In dieser Nacht bekam ich nur recht wenig Schlaf ab. Irgendwann knapp nach Mitternacht war ich wieder Zuhause angelangt, schloss mir leise auf und schlich hoch in mein Zimmer, um sofort k.o. und unglaublich müde ins Bett zu fallen. Es war bei dem einen Cocktail für mich geblieben und trotzdem fühlte es sich an, als wäre ich bei dem Trinkspiel zwischen Dagi und Melina und dem Russisch Roulette mit der Platzpatronenpistole zwischen Rafi und Tobi aktiv dabeigewesen und als hätte ich mich auch mit dem selben Zeug wie Taddl zugedröhnt. Er war später dann wieder dazugestoßen, völlig high und nach Zigarettenqualm stinkend und hatte ein letztes Mal versucht, sich an seine sturzbetrunkene Freundin ranzumachen, aber sie hatte abgelehnt und war vielleicht zehn Minuten lang vor ihm weggerannt, bevor er eingesehen haben musste, dass an diesem Abend einfach nichts für ihn zu holen war. Und trotzdem hatte ich die Party relativ cool gefunden. Die Mischung insgesamt hatte einfach gestimmt, die Musik, die gute Laune, der Friedensschluss mit Rafi... Erst kurz bevor ich komplett wegdämmerte fiel mir ein, dass ich Tim heute gar nicht besucht hatte, nicht einmal angerufen oder getextet! Aber jetzt war es dafür auch schon zu spät und ich viel zu müde. Nur mein schlechtes Gewissen blieb noch bis in meine Träume heute Nacht.
"Tut mir leid. Ihr Freund war gestern bis spät abends wach und hat auf Sie gewartet. Bitte seien Sie so gut und wecken Sie ihn nicht auf. Er braucht seine Ruhe, wenn Sie mit ihm reden möchten, können Sie nachher nochmal wiederkommen!" Ich brummte der Krankenschwester ein wenig bedusselt eine Bestätigung zu und dachte mir, dass auch ich jetzt eine gehörige Mütze Schlaf gut gebrauchen konnte. Mittlerweile fielen mir sogar im Stehen beinahe die Augen zu und es war wohl ein Wunder, dass ich den Schultag ohne plötzlich einzunicken überstanden hatte. Jedenfalls hatte sich niemand deswegen bei mir beschwert. Die Frau im Kittel trat zurück, blieb aber im Türrahmen stehen und schaute mir zu, wie ich zu Tims Bett ging und davor auf die Knie sank, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
Tatsächlich schlief er tief und fest, wie gewohnt leicht schnarchend und regelmäßig ein- und ausatmend. Es wirkte so beruhigend und vertraut, dass ich beinahe einen Arm um ihn gelegt und mich an ihn gekuschelt hätte, doch da war ja noch die Schwester, die aufpasste ob ich ihn auch auf keinen Fall aufwecken würde. Also blieb es beim sehnsüchtig Schauen und mir Wünschen, er wäre schon wieder vollständig gesund...
Wie aufs Stichwort holte Tim plötzlich im Traum schnappartig nach Luft, krümmte sich zusammen und warf seinen Kopf hin und her, jedoch ohne dabei aufzuwachen. Seine Arme kämpften gegen die dicke Decke über ihnen an und er begann, immer schneller und unkontrollierter zu atmen und sogar leise zu wimmern, als würde er von einem Alptraum geplagt. "Gehen Sie da weg! Er braucht Ruhe, lassen Sie das!" Doch ich hörte nicht auf die Pflegerin, legte meinem Freund beruhigend eine Hand auf die fiebrige Stirn und flüsterte zu ihm: "Schhhh, alles ist okay, ich bin ja hier Timbo. Alles ist gut!"
Während ich ihm vorsichtig durch die Haare und an den Wangen entlangstrich, entspannte Tim sich wieder ein wenig. Der unruhige Gesichtsausdruck verschwand, wurde durch ein leichtes Lächeln ersetzt und er drehte sich zur anderen Seite, um völlig normal weiterzuschlafen, als sei gerade überhaupt gar nichts gewesen. Eine einzelne winzige Träne kullerte aus meinen Augen und klatschte auf dem Boden auf. Wenn ich doch jetzt schon mit ihm sprechen könnte, ihn in meine Arme schließen und seine Wärme spüren dürfte. Ich sehnte mich nach seinen Berührungen von vor einer halben Woche zurück und war überrascht, dass sich das schon so lang vergangen anfühlte, als hätten wir unser erstes Mal stattdessen schon vor einem Jahr oder vor noch mehr Zeit gehabt. Seit dem Wochenende war so viel passiert, so viel was ich mit ihm bequatschen und über das ich gemeinsam lachen wollte.
Stattdessen war meine Besucherzeit für jetzt bereits zuende, ich musste zurück nach Hause, mich ausschlafen und dann am Abend noch die Hausaufgaben für morgen machen. Und in dieser Planung war noch nicht einmal mehr Zeit, um erneut mit dem Fahrrad zum Krankenhaus zu düsen, vielleicht sogar nur um nochmal mit der Nachricht abgefertigt zu werden, dass Tim nicht wach war. Es war einfach so fucking unfair, mein Freund würde denken, dass es mir egal war wie es ihm ging, wenn er mich schon den zweiten Tag in Folge nicht sehen würde. Aber ebenso wenig durfte ich mir in der Schule grundlos einen weiteren Patzer erlauben. Arrgh, zum Haarerausreißen, ich hätte gestern wahrscheinlich besser nicht zur Party gehen sollen...
Auf dem Rückweg fiel mir dann ein, dass ich Tim eine Nachricht schicken konnte. Er sollte mir dann einfach zurückmailen, wenn er wieder wach war, easy peasy, warum war ich da nicht früher drauf gekommen?
Doch egal wie oft ich an diesem Abend noch mein Handy checkte, von Tim kam keine SMS zurück.
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Blinded & Muted (#Stexpert)
Fanfiction"Ich war blind, du warst stumm. Und wir fanden einfach keine Möglichkeit, einander über diese Hindernisse hinweg zu helfen." Tim und Stegi sind seit ihrem Outing die klassischen Außenseiter. Sie werden gemobbt, geschlagen und beschimpft. Stegi sieht...