Kapitel 1

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Für Pueschi, die mich überhaupt erst zu dieser Geschichte motiviert hat und mich - mehr oder weniger - indirekt aufgefordert hat, weiterzuschreiben.

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"Wo ist deine Beute, Caprice? Ich dachte, du wolltest jagen gehen?", fragte ihr Alpha die junge Wölfin bedrohlich knurrend. Schnell senkte sie den Blick. "Ich habe nichts gefunden, Herr." Wenn möglich, wurden die Augen des Alphas noch wütender, als er verkündete: "Dann wirst du morgen früh noch einmal in den Wald gehen. Du kennst das Gesetz." "Ja, Herr." Mit diesen Worten zog sich die vor Angst und Kälte zitternde Caprice mit hängendem Schwanz zurück.

Ja, sie kannte das Gesetz. Das Gesetz des Mondes. Es war kein schlechtes Gesetz, immerhin sorgte es dafür, dass alle Rudelmitglieder etwas zu dem gemeinsamen Leben fernab der "normalen" Zivilisation beitragen. Doch es war auch ein hartes Gesetz. Für Fehltritte gab es kein Pardon und keine Gnade.

Kaum hatte sich die junge Wölfin einige Schritte von ihrem Alpha entfernt, verwandelte sie sich wieder in einen Menschen zurück. Ihr komplett zerzaustes Haar und die etwas erdigen Klamotten bemerkte sie schon gar nicht mehr; sie war es gewöhnt. Der jungen Frau, die nun das große Herrenhaus verließ, hätte wohl niemand ansehen können, dass sie noch vor kurