10.

937 98 12
                                    

"Und? Rafi hat gesagt, ihr habt heute eine Arbeit geschrieben, wie liefs für dich Stegi?"

"Ganz gut", antwortete ich Bibi und spähte zu Tim herüber, der im selben Moment ebenfalls den Kopf hob. Heute standen nicht mehr ganz so viele Leute um die Clique und ich brauchte mich nicht unmöglich zu verrenken, um ihn zu sehen. Ich lächelte schüchtern und er winkte vorsichtig, bevor er sich wieder auf sein Pausenbrot konzentrierte. Da fiel mir ein, auch ich hatte heute ja noch nichts gegessen und sofort knurrte mein Bauch wie ein verdammt wütender Grizzly auf Diät. Bibi verstand meinen entschuldigenden Blick und aufmunternd lachend gesellte sie sich zurück zu ihren Mädels und Taddl, der aufgrund seiner Größe ein wenig fehl am Platz wirkte und es sich gefallen ließ, von Melina angeschmachtet und zu Tode geknuddelt zu werden. Wenn ich das SO mit Tim machen würde, wäre ich selbst bei seiner unendlichen Geduld mindestens nach einem Tag noch einen Kopf kürzer, als ich ohnehin schon war. Aber er ertrug es größtenteils schweigend, während vor allem Dagi wie ein kleines Kind begeistert um die beiden hüpfte und scheinbar bekundete, wie super die beiden zusammenpassten.

Hungrig holte ich mein Fresspaket aus meinem Rucksack und biss eben in mein Brot, als mir jemand auf die Schulter schlug und ich mich an dem Stück verschluckte. "Oh, sorry Kumpel!", meinte Tobi hinter mir und klopfte auf meinen Rücken, während ich mir die Seele aus dem Leib hustete. Als ich endlich wieder normal Luft bekam, schaute ich Tobi missmutig an. "Wofür war das denn?", brummte ich, doch mein Gegenüber schien sich nicht wirklich einer Schuld bewusst. "Joah, konnte ja nicht wissen, dass du dich so erschreckst", tat er meine schlechte Laune ab und pfiff dann Specki zu sich. "Hey Rafi, komm eben mal ran!"

Specki sah nicht sehr begeistert aus, gehorchte seinem Anführer aber und schaute mich aus schmalen Augen an. Schon in der zweiten Stunde hatte er vor Schadenfreude gestrotzt, als Tim und ich komplett außer Atem und noch geradeso rechtzeitig im Klassenraum angekommen waren. Ich musterte ihn ebenfalls unfreundlich, obwohl ich innerlich ein wenig Bammel davor hatte, dass die beiden mich jetzt eventuell in die Mangel nahmen.

"So, hört zu. Innerhalb meiner Clique möchte ich keinen Zoff. Jeder ist jedermanns Bro, verstanden? Also möchte ich jetzt, dass ihr eure Streitigkeiten vergesst und zwar bevor hier irgendwas ausartet. Hand drauf, aufs Indianerehrenwort verzichten wir mal dankbar."

Wir beide schauten uns verwirrt an, dann sprach Specki es zuerst aus: "In unserer Clique? Das kannst du nicht ernst meinen oder, Chef?"

Währenddessen wurde ich innerlich ganz zappelig. Wenn ich dachte, was Specki dachte, was Tobi- ach ihr wisst schon, wenn die mich wirklich in die Gruppe aufnehmen wollten, das wäre sooo cool und endlich die Garantie für mich, dass sie mich und Tim nicht wieder mobben würden, vielleicht sogar den anderen klarmachten, dass sie uns in Ruhe lassen sollten! Ich hoffte, die anderen sahen nicht, wie aufgeregt ich wirklich war.

Tobi wandte sich eben an Specki: "Doch, das meine ich ernst. Aber keine Sorge, wir werden erst noch schauen, ob er geeignet ist." D-das klang jetzt aber wiederum gar nicht nett! Vor allem, weil Specki plötzlich ohne weitere Diskussionen seine Hand ausstreckte und mich auffordernd und provozierend anschaute. Vorsichtig schaute ich zu Tobi. "Wie, schauen ob ich geeignet bin? Wer sagt überhaupt, das ich dabei sein will?"

Er zuckte mit den Schultern. "Du hast gestern noch recht begeistert ausgesehen, als du bei uns stehen durftest, oder täusche ich mich da? Und keine Angst, wir machen schon nichts gefährliches mit dir, nur ein paar kleine Mutproben, nicht der Rede wert!"

Das beruhigte mich nicht gerade wahnsinnig, auch Specki sah keinen Deut enttäuschter aus. Sein bester Kumpel würde ich nie werden. Aber trotzdem schlug ich mit ihm ein, es war besser für Tim und mich und das war es, was für mich zählte. Mutproben klang zwar nicht erbaulich, aber selbst das würde ich schaffen, wenn es uns beiden half dann erst recht. "Einverstanden! Ich bin dabei!"

Specki grinste zurück, während er den Händedruck erwiderte.


Vielleicht hätte ich hier bereits merken müssen, dass an der Sache etwas faul war und Tobi und Rafi einen Plan hatten, ein Ziel verfolgten. Doch ich war zu geblendet von der Möglichkeit, zu ihnen zu gehören und uns beiden gleichzeitig zu helfen. Wirklich niemand hätte ausgerechnet mich gewählt, um Teil einer Truppe aus angesagten Menschen zu sein, wenn man damit keinen Gewinn für sich herausschlagen konnte. Genau das passierte leider schon viel zu früh nach diesem Tag und ich war zu naiv, um selbst das Offensichtliche zu sehen und begreifen.

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt