gleich viermal hintereinander in kurzen Abständen, bevor es wieder verstummte. Verwundert stand ich auf, ich hatte Rafi doch noch gar nicht wegen dem Schulzeug angefragt und ich glaubte kaum, dass er SO zuvorkommend war, Clique hin, Clique her. Nach einem prüfenden Blick auf das Display war die Frage auch schon geklärt. Nicht Rafi, sondern Tim hatte mich angeschrieben. Alle vier Nachrichten.

"Kannst du mir das bitte erklären Stegi?!"
Foto
Foto
Video (00:15)

Huh, was denn erklären? Klang auf jeden Fall nicht gut. Und nachdem ich die Bilder heruntergeladen hatte, wurde es nicht besser.

"Woher hast du die Tim?"

"Das interessiert nicht. Hast du mir irgendwas dazu zu sagen?"

Meine Augen huschten zurück zu den Fotos. Das eine zeigte mich, wie ich heute früh Bibi umarmte. Ihre Tränen konnte man auf die Distanz nicht sehen und es wirkte deswegen, als drückte ich da meine seit Ewigkeiten vermisste Freundin an mich und nicht, als würde ich sie bloß trösten. Das zweite Bild war von vor knapp einer Stunde, als Bibi und ich uns verabschiedet hatten. Dankbar hatte sie mir da einen Luftkuss gegen die Wange gehaucht. Der Kamerawinkel jedoch ließ es wie einen richtigen Kuss aussehen...

"Das ist alles nicht so, wie es aussieht! Ich kann das erklären!", schrieb ich hastig und mit rasend schnell klopfendem Herz zurück. Das glaubte er doch nicht... Das durfte er nicht glauben!

"Na dann erklär doch mal!"

"Bibi war total am boden, ihre freundin wurde aus der gruppe geschmissen. Ich hab sie bloß getröstet!"

Ich bemerkte kaum, dass ich während des Schreibens ebenfalls laut vor mich hin argumentierte, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Aber ich hatte dieses Mal wirklich nichts falsch gemacht, oder? Jetzt war es doch wirklich nur Tim, der alles falsch verstand!

Eine Weile rührte er sich nicht, dann erschien aber doch seine Antwort: "Achso. Und im video tröstest du sie natürlich auch nur, alles klar!"

Ich stutzte, mein Finger kreiste unruhig über dem Abspielbutton. Ich hatte Angst. Große Angst. Was war wohl in diesem Video festgehalten, dass Tim so gereizt reagieren ließ? Ich holte ein letztes Mal Luft, bevor ich den Clip abspielte.

Das Ding stammte von gestern Abend auf der Party. Das erkannte ich an den breiten, teuer aussehenden Couches, die als allererstes im Bild zu sehen waren.

Dann hörte ich mich selbst im Hintergrund des Videos rufen: "Biiiibiiii! Biiiibiiii, wo biste denn?"

Mir klappte der Mund auf. Bis eben war ich eigentlich der Überzeugung gewesen, dass ich keinerlei Erinnerungslücken vorzuweisen hatte, aber die Stelle kannte ich nicht. Noch schlimmer, was auch immer noch kommen mochte, es war kein Fake. Meine Delfinlache, die kurz darauf zu hören war, konnte vermutlich niemand nachahmen.

Jemand hob jetzt die Kamera auf und zoomte auf mich, wie ich dümmlich grinsend in den Flur schwankte. "Biiiibiiii, ich geh jetzt, komm doch mal heeer!"

Kein noch so kleiner Hinweis verriet, wer das gefilmt hatte, aber die Person lief mir jetzt ebenfalls nicht mehr ganz aufrecht nach und als sie an der Tür zum Flur angekommen war, hielt ihr Aufnahmegerät in diesem Moment fest, wie ich Bibi im Flur umarmte und mich laut von ihr mit einem "Ich hab dich gern, bis morgen" verabschiedete. Die Linse wurde schnell mit einer Hand bedeckt und in den überblendeten Teil mischte sich ein schmatzendes Geräusch, das verdächtig nach einem Kuss klang. Eine weiße Schrift erschien: Na dann mal besser nicht weiter stören! Schämt euch ihr beiden!

Das wars. Und ich brach zusammen. Ich hatte Bibi gut sichtbar für alle geküsst? Und jemand hatte das alles aufgenommen und an wer weiß wie viele Leute verschickt? Fuck, nein! Nein, das wollte ich nicht! Das hatte ich nicht so gemeint! Nein, nein, nein!!

Mein Daumen fand wie von alleine die Sprachaufnahmetaste und ich schluchzte: "Das ist nicht wie du denkst! Ich war betrunken, ich erinner mich nicht daran! Bitte, ich liebe dich doch! Ich liebe dich Timbo! Das war ein Versehen, du weißt doch, dass ich nicht auf Mädchen stehe. Bitte, glaub das nicht, was du da gesehen hast!"

Ich ließ die Taste zitternd wieder los und rollte mich ganz klein auf meinem Bett zusammen. Es war vorbei. Wenn Tim mir schon davor nicht geglaubt hatte, würde er es jetzt vermutlich auch nicht tun. Ich hatte ihn verloren. Dieses Mal wahrscheinlich endgültig.

Fast hätte ich über mein lautes Aufschluchzen das Handy überhört, als es wieder summte. Hektisch griff ich danach und sah, das auch Tim mir eine Sprachnachricht geschickt hatte. "Ist das wahr?", wollte er todtraurig und ebenfalls den Tränen nahe wissen, "Versprichst du mir, dass du mich nicht anlügst?"

"Ja Tim, ich verspreche es", flüsterte ich gepresst zurück. "Ich liebe dich, bitte vergiss das nicht. Ich liebe dich über alles!"

"Versprichst du mir dann auch, dass du dich nicht mehr betrinkst Stegi?"

"Natürlich! Nie wieder, Versprochen!"