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Mit der nächsten Stunde hatte ich mich soweit beruhigt, dass ich wieder zurück zu meiner Klasse konnte, die mich anstarrte, als sei mir ein zweiter Kopf gewachsen. Aber sie tuschelten nicht mehr. Sie unterhielten sich viel mehr lauthals und ich konnte verschiedene Fetzen heraushören:

"Hast du das mitbekommen?"
"Ganz leise ist die blöde Kuh auf einmal geworden!"
"...was er nächstes Mal für Ärger kriegt!"
"Boah, das hätte ich mich nie getraut, obwohl's ja stimmt!"
"Du hättest Rafael sehen müssen, der hat geguckt, als hätt er n Gespenst gesehen!"

Unauffällig schaute ich mich nach Specki um und tatsächlich! Er sah noch immer geschockt aus. Mit ungläubigem Blick musterte er mich von hinten und schaute schnell missmutig weg, als er merkte, dass ich ihn ebenfalls beobachtete. Tief in mir stieg dabei ein leichtes Triumphgefühl an. Er würde sich nicht trauen, Tobi das Geschehene zu verschweigen. Wenn er mich so ansah ganz gewiss nicht. Rafael war immer ein Musterschüler gewesen, in allen Fächern relativ gut und stand nie mit einem Lehrer auf Kriegsfuß. Inoffiziell, nach außen tat er vielleicht auf Obermacker und Schulhasser, aber das war er nicht. Und ER hätte sicherlich niemals im Leben die Eier dazu, sich bei den Lehrpersonen unbeliebt zu machen. Er war neidisch. Bestimmt. Wenigstens minimal, dass ich etwas geschafft hatte, was er mir nie zugetraut hätte.

Und ich sollte recht behalten. Nach den letzten beiden Stunden, in denen ich ausnahmsweise aufgepasst hatte wie ein Jagdhund auf seinen Knochen, liefen wir beide zusammen zum Schultor, jedoch ohne miteinander zu reden oder einander auch nur anzusehen. Tobi kam uns bereits entgegen und aus meinem zufriedenen Gesicht mussten Bände sprechen. "Sag bloß du hast einen Lehrer richtig schön zusammengenießt? Wer war denn das Opfer, Rafi?"

Mein Klassenkamerad wendete sich zur Seite ab. "Die dumme Kunstfotze, die mit den Schraubenzieherlocken und den wässrigen Augen", nuschelte er gradeso laut genug, damit die ganze Clique es hören konnte. Dagi löste sich von ihrem Platz neben Tobi und umarmte mich stürmisch, Melina machte mit beiden Händen eine Daumen-hoch Geste und Tobi nickte zufrieden. Nur Taddl zeigte wie immer keine Regung und Bibi schaute eher missbilligend zwischen den anderen hin und her. Als sie mich ansah, legte sie ihre Stirn in Falten.

"Aber die Sechs hat sie dir wirklich eingetragen", fügte Rafael trotzig hinzu und ließ mich aus allen Wolken fallen. "Oh fuck, ehrlich jetzt?"

"Ist dir ja anscheinend doch nicht so egal wie vorhin noch gesagt, was?"
"Ach sei still Junge!"
"Oder was?"
"Oder ich-"

Taddl verleierte seine Augen, stellte sich zwischen uns und zog uns am Kragen auseinander, so spielend einfach, als trennte er zwei zankende Kindergartenkinder. Dezent beschämt ging ich zu Bibi hinüber, die einen Arm um mich legte.

Tobi seufzte, sein Blick blieb aber eiskalt: "Okay keine Streitereien in der Clique, nochmal wiederhole ich mich nicht. Zu dir Stegi, die erste Mutprobe hast du bestanden. Vielleicht geben wir dir nach der nächsten sogar eines dieser Lösungsblätter für die Prüfungen. Aber bis dahin ist noch Zeit, wer hat Bock auf ne Party heute Abend bei mir?"

Alle stimmten sofort begeistert zu, nur ich blieb jetzt als die letzte skeptische Person übrig obwohl ich wusste, dass besonders Rafael nur so nach Gründen suchen würde, um mich niederzumachen. Aber ich wollte doch noch Tim besuchen gehen und morgen war Schule! "Sollten wir das nicht besser aufs Wochenende verschieben?", fragte ich vorsichtig und spürte Bibi neben mir mit dem Kopf schütteln. Doch Tobi hatte mich auch gehört: "Hm? Warum? Hast du Angst, dass du morgen im Unterricht einpennst oder was? Du hast doch heute deutlich zum Ausdruck gebracht, wie egal dir das sein sollte, oder etwa doch nicht?"

Ein Nicken von Rafi, gefolgt von einem fiesen Grinsen. "Na, siehst du? Oder wärst du nicht mutig genug, um das auch morgen nochmal zu wiederholen?"

Eigentlich nicht. Ich hatte nicht vor, mich bei noch einem Lehrer unbeliebt zu machen. Aber das konnte ich ja wohl schlecht zugeben. Sonst wäre alles heute umsonst gewesen. Ich würde nur meine Mom anschwindeln müssen, dass ich nochmal abends ins Krankenhaus zu Tim wollte, um... um ihm seine Schulsachen zu bringen, weil-weil wir ja demnächst eine große Arbeit schreiben würden, genau an dem Tag, an dem er laut den Ärzten wieder fit genug war, um den Unterricht zu besuchen. Joah, das klang recht plausibel. Und meine Mutter forschte da nie so sehr nach, dass es für mich wegen dieser Lüge brenzlich werden konnte.

"Ach scheiß drauf, ich bin heute Abend dabei!"

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt