Kapitel 12

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Caprice spürte, dass die Wölfe um sie herum mit ihr trauerten, auch wenn sie sie nicht sehen konnte. Ihr Vater war ein geachteter Alpha gewesen, das hatte sie gewusst. Sie hätte sich nur gewünscht, dass sie beide mehr Zeit miteinander hätten verbringen können, nachdem er nach nun fast 15 Jahren wieder aufgetaucht war. Fast auf den Tag genau 15 Jahre war es jetzt her, dass Riley ihn aus dem Rudel verbannt hatte...

Ohne Vorwarnung landete auf einmal ein schweres Gewicht auf Caprice. Ohne Probleme erkannte sie ihren eigentlich ehemaligen Alpha, Riley. Sie hatte nicht den Nerv noch einmal mit ihm zu kämpfen, aber wenn sie nicht sterben wollte, musste sie wohl. Ein erschrockener Ausruf war von der Menge gekommen, als der eigentlich als unterworfen angesehene Alpha sich erneut auf die trauernde neue Leitwölfin gestürzt hatte; doch nun schwiegen die anderen Wölfe wieder angespannt.

Erneut hieb Caprice fest nach dem schon deutlich lädierten Ex-Alpha. Mit all der Kraft, die sie noch in sich trug, biss und schlug sie nach ihm, bis sie seine empfindlichsten Stellen traf. Ein böser Hieb schlitzte ihm das Ohr auf und einer ihrer Pfotenhiebe hinterließ einen weiteren roten Streifen auf seiner Flanke. Doch Riley untergab sich nicht. Er kämpfte bis zum bitteren Ende, das war allen Beobachtern klar. Unausgesprochen hing in der Luft, was unausweichlich war: einer der beiden musste sterben, sonst würde Riley nicht nachgeben.

Caprice Willen war von der Trauer um ihren gerade erst wiedergefundenen Vater getrübt und schließlich überwältigte Riley sie ein weiteres Mal. Gerade als er seine Zähne um ihren Hals schließen wollte, blickte Caprice in die Augen ihres Sohnes und sah darin dessen Furcht. Mit dem letzten bisschen Kraft, dass die schwarze Wölfin noch hatte, sprang sie wieder auf die Pfoten und warf Riley zu Boden. Es dauerte nicht mal mehr eine Sekunde, bis ihre Zähne fest um sein Genick geschlossen waren. Caprice spürte, dass er sich nicht ergeben würde, ganz egal, was sie tat oder sagte, deshalb tat sie das Unvermeidliche: sie schloss ihren Kiefer fester und brach dem ehemaligen Alpha mit einem heftigen Ruck das Genick.

Am Ende ihrer Kräfte ließ sie den Leichnam aus ihrem Maul gleiten und kraxelte auf einen etwas erhöhten Felsen hinauf. Dann begann sie zu sprechen. Trotz ihrer großen Erschöpfung klang ihre Stimme noch immer klar und machtvoll durch die Nacht, nur getrübt von ihrer tiefen Trauer: "Wölfe, der Alpha ist tot. Ich habe ihn im ehrlichen Kampf besiegt und hätte ihn nicht getötet, hätte er nicht hinterrücks erneut angegriffen. Ihr wisst, dass sowohl ich als auch mein Sohn zu den Mächtigen gehören. Darum werde ich euch die Chance geben, über uns zu richten und mich eurem Urteil unterordnen. Wenn ihr erlaubt, werde ich die Position des Alphas übernehmen, doch es liegt allein in eurer Hand. Beratet euch jetzt."

Die Minuten verstrichen und Caprice wurde immer müder. Als sie schon dachte, sie könne sich keine Sekunde länger auf den Beinen halten, trat der ehemalige Beta Rileys vor. Zuerst neigte er respektvoll den Kopf vor ihr, dann erklärte er: "Ihr habt unsere Zustimmung, Alpha. Es wäre eine Ehre für unser Rudel, wenn ihr uns führen würdet." Dankend neigte Caprice den Kopf und antwortete: "Ich danke euch. Ich gelobe, euch fair und aufrichtig zu führen. Und du wirst auch weiterhin der Beta des Rudels bleiben, denn ich respektiere und schätze dich als Beta, so wie es alle anderen auch tun." Mit diesen Worten blickte sie ihren erstaunten Beta an, der aber nur schnell den Kopf neigte und dann zurücktrat.

Caprice wollte gerade erneut ansetzen zu sprechen, doch dann trat auf einmal einer der Wölfe aus den Reihen des anderen Rudels vor und neigte ebenfalls den Kopf vor ihr. "Alpha, ich soll euch diese Nachricht von den Ahnen überbringen: Von dem Tage an, an dem ihr zum Alpha werdet, sollt ihr zu Ehren eures schwarzen Fells und eurer scharfen Zähne den Namen Nachtjägerin tragen." Zwar überrascht, aber ehrerbietig neigte die junge Wölfin den Kopf, dann fuhr sie, sich an die Wölfe des fremden Rudels wendend, in ihrer unterbrochenen Rede fort: "Wölfe des Amarok-Rudels, auch euer Alpha ist tot. Er war mein Vater und seine Familie ist auch die meinige. Darum stelle ich allen Wölfen eures Rudels frei, sich dem Gyala-Rudel anzuschließen."


NachtjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt