Kapitel 44

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Als der jungen Alphawölfin auffiel, wie still es geworden war, hob sie ihren tränenverschleierten Blick und sah in die unzähligen Gesichter ihrer Rudelmitglieder - die meisten hatten sich wieder in ihre menschliche Gestalt verwandelt. Sogar viele der Angreifer standen bei ihnen und blickten mit traurigen Augen auf Caprice' toten Gefährten. "Was ist passiert?", fragte sie, unfähig, ihre Trauer durch etwas anderes als die bevorstehende Arbeit in den Griff zu bekommen. Jace trat einen Schritt vor und gestand dann: "Der fremde Alpha ist... tot. Wir haben ihn getötet." Durch ihre Trauer nicht bei klarem Verstand, fuhr Caprice ihren Beta an: "Wie oft habe ich euch gesagt, dass ihr nur dann töten sollt, wenn es keinen anderen Weg gibt?! Wie oft, Jace?!" Mit sanfter Stimme warf Cecilia ein: "Caprice, wir hatten keine andere Wahl. Wenn wir ihn nicht getötet hätten, hätte er dich getötet!" "Was hätte das denn für einen Unterschied gemacht? Lucas ist tot!", schrie Caprice, der erneut heiße Tränen über die Wangen liefen.

Etwas energischer packte Cecilia ihre Alphawölfin an den Schultern und drehte sie zu ihr um. Eindringlich sagte sie: "Caprice, hör mir zu. Dein Gefährte ist tot und du bist verzweifelt, das verstehe ich. Aber es wäre ganz und gar nicht egal, wenn du als unsere Alphawölfin sterben würdest!" Nach ihrer kleinen Zurechtweisung nahm sie die bitterlich weinende Caprice in den Arm, wobei sie ihr leise - für alle anderen unhörbar - ins Ohr flüsterte: "Vielleicht hat er noch eine Chance... Du verkörperst die Magie unseres Rudel und womöglich... kannst du Lucas noch helfen." Verwirrt und tränenüberströmt blickte Caprice ihre Meisterin an und löcherte sie mit ihren Blicken. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihren Ohren trauen konnte. Einen Toten wiederbeleben? Wie sollte das denn bitte gehen? Doch Cecilia blickte sie nur zuversichtlich an.

Caprice musste es einfach versuchen, darum bat sie mit zittriger Stimme: "Lasst ihr mich bitte einen Moment mit Cecilia alleine? Den Weg zum Dorf findet ihr sicherlich auch alleine... Nehmt... nehmt die anderen einfach mit, darum kümmern wir uns später." Wenn auch etwas zögerlich, leisteten ihre Rudelmitglieder ihrer Bitte Folge und entfernten sich vom Ort des Geschehens. Nur zwei der Werwölfe - abgesehen von Caprice - blieben noch dort, einerseits natürlich Cecilia und andererseits Caprice' Sohn Aven, den die Gefährtin von Jace aus dem Übergangslager mitgebracht hatte. "Mama!", rief der auch sofort und fiel seiner Mutter in die Arme. Als sein Blick auf Lucas fiel, fragte er sogleich: "Mama? Was ist mit Papa?" Caprice versuchte, ihre Stimme zuversichtlich klingen zu lassen, als sie erwiderte, dass Lucas nur tief und fest schlafe, doch man konnte trotzdem noch deutlich hören, dass sie geweint hatte. Zum Glück fragte Aven nicht weiter, sondern sah nur seiner Mutter dabei zu, wie sie sich erneut neben ihren Gefährten auf den Boden kniete und seine Hände in die ihren nahm.

"Und was jetzt?", fragte Caprice Cecilia unsicher. "Das kann ich dir auch nicht genau sagen... Stell dir einfach vor, dass er wieder aufwacht, dass es ihm gut geht und naja, sowas halt... Ich habe das auch noch nie gemacht!" Skeptisch blickte Caprice auf und antwortete: "Und woher weißt du dann, ob es funktioniert?" Cecilia blickte sie nur wissend an und sagte bestimmt: "Ich spüre es, Caprice. Fang an."

Caprice senkte ihren Blick wieder auf das schon blass gewordene Gesicht ihres Gefährten, schloss die Augen und stellte sich wie von Cecilia vorgeschlagen vor, dass Lucas einfach wieder aufwachte. Als auch nach über einer Minute nichts geschehen war, öffnete die junge Alphawölfin ihre Augen wieder und sackte ein wenig in sich zusammen. "Und ich war mir so sicher...", murmelte Cecilia, ohne dass es jemand zur Kenntnis war.

Caprice hockte dort einfach nur in der Dunkelheit auf dem Boden, hielt die kalten Hände von Lucas in den ihren und weinte stumme Tränen. Sie dachte an die Zeit mit Lucas zurück, an die Nacht, in der sie sich kennen gelernt hatten und vor allem an den lauen Abend vor wenigen Wochen, an dem er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Es war ihr alles so perfekt erschienen und nun sollte es vorbei sein?

In dem Moment, in dem sie das dachte, fiel eine einzelne Träne auf ihre verschränkten Hände. Zuerst registrierte Caprice nicht, dass etwas passiert war, doch als Cecilia sie leicht anstupste, bemerkte auch sie die winzige hell leuchtende Lichtkugel in ihren Händen. Das helle Blau war so vollkommen, dass es regelrecht überirdisch wirkte und sowohl sie als auch Cecilia und Aven in seinen Bann zog. Keiner von ihnen konnte den Blick noch von der ständig anschwellenden Lichtkugel nehmen, sodass sie genau mitbekamen, wie sie schließlich bei der Größe einer Walnuss mit dem Wachsen aufhörte und für einige Sekunden einfach nur in der Luft schwebte. Dann senkte sie sich unendlich langsam auf Lucas' Brustkorb hinab, bis sie ihn schließlich berührte und ein gleißendes weißes Licht verströmte, sodass alle Anwesenden die Augen vor der Helligkeit zusammenkneifen mussten.

Als Caprice ihre Augen wieder öffnete, machte ihr Herz einen Sprung vor Freude, denn die Augenlider ihres Gefährten zuckten zuerst, dann öffneten sie sich schließlich komplett.

"Ich liebe dich, Prinzessin!"

NachtjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt