6.

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Es fühlte sich seltsam an, sich nach der zweiten Stunde von Tim zu verabschieden und in eine völlig andere Richtung auf dem Pausenhof zu gehen als er. Zweimal hatte ich noch versucht ihn zu überreden, nur mal für die 20 Minuten mitzukommen und sich zu uns zu stellen, doch beide Angebote hatte er abgewürgt und mir versichert, dass das für ihn okay war, einmal alleine in unserer Ecke zu verbringen. Schließlich hatte ich dann aufgegeben.

Die Clique war nicht zu übersehen. Beziehungsweise der Kreis aus Mitschülern, die sich mit ein wenig Respektabstand um sie tummelten. Mit vielen "Sorry"s quetschte ich mich durch die Menge und wurde auch schon sofort von Tobi begrüßt. "Na Stegi? Dein Kumpel wollte nicht?" Ich erwiderte den Handschlag, den er mir anbot, verneinte seine Frage und drehte mich dann um die eigene Achse, um diesen besonderen Eindruck in mich aufzunehmen. Die ganzen Leute, die mit zu den angesagten gehören wollten, es war so beeindruckend. Völlig mitgenommen von dieser Erfahrung merkte ich spät, dass sich die drei Mädchen der Clique um mich gruppiert hatten. "Hi Stegi", klimperten sie mit ihren nachgezogenen Wimpern und gaben sich sichtlich Mühe, um mich mit ihrem Gehabe irgendwie zu verführen. Wirkte bei mir aber nicht. "Hey", murmelte ich bloß und versuchte über die Köpfe der anderen einen Blick auf Tim zu erhaschen, aber ich war natürlich zu klein und konnte nicht über die Köpfe der anderen schauen. Typisch.

"Also, ich bin die Melina", stellte sich jetzt die größte der dreien vor, die mich locker um einen halben Kopf überragte. "Das ist Bibi", ihr rechter Arm schlang sich um die Schulter des Mädchens, das mich heute früh abgefangen hatte und die mich jetzt strahlend anlächelte, "und sie heißt Dagi!" Dagi hatte ich bisher nur ab und zu im Vorübergehen gesehen, auch sie war blond, doch ihre Haare sahen weder blondiert, noch gefärbt aus. Dafür zerstörte das Make-Up besonders um ihre Augen das bisschen Natürlichkeit wieder. Auch sie strahlte mich offen an und konnte es sich nicht nehmen lassen, auf mich zugestürmt zu kommen und mir jeweils einen Kuss gegen die Wangen zu hauchen, wie sie es wahrscheinlich jeden Tag zur Begrüßung bei ihren Freundinnen tat. "Uuuuuh", kam es von den beiden, als Dagi sich wieder von mir löste und ich mir mit einer Mischung aus Peinlichkeit und Trotz über mein Gesicht rubbelte. Wer weiß, am Ende hatte ich noch Abdrücke von ihrem Lippenstift dort und vor Tim eine Menge Erklärungsbedarf. "Ihr wisst aber schon-", setzte ich beleidigt an, doch ich wurde überschwänglich unterbrochen. "Ach maaan, nimms nicht so schwer, wir sind eh alle vergeben!" Das Blondchen, das mich umarmt hatte, legte einen Arm um meine Schulter und zeigte auf Specki, der sich mit Tobi unterhielt. "Der da, der mit den Muskeln, das ist mein Freund Rafi!"

Auch Melina meldete sich darauf zu Wort. "Und ich date zurzeit Taddl, also alleman Pfoten weg von ihm!" Taddl war dann also der große, wortkarge Junge, der immer mit bei der Gruppe stand. Vermutete ich jetzt. Obwohl mich die ganze aufgesetzte Heiterkeit ein klein wenig nervte, drehte ich mich zu Bibi und schaute sie fragend an. "Und du?"

Sie zuckte ein bisschen zusammen und bevor sie etwas sagen konnte, lehnte Dagi sich auch schon dazwischen: "Nun, sie wäre momentan single Stegi, aber sicherlich würde sie gerne Tobi fragen, ob er-"

"Sei ruhig Dagi", unterbrach Bibi sie unwirsch, "und hört doch alle mal eine Sekunde auf so zu tun, als wäre mein Freund nicht mehr existent, nur weil er Tobi nicht in den Kram gepasst hat!"

"Ardy hätte unsere Gruppe beinahe verraten", warf jetzt auch noch Melina ein, doch dann hielt sie ihren Mund mit den Händen bedeckt, als sie bemerkte, dass sie ihre Freundin mit diesen Worten soeben sehr verletzt hatte. Das Ganze endete irgendwie in einer Gruppenumarmung mit vielen "Entschuldigung"s, "Tut mir leid"s und "Wir bleiben immer beste Freundinnen"s, nur dummerweise stand ich noch immer zwischen den dreien und war total überfordert, als ich fast von ihnen zerquetscht wurde. Sanft bahnte ich mir einen Weg aus ihren Armen und schaute mich stattdessen nach diesem Taddl um. Vielleicht war er ja ein ganz umgänglicher Typ. Doch als ich ihn dann wenige Meter vor mir sah, wie er mit dem Rücken zum Rest der Gruppe dastand und finster dreinblickend sein Frühstück verdrückte, dachte ich mir doch, dass sich irgendwann mal ein günstigerer Zeitpunkt zu einem Gespräch mit ihm ergeben würde als jetzt. Dummerweise waren die einzigen noch übrigen aus der Clique Specki und Tobi, mit denen ich auch nicht wirklich viel reden wollte. Also genoss ich lieber ein Stück abseits das Gefühl, irgendwie beliebter zu sein als sonst, was natürlich Quatsch war, aber die vielen Schüler, die noch immer einen großen Kreis um uns bildeten, verstärkten meinen Glauben daran erheblich. Für einen Tag mal angesagt. Für 20 Minuten mal mit der coolsten Gruppe der Schule abgehangen. Und bisher hatten sie mich oder Tim nicht einmal beleidigt oder Witze auf unsere Kosten gemacht. Vielleicht würden sie uns ab jetzt wirklich in Ruhe lassen. Das war echt ein toller Tag bisher! Und nachher konnte ich meinem Freund davon erzählen und wir brauchten nicht zum Direktor rennen!

Zwei Arme schlangen sich von hinten um meinen Hals und überrascht schaute ich Bibi an, die mich zurück zu ihren Mädels zerrte. "Mensch, warum rennst du denn sofort weg? Du brauchst doch nicht so verloren da drüben rumstehen, komm, bei uns ist noch ein Platz!"

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt