14.

857 92 7
                                    

Der Blumenstrauß in meinen Händen duftete unglaublich stark, als ich das Krankenhaus betrat und der beißende Wind von draußen augenblicklich stoppte. Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, an den Rosen nochmal ausgiebig zu schnuppern und meine Sorgen für den Bruchteil einer Sekunde aus meinem Kopf zu vertreiben. Auf der einen Seite freute ich mich, nach einem timlosen Schultag zu sehen, wie es meinem Freund ging, auf der anderen Seite hatte ich genau davor Angst. Was wenn die Ruptur doch schlimmer war als erwartet? Wenn sie ihm das betroffene Organ hatten entnehmen müssen und er somit wahrscheinlich über ein halbes Jahr an sein Bett gefesselt war? Nein, das konnte und wollte ich mir einfach nicht ausmalen!

Eine der Krankenschwestern führte mich die Flure entlang bis zu Tims Zimmer. Ich zappelte auf dem ganzen Weg und drückte mich mit geröteten Wangen an der Frau vorbei, die mir die Tür aufhielt und sanft lächelte. "Er ist gerade wach, aber die Operation dürfte ihn ziemlich geschafft haben. In zehn Minuten müssen Sie leider wieder gehen."

Tim saß halbwegs aufrecht in seinem Bett und schaute sehnsüchtig zum Fenster hinaus. Als er mich jedoch bemerkte, lächelte er augenblicklich wieder. "Hey Dino", krächzte er mit brüchiger Stimme und breitete unter einiger Anstrengung seine Arme aus, aber ich hielt mich zurück, damit ich ihm durch meinen Schwung bei unserer Umarmung nicht noch wehtat. Wie hatte ich ihn doch schon nach so wenigen Stunden vermisst! "Wie war die OP?", wollte ich wissen, "hast du etwas davon mitbekommen? Wie lange musst du noch hierbleiben?"

Tim schmunzelte spürbar und begann, mir langsam über den Rücken zu streichen. "Noch eine Woche, dann kann ich aber sogar schon wieder an die Schule gehen. Die Ärzte meinten, ich hätte nochmal Glück gehabt und bei dem Eingriff sei alles gut und nach Plan verlaufen."

Ich glaubte, in seiner leisen, beruhigenden Stimme ein Fünkchen Trauer mitschwingen zu hören und löste mich vorsichtig von ihm. "Du weißt wirklich nicht mehr, wer das war, Timbo?"

"Nein... ich- ich weiß es nicht mehr..."

Er wich meinem Blick aus, während er das sagte, und ich bekam ein ganz mieses Gefühl. "W-warte mal Tim. Lügst du mich grade an? Schau mir in die Augen!"

Er tat, als würde er mich nicht hören. Entsetzt machte ich einen Schritt rückwärts. "Du weißt nicht nur wer, du wusstest auch, dass sie dich in dieser Pause auflauern würden! Deshalb warst du so nervös und verschreckt! Du hast das alles gewusst und mir nichts davon gesagt?! Warum? Warum hast du mir ausgerechnet das verheimlicht? Ich wäre doch niemals weggegangen, wenn du etwas gesagt hättest! Ich bin fast krank vor Sorgen und du akzeptiert das einfach so - das... das..." Ich rang erfolglos nach Wörtern, die dem Chaos in mir Ausdruck verleihen konnten, während mein Freund immer kleiner in sich zusammensank und seine Hände musterte, als gäbe es Wunder weiß was auf ihnen zu sehen. "Warum?", stellte ich die letzte verzweifelte Frage an ihn, der Blumenstrauß, den ich noch immer umklammert hielt, fing an unter meinen zitternden Fingern zu rascheln. "Warum hast du niemandem Bescheid gesagt?"

"Weil ich nicht wollte, dass es dir schlecht geht, Stegi", flüsterte Tim kaum hörbar und ich brauchte einige Sekunden, um mir einen Reim auf seine Worte zu machen. "Aber mir geht es schlecht Timbo! Ich mache mir Sorgen um dich! Du kannst echt froh sein, dass Tobi und Rafael dich gefunden haben, bevor es dir UND mir noch schlechter geht!"

Er blinzelte und schaute zu Boden. "Ja, muss ich dann wohl... Stegi?"

"Ja?"
"Komm bitte her. Ich will nicht mit dir streiten. Du bist mein Freund, egal was passiert!"

Ich nickte, stürzte dieses Mal wirklich unüberlegt auf ihn zu und hörte ihn vor Schmerzen aufstöhnen. "Oh fuck, das wollte ich nicht, tschuldigung Tim!", rief ich sofort, aber da hatte er mich schon an sich gepresst und zog mich beinahe zu sich auf das Krankenbett. Ich setzte mich auf den Rand seiner Matratze und erwiderte die Umarmung, worauf ich von Tim jedoch ein wohliges Gähnen hörte. Ihn musste die OP mehr geschlaucht haben, als er vorhin zugegeben hatte. Leider kamen so auch die anderen Gedanken zurück. Warum hatte er mich angelogen? Vertraute er mir nicht mehr? Dachte er, ich würde ihn im Stich lassen?


Leider war ich nicht schlau genug gewesen und habe die falschen Schlüsse gezogen. Dabei hatte ich sogar alles gesehen und gehört, um zu begreifen und das einzig richtige zu tun. Aber ich habe dich nicht verstanden, obwohl du mit allen möglichen Mitteln kommuniziertest. Hätte ich gewusst, wie sehr du bereits in ihrem Netz gefangen warst, wäre ich dir zu Hilfe geeilt, um jeden Preis, so schnell wie nur möglich. Aber so kam eins zum anderen und während deine Welt allmählich aufhörte sich zu drehen, kam meine ab diesem Tag erst so richtig in Fahrt.

Blinded & Muted (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt