"Und dann haben die drei Mädels mir noch ihre Nummern aufgedrängt. Ich glaub, du hast Konkurrenz bekommen Timbo!"
Ich piekte ihn scherzhaft in die Seite, doch anstatt über meine Piesackereien zu schmunzeln oder sich im Gegenteil darüber aufzuregen, nickte er nur nachdenklich. "Schön dass es dir gefallen hat", murmelte er sanft, was in mir mehr Alarmglocken läuten ließ als jede andere mögliche Reaktion. Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. "Du bist aber hoffentlich nicht eifersüchtig?", fragte ich vorsichtig und ein breites Lächeln begann sich auf seinem Gesicht auszubreiten. "Quatsch. Ich weiß doch, dass du solche wandelnden Schminkschatullen nicht attraktiv findest. Ich bin nur froh, wenn wir morgen wieder zusammen stehen in der Pause."
Diese Sätze trafen mich wiederum ziemlich hart und ich blieb mitten auf dem Gang zum nächsten Unterrichtsraum stehen. "Du, Tim? Da ist nochwas", gab ich schüchtern zu und merkte, wie ihm das Grinsen augenblicklich aus dem Gesicht fiel, "Die Clique hat mich eingeladen, morgen in der Pause wieder zu ihnen zu kommen. Du darfst aber auch immer noch mit wenn du willst."
Mein Freund sah jetzt echt niedergeschlagen aus, aber bei meinem letzten Satz schüttelte er den Kopf. "Ich tu gegenüber Specki nicht so, als wäre nichts passiert", knurrte er leise, ich hatte es aber trotzdem gehört. "Na hör mal, denkst du etwas ich? Ich hab auch nur die ganze Zeit bei den Mädchen rumgehangen. Die sind netter, glaub mir, ein bisschen nervig, aber man gewöhnt sich dran!"
"Ich will mich erst gar nicht an die gewöhnen", erwiderte Tim schroff, bevor er den beleidigten Ausdruck wieder von seinem Gesicht löschte und, obwohl wir das hier an der Schule sonst nie taten, nach meiner Hand langte und sie mit sanftem Nachdruck führte. Bis zum Klassenraum wechselten wir kein Wort, dafür war es zu laut und zu eng, doch direkt vor der Tür stellte ich Tim schließlich noch zur Rede: "Würde es dir viel ausmachen, wenn ich da morgen nochmal hingehe?"
Er atmete tief ein und aus, dann schüttelte er langsam den Kopf. Aber ich glaubte ihm das nicht wirklich. Er sah dabei doch ziemlich traurig aus. "Wie wärs, dafür übernachte ich direkt heute bei dir, das ist tausend mal so lang wie die blöde Pause heute und morgen zusammen!", kam mir aus heiterem Himmel DIE Idee zur Versöhnung. Gespannt schaute ich ihn an.
Tims Mundwinkel zogen sich bei dieser Aussicht ein schelmisches Stück nach oben: "In der Woche? Obwohl morgen Schule und der Test in Chemie anstehen? Alles klar, ich wär dabei!"
Die ganze nächste Stunde über lächelte ich in mich hinein. Insgeheim hatte ich Tim schon in diesen paar Minuten Pause verdammt vermisst. Sonst lästerten wir zusammen immer über die Lehrer in den Stunden zuvor, obwohl wir uns praktisch eh ein Gehirn teilten und die Meinung des anderen in und auswendig kannten, noch bevor er den Mund aufmachte. Dass wir das jetzt im Unterricht leise nachholen mussten, trieb den Mann vorne an der Tafel schlussendlich zur Weißglut.
"Noch ein Wort, ihr beiden, und ihr fliegt raus, außer es hat etwas mit dem Schulstoff hier zu tun. Stegi, du könntest ja gleich mal beweisen, wieviel bei dir aus der Stunde bereits hängengeblieben ist: Komm vor und rechne uns die Aufgabe aus!"
