Am Freitag zitierte mich dann auch schon wieder Tobi zu sich. Er sah mich zufrieden grinsend an, Rafi ebenfalls, nur Bibi wirkte seltsam abgeneigt. Sie stand abseits der Gruppe und beobachtete das folgende eher wie aus der Ferne.
"Also Stegi, ich habe eine neue Aufgabe für dich: Und zwar sollst du uns überraschen. Zettel in deiner Klasse irgendetwas an, das cool und bemerkenswert ist! Du weißt schon, worüber deine Klassenkameraden noch ne Weile lang bewundernd tuscheln werden. Einzige Bedingung ist, dass es nicht dasselbe wie letztes Mal ist. Du hast den ganzen Tag Zeit. Na dann, gutes Gelingen Stegi!" Er klopfte mir auf die Schulter und zog mit seinen Kumpels von dannen. Nur Bibi blieb noch kurz, umarmte mich, wünschte mir Glück bei meiner zweiten Probe und lief dann dem Rest hinterher. Ich überlegte währenddessen bereits fieberhaft. Etwas cooles. Etwas, worüber man reden würde. Und egal wie sehr ich mich anstrengte, da war ein Blackout. Absolut nichts, was mir einfiel! Ich war halt nicht besonders kreativ. Das einzige, was mir in den Sinn kam, war wieder einen Lehrer anzupöbeln, aber das hatte man mir ja dummerweise verboten.
Also ging die Grübelei den ganzen Tag weiter. Ich verträumte zwei Physik, eine Mathe, zwei Englisch und eine halbe Biostunde auf der Suche nach einem Weg, um die Aufgabe zu erfüllen. Zwecklos, und das schlimmste war, dass Bio mein letztes Fach heute war. Danach hätte ich versagt. Sogar Rafi schaute mich bereits auffordernd an als wollte er mir sagen: "Mach endlich was!" Nervös und zerstreut kaute ich auf meinem Kuli und schaute auf das unfertige Protokoll unter mir. Wenn die Lehrerin das einsammelte, war ich geliefert. Wir sollten irgendwelche zuvor im Unterricht besprochenen Nachweise von Glucose an Lebensmitteln vornehmen und ich hatte kaum einen Schimmer von dem Gesagten. Wenn ich die Hitze und das kollektive genervte Aufatmen in der Klasse richtig interpretierte, hatte keiner an einem so heißen Tag Lust zu dieser Arbeit. Mit einem Blick auf die Uhr brach ich in kalten Schweiß aus. Noch fünf Minuten Unterricht! Noch fünf Minuten für das Protokoll und ebenso für die coole Aktion. Ich hatte wohl auf voller Länge versagt. Vielleicht konnte ich Tobi darum bitten, mir nochmal am Montag eine Chance zu geben, obwohl dann mit Tim alles schwieriger wurde, er wusste nichts von den Proben und würde denken, dass ich wahnsinnig geworden bin!
"Stifte weg, Blätter ordnen, Zeit ist rum!", rief genau in diesem Augenblick die Lehrerin vorne. Aufschreie von überall her: "Ich bin noch nicht fertig!", "Geben sie uns bitte noch fünf Minuten!", "Ich werde schon wieder ne Vier kriegen...", alles durcheinander, doch die Frau vorne blieb bei ihrer Aussage. "Stegi, sei bitte so nett und sammel alle Protokolle ein!"
Während ich zögernd aufstand fiel mir auf, dass ich meinen Namen auf dem ersten Bogen vergessen hatte und so um eine schlechte Note drumherum kommen würde, wenn jemand genauso schusselig gewesen war wie ich und die Lehrerin vielleicht unsere Handschriften nicht unterscheiden konnte. Und das waren vergleichsweise viele! Fast alle Mitschüler drückten mir Blätter ohne den Namen des Besitzers in die Hand, während ich durch die Reihen ging. Und da hatte ich plötzlich die Idee des Jahrtausends! Besser gings nicht! Schnell schnappte ich mir noch die restlichen Papiere und blieb dann vor dem Lehrerpult stehen. "Hier auf dem obersten fehlt der Name drauf", sagte ich fapsig, drehte mich zur Klasse und hielt den Stapel hoch. "Hat jemand vergessen, seinen Namen draufzuschreiben?" Vielleicht acht Hände gingen ertappt in die Höhe und ich hörte von der Lehrerin einen ersten missfallenden Ton. Wie sie sich erst gleich wundern würde!
"Nur so wenige? Kommt, seid ehrlich!", ich lockte sechs weitere Schüler aus der Reserve, sie schauten mich grimmig oder augenverleiernd an. Aber ich grinste vor mich hin. Gleich!
"Das ist ja unerhört! Wie soll ich denn jetzt eure Protokolle ordentlich kontrollieren?" Wütend fixierte sie die Klasse und schien auf eine Antwort zu warten. Ich hatte mich währenddessen zu einem Fenster im Raum geschlichen, öffnete dieses jetzt und gab dann stellvertretend für die anderen eine Auskunft: "Am besten werden Sie es gar nicht kontrollieren! Wir alle haben da keinen Bock drauf, deswegen will ich Ihnen einfach mal Mühe übers Wochenende ersparen."
Schnell suchte ich Rafis Blick, er schaute zurück und ich sah praktisch den Schalter in seinem Kopf klicken. Zufrieden grinste er mich an. Ich drehte mich um und warf die gesammelten Protokolle raus in die Welt, wo sie sich im seichten Wind verteilten und wie eine Art übergroßes Konfetti zu flattern begannen. Hinter meinem Rücken war eine Sekunde lang Stille, dann schien alles zu explodieren. Stühle wurden zurückgezogen, Federmappen in die Luft geworfen und über allem lag das begeisterte laute Jubeln der Klasse. Jemand klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter, umarmte mich und vorne vor dem Lehrerpult hielten ein paar sogar die vor Wut dampfende Biotante auf, damit sie mich nicht zur Rede stellen konnte. Schnell suchte ich mir einen Weg durch den feiernden Haufen, packte meine Sachen und lief schonmal vor zum Eingang der Schule, während es zum Ende des heutigen Tages läutete.
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Blinded & Muted (#Stexpert)
Fanfiction"Ich war blind, du warst stumm. Und wir fanden einfach keine Möglichkeit, einander über diese Hindernisse hinweg zu helfen." Tim und Stegi sind seit ihrem Outing die klassischen Außenseiter. Sie werden gemobbt, geschlagen und beschimpft. Stegi sieht...