Kapitel 22

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Sichtwechsel unbekannt

Ruhelos durchstreifte er den Wald. Es war nun einige Stunden her, seit sie verschwunden war und ihm war mittlerweile schrecklich kalt, er fühlte sich einsam und hatte keine Ahnung, was er nun machen sollte. Seit er die schwarze Wölfin, die schon längst sein Herz besaß, mit eigenen Augen gesehen hatte, ließen seine Gedanken sie nicht mehr los und noch immer hatte er nicht die leiseste Ahung, wie er ihr Herz gewinnen sollte. Würde sie es überhaupt bemerken, dass er ihr Seelengefährte war, wenn sie sich gegenüberstehen würden? Oder würde sie ihn einfach nur als den Eindringling, der er war, abstempeln und ihn vertreiben?

Und dann waren da auch noch ihr Beta, Jace, und die beiden anderen Wölfe, die er belauscht hatte. Hatten sie ihn womöglich sogar bemerkt und ihr gemeldet, wer sich da im Wald herumtrieb? Er hatte lange darüber nachgedacht und ihm war nur zu bewusst, dass seine Überlegungen nicht einmal so abwegig waren. In seiner Gier, etwas über Caprice, wie ihr Beta sie genannt hatte, herauszufinden, hatte er weder auf die Windrichtung geachtet, noch war er besonders vorsichtig gewesen. Zudem würde wohl sein eigener Alpha sein Verschwinden längst bemerkt haben und so wie er diesen kannte, wussten bereits alle Rudel im Umkreis von einigen hundert Kilometern, dass er gesucht wurde. Somit war die Chance, dass er entdeckt würde, vermutlich ziemlich hoch.

Als er da so zwischen den Bäumen umhertrottete, vernahm er auf einmal wieder die Stimme von Caprice' Beta und diesem anderen Wolf, den er vorher schon gehört hatte. Wie hieß der nochmal? Ach ja, Nathan. Dieses Mal war er vorsichtiger, denn bloß weil wahrscheinlich sowieso schon alle von seiner Anwesenheit wussten, musste er sich ja nicht unbedingt auf den Präsentierteller setzen. So prüfte er erst den Wind, bevor er sich hinter einem etwas größerem Tannenbusch niederkauerte und die Ohren spitzte.

"Wo sollen wir denn nach ihr suchen, Jace? Sie könnte überall sein und unser Gebiet ist groß!" Diese Stimme gehörte eindeutig zu Nathan und er klang in den Ohren des fremden Wolfes mehr als nur ein bisschen besorgt. Jace antwortete nicht minder besorgt, allerdings auch mit einer Spur Verständnis in der Stimme: "Ich weiß, Nathan, ich weiß. Aber sie wird nach ihm suchen und es ist nicht unbedingt ratsam, wenn sie seinen Entführern alleine gegenübertreten muss... Auch in ihrer Position hat sie keine Chance gegen mehr als zwei von ihnen, schon gar nicht in ihrer momentanen Verfassung. Er ist ihr einziger Sohn und alles, was sie noch hat. Du kannst ihr nicht vorwerfen, dass sie ihn sucht." Verdammt, Caprice' Sohn war entführt worden? Das verkomplizierte die ganze Situation natürlich ungemein... Moment mal, sie hatte einen Sohn?! Hatte sie etwa schon ihren Mate gefunden? Egal, er würde sie trotzdem suchen!

"Ich sage ja gar nichts dagegen, dass sie ihn sucht, aber warum zum Teufel muss sie denn auch alleine gehen? Hätte sie nicht wenigstens einen von uns mitnehmen können? So stirbt sie eher noch bei dem Versuch, ihren Sohn zu finden, als dass sie ihm hilft...", entgegnete Nathan.

Langsam entfernten sich die beiden Wölfe des Gyala-Rudels weiter von dem jungen Werwolf, sodass dieser sich wieder aus seinem Versteck hervorwagen konnte. Das war auf jeden Fall eine wichtige Information, dass Caprice sich irgendwo alleine im Wald herumtrieb... Moment mal, seit wann duzte er die schwarze Wölfin eigentlich in Gedanken? Egal, er musste weiter.

Als es zu dämmern begann, rollte sich der junge Werwolf in einer kleinen Höhle nahe eines Sees zusammen, nicht ahnend, dass diese Nacht anders werden würde, als gedacht...

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