Sofort herrschte Schweigen. Ich schluckte ertappt. "I-ich?", fragte ich probehalber. "Ja, du! Einen anderen Stegi haben wir schließlich nicht!"
Ich lief knallrot an, während ich zwischen den Taschen der anderen hindurch nach vorne stolperte. Schon jetzt flimmerten die mysteriösen Zeichen vorne vor meinen Augen. Ich hatte absolut keinen Plan von Mathe! Es sah alles kryptisch aus wie eine fremde oder sogar ausgestorbene Sprache. Unsicher griff ich ein Stück Kreide, blieb stehen, legte den Kopf schief und zermarterte mein Gedächtnis nach irgendeiner Formel, die mir weiterhelfen würde, aber da war nichts. Nur gähnende Leere, wie eigentlich immer in diesem Fach.
Hinter mir begannen die ersten Schüler zu lachen. Verzweifelt schaute ich Tim über meine Schulter an, doch er sah genauso ratlos aus. Rafi ein paar Reihen dahinter grinste blöd. Er war ein Genie mit Zahlen, Variablen, Umrechnungen und allem, was dazugehörte. Doch er half mir auch nicht, lehnte sich bloß zufrieden zurück und zuckte süffisant schmunzelnd mit den Achseln.
"Und, wirds heute noch was?", fragte der Lehrer von hinten, Gekicher folgte. Ich wünschte mir in diesem Moment, dass ich einfach im Boden versinken könnte, doch kein Loch tat sich auf und kein Wunder geschah. Ebenso wenig folgte eine magische Eingebung was zu tun war. "Also... ähm, zuerst... zuerst muss man...", stammelte ich, hob zweimal das Stück Kreide an und gab schließlich auf. "Ich weiß es nicht..." Beschämt und mit nassen Augen rannte ich zu meinem Platz zurück, vorbei an den lachenden und miteinander flüsternden Mitschülern. Tim strich mir aufmunternd über den Rücken, aber ich wand mich unter seiner Hand heraus, bis er es sein ließ, und presste mein Gesicht auf meine Arme. Wenn der Lehrer jetzt wenigstens seine Fresse halten würde, um nicht noch mehr Dreck in die Wunde zu reiben, doch der Kerl war schon immer ein beschissener Kinderhasser gewesen und wandte sich jetzt mit lauter Stimme wieder an die Klasse: "Seht ihr, wenn Stegi besser aufgepasst hätte, würde er auch wissen, was bei dieser Rechnung zu tun ist! Also, nochmal zum Mitschreiben: Zuerst muss man folgenden Teil der Aufgabe ausklammern, damit man..."
Ich schaltete komplett ab und begann stumm zu weinen. Der Arsch vorne konnte mich mal. Jeder andere Lehrer wusste, wie sehr Tim und ich schon so wegen unserer Beziehung vom Rest gemobbt wurden und hätte spätestens nach der Blamage an der Tafel Gnade mit mir gehabt. Nur der nicht. Nur der Mathefutzi in seinem hässlichen gestreiften Hemd musste dem ganzen natürlich noch die Krönung aufsetzen. Noch nie war ich der Schulglocke so dankbar gewesen, als sie etwa zehn Minuten später klingelte und ich alleine aus dem Schulhaus stürmen konnte, bevor mich wieder welche für meine verheulten Augen oder sonst was ärgern konnten. Nicht mal auf meinen Freund wartete ich, ich wollte einfach nur hier weg, nach Hause, mich von meiner Mutter trösten lassen und nicht mehr an diese Stunde denken müssen.
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Blinded & Muted (#Stexpert)
Fanfiction"Ich war blind, du warst stumm. Und wir fanden einfach keine Möglichkeit, einander über diese Hindernisse hinweg zu helfen." Tim und Stegi sind seit ihrem Outing die klassischen Außenseiter. Sie werden gemobbt, geschlagen und beschimpft. Stegi sieht...