"...Stegi? ...Stegi, was ist los? Bitte mach die Augen auf! Stegi!"
Ich blinzelte und wusste nicht, wo ich war. Über mir war Sonnenlicht, unter mir etwas kaltes, eine weiche Hand tätschelte mir gegen die Wange und sofort beugte sich ein Gesicht über mich. Bibis Gesicht. Das Denken fiel mir unglaublich schwer. "Was ist passiert?", wollte ich mit undeutlicher Stimme von ihr wissen und sah, wie sie erleichtert Luft schnappte. "Gott sei Dank bist du wieder wach! Du bist eben einfach umgekippt. Fast noch auf die Straße und du hast dich nicht mehr gerührt. Ich hatte Panik bekommen! Du... du blutest da ein bisschen..."
Vorsichtig strich ich mir über die Wange, auf die Bibi zeigte, und tatsächlich waren meine Fingerspitzen rot benetzt, als ich sie zurückzog. Dazu kam mit einem Schlag ein pochendes und ziehendes Gefühl an eben dieser Stelle, dass mich kurz zusammenzucken ließ. Ich versuchte, mich aufzurichten, was beim ersten Versuch misslang, weil meine Arme sich wie aus Gummi anfühlten, dann half mir das Mädchen dabei und schließlich saß ich gegen eine Hausfassade gelehnt da und suchte in meiner Schultasche nach meiner Wasserflasche. In meinem Mund herrschte ein Geschmack wie Sand vor. Auch hier brauchte ich Hilfe beim Öffnen, aber nach ein paar Schlücken ging es mir bereits besser. "Danke Bibi", keuchte ich und meinte damit alles, was sie bisher für mich getan hatte. Ich glaubte, ich hatte mich bis dahin noch nie wirklich und aufrichtig bei ihr für ihre Mühen bedankt. Sie lächelte zurück. "Kannst du aufstehen? Tut dir noch irgendwas weh, das sah vorhin echt schmerzhaft aus, vor allem an den Schultern und-"
Trotz meiner leichten Schwindelgefühle drückte ich mich teils an der Hauswand, teils aus eigener Kraft nach oben und bewegte mich vorsichtig etwas, aber bis auf meine aufgeschürfte Wange schien zum Glück alles in Ordnung zu sein.
"Komm, wir müssen zur Schule! Treten wir dem Rest der Clique in den Arsch!", meinte ich optimistisch und hob meine Tasche vom Boden auf. Bibi aber musterte mich skeptisch: "Obwohl du eben erst ohnmächtig warst? Überstehst du denn so den Tag?", wollte sie wissen und ich nickte. "Ich muss! Für Tim. Heute zeigen wir denen, dass wir uns nicht einfach von ihnen herum schubsen lassen!"
"Huhu, sorry dass wir heute früh nicht am Treffpunkt waren", entschuldigte ich mich und Bibi, als wir zur Hofpause im Laufschritt zu der Truppe trafen. Taddl schaute noch immer verstimmt drein, aber Tobi und Rafi wirkten nicht weiter verärgert, im Gegenteil. "Und, den Kater gut überstanden? Was ist denn mit dir passiert Stegi?"
"Ehekrieg", murmelte ich, "danke dass du gesagt hast, ich soll möglichst von Tim wegkommen. War echt übel, ich hätte nie gedacht dass er so gewalttätig werden kann!"
Innerlich hasste ich mich für meine Worte, aber noch brauchte ich die Jungs auf meiner Seite. Noch hatte ich die Lösungsblätter nicht, das wichtigste in meinem Plan. Bibi neben mir warf mir einen erschrockenen Blick zu und bevor sie etwas unüberlegtes oder auffälliges sagte, drückte ich schnell ihre Hand mit meiner und hoffte, ihr so das Signal geben zu können, dass ich wusste was ich da gerade tat. Nur hatte Dagi das auch mitbekommen. "Ach sagt bloß, ihr seid jetzt dafür zusammen?! Woah, Glückwunsch ihr beiden, ich wusste schon immer, dass ihr gut zusammenpassen würdet!"
Ich lächelte scheu und ließ Bibis Hand nach kurzer Zeit wieder los. Sie hatte offensichtlich verstanden. "Du, Rafi? Kann ich vielleicht noch den Prüfungszettel von dir haben? Morgen wollte die Ethiktante ja noch was schreiben", erinnerte ich ihn vorsichtig und grinsend beförderte Specki den glattgestrichenen Zettel zutage. "Die Mailadresse von dem Typen steht ganz unten. Schreib in Zukunft einfach ihm, wenn du Nachschub brauchst. Bitteschön Kumpel!"
Ich wollte schon nach dem Blatt greifen, als Tobi dazwischenschritt, Rafi den Zettel entriss und auf mich herunterblickte. Ertappt schluckte ich. War das schon zu auffällig? War der Plan jetzt gelaufen? "Wir haben doch noch etwas total vergessen!", stellte er mit einem dezent gefährlichen Unterton in der Stimme fest, "oder täusche ich mich da, Leute?" Dagi horchte auf und sogar Taddl löste sich murrend von seinem Posten. Langsam kamen sie auf mich zu und umstellten mich im Halbkreis. Ich bekam Panik. Hatten sie mich durchschaut? Was würden sie jetzt mit mir tun? Würden sie ihre Ankündigung wahrmachen und mich so zurichten, dass ich für mein Leben lang zu traumatisiert war, um jemals wieder einen Laut von mir zu geben? Ich spürte, wie Bibi hinter meinem Rücken meine Hand umschloss und mindestens genauso verängstigt wie ich felsenfest zudrückte.
"Wir haben dich...", fuhr Tobi fort, "...noch gar nicht offiziell in der Clique begrüßt! Alles Gute Stegi, du hast es geschafft, ohne auch nur einmal an einem Hindernis zu zögern oder zu scheitern! Willkommen in unserem Kreis! Hier hast du die Kopie."
Mir fiel ein Stein vom Herzen, fast genauso schwer wie der im Laden, als ich die CD mitgenommen hatte. Dagi warf sich mir um den Hals, Rafi pfiff und applaudierte und Taddl schüttelte mir grimmig lächelnd die Hand. Meine Erleichterung war so überwältigend, dass sie locker auch als ehrliche Freude über den neuen Stammplatz in der Gruppe durchging. "Danke man, echt cool!", stammelte ich, während mich Bibi mit einem geheimnisvollen Lächeln beiseite zog. Genauso breit zurücklächelnd ließ man uns auch ziehen.
"Und was jetzt?", wollte sie nervös wissen.
"Jetzt gehen wir und tun das, was ich schon von Anfang an hätte tun sollen!"
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Blinded & Muted (#Stexpert)
Fanfiction"Ich war blind, du warst stumm. Und wir fanden einfach keine Möglichkeit, einander über diese Hindernisse hinweg zu helfen." Tim und Stegi sind seit ihrem Outing die klassischen Außenseiter. Sie werden gemobbt, geschlagen und beschimpft. Stegi sieht...