Mit Tobis Beschreibung fiel es mir im Halbdunkeln wirklich leichter als gedacht, sein Haus zu finden. Er wohnte in einer völlig anderen Gegend als ich oder Tim. Es war ein Einfamilienhaus, dass sich aber über zwei Etagen erstreckte und schon von außen sehr schick und modern aussah und letztendlich alles noch mit einem eigenen großen Pool im Garten toppte. Fuck, waren seine Eltern Millionäre oder warum hatte der Typ alles was er wollte? Da brauchte es mich ja gar nicht zu wundern, dass so viele Schüler versuchten, sich bei ihm einzuschleimen, um einmal in ihrem Leben zu ihm nach Hause eingeladen zu werden.
Durch die Glaswände des Wohnzimmers unten konnte ich eine kleine Bar mit Drinks und fetten Musikboxen sehen. Den Bass glaubte ich sogar bis nach draußen zu spüren. Überwältigt klopfte ich und wurde von Bibi empfangen, die mich auch sofort eine Runde durchs Haus führte. Rafi und Dagi schienen noch nicht da zu sein, dafür saßen Taddl und Melina bereits auf einer der breiten Couches, beide mit einem Cocktail in den Händen und der große, tätowierte Junge versuchte sich ihr immer wieder anzunähern, doch ausgerechnet immer dann drehte sie sich leicht zur Seite, redete mit ihrem Gastgeber oder stand auf, um irgendetwas in ihrer Handtasche zu kramern. Wie ein verdammt schlechter Slapstick halt. Nach einiger Zeit wurde es Taddl dann scheinbar zu doof, denn er stand wortlos auf und ging nach draußen, um eine zu Rauchen, und kam auch danach lange Zeit nicht mehr zurück. Ich hatte mich unterdessen ebenfalls in einen Sessel geworfen und staunte noch immer über den geräumigen, wunderschön eingerichteten und offenen Raum. Die Möbel waren so sehr poliert, dass man sich fast in ihnen spiegeln konnte.
Bibi setzte sich mit Schwung neben mich und verschüttete bei dieser Aktion beinahe ihr Glas über ihr Top und in meinen Schoß. "Upsiii", meinte sie leichthin und ich vermutete, dass sie sich schon recht lange hier an der hauseigenen Theke mit immer neuem Alkohol bediente. Den Kater morgen in der Schule konnte ich mir gut ausmalen. "Willst du nicht langsam mal aufhören?", fragte ich etwas besorgt, doch sie sprang auf und flüchtete außerhalb meiner Reichweite, als wollte ich ihr im nächsten Moment den Drink aus den Händen reißen. "Och nööö, so ists doch viel lustiger. Sei nicht so verklemmt, nimm dir lieber auch was zu Trinken!" Mit diesen Worten stöckelte sie zu dem riesigen Regal hinter der Bar, das vollgestellt war mit den verschiedensten Flaschen in allen Größen und Formen. Vodka, Whisky, Tequila und Jack Daniels erkannte ich noch einigermaßen, beim Rest hörte es dann auch schon auf. Ich war nicht so der Partygänger, wie auch wenn mich sonst nie jemand einlud. Aber die Blondine schien genau zu wissen, was sie da tat. Schnell schnappte sie sich zwei bauchige Flaschen aus der für mich eher unübersichtlichen Anordnung, den Vodka und eine, auf der "Apricot Brandy" stand, kippte jeweils ein paar kleine Schlücke davon in ein leeres Glas, mischte drei weitere Fruchtsäfte dazu, schüttelte das ganze kräftig, was zusammen mit ihrem leichten Schwanken eher gefährlich als gekonnt aussah, und schob es dann noch mit einer Limettenscheibe verziert und einem Strohhalm dazu zu mir hinüber. Sie zwinkerte mir zu: "Na komm, probier mal! Der ist furchtbar lecker!"
Ich nippte an dem Halm und setzte sofort nach dem ersten Schluck wieder ab. Furchtbar traf es momentan besser als lecker. Das Getränk brannte ziemlich stark im Hals und war echt nichts für mich. Doch als ich es dankend und mit einem unterdrückten Hustenanfall zurückgeben wollte, zog Bibi mit rausgestreckter Unterlippe ihr todtrauriges Welpengesicht. "Das ist so beim ersten Mal, glaub mir! Ich würde dich doch nicht vergiften wollen. Bitte versuchs noch einmal, ein winziges bisschen!"
Ihr zuliebe nuckelte ich dann nach einer weiteren Minute der Diskussion weiter an der Mixtur und tatsächlich begann es immer besser zu schmecken, je weiter man sich an den Alkohol und das brennende Gefühl in der Kehle gewöhnte. Das Mädchen klatschte begeistert und hüpfte aufgeregt, wobei ihre gefärbten Haare in alle Richtungen davonstoben. "Auf Ex! Auf Ex!", verlangte sie, doch im gleichen Moment stellte ich das noch zu drei Vierteln volle Getränk zurück auf den Tisch und schaute mich wieder nach den anderen um. Es hatte geklingelt, Melina war von der Couch aufgesprungen und aus dem weiberhaften Gekreische im Hausflur schloss ich, dass endlich auch Dagi eingetroffen war und nicht etwa Taddl, der seine XXL-Raucherpause beendet hatte. Dumm nur, dass Dagi auch gleichzeitig Rafael bedeutete. Er gab Bibi einen Klapps auf ihren Hintern, als sie sich an ihm vorbei zu ihren Freundinnen drängeln wollte, grüßte Tobi mit einem Handschlag und blieb dann mit seinem Blick an mir hängen, wie ich ein wenig verloren alleine an der perfekt sauber gewischten Theke stand und schnell wieder zu meinem Drink griff, um irgendetwas zu tun, dass wenigstens in Ansätzen cool aussah. Nur leider erzielte das nicht den gewünschten Effekt. Rafael kam trotzdem zu mir, braute sich ebenfalls ein Getränk zusammen und stellte sich dann direkt neben mich. Die Nervosität von heute Vormittag kehrte langsam zurück und ließ mich von einem Bein aufs andere hibbeln.
"Hey Stegi. Coole Nummer heute", gab Rafael brummelnd zu und schaute mich an, während ich nur kurz zu ihm aufspähte und mich dann auf das Glas in meiner Hand konzentrierte. Dass Bibi da noch Eiswürfel reingeworfen hatte, realisierte ich erst jetzt richtig. "Ich will mich für meine Sticheleien von früher entschuldigen. Wir sollten Kumpels werden, wäre doch echt scheiße, wenn wir uns anfeinden, obwohl wir doch jetzt in derselben Clique sind, was?"
Ich war mir sicher, dass ich mich verhört hatte und wartete erst ein paar Sekunden, doch als er seine Worte nicht als Scherz abtat und auch nichts weiter hinzufügte, blinzelte ich ihn verwundert an. "Einfach so? Alles verziehen und gut ist?"
"Joah, oder willst du doch noch das dusselige Indianerehrenwort drauf?"
"Nene, schon gut", antwortete ich erleichtert, bevor ich in seine ausgestreckte Hand einschlug und die Versöhnung mit deutlichem Nachdruck besiegelte. Jetzt konnte ich mich tatsächlich rundrum wohlfühlen in der Gruppe!
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Blinded & Muted (#Stexpert)
Fanfiction"Ich war blind, du warst stumm. Und wir fanden einfach keine Möglichkeit, einander über diese Hindernisse hinweg zu helfen." Tim und Stegi sind seit ihrem Outing die klassischen Außenseiter. Sie werden gemobbt, geschlagen und beschimpft. Stegi sieht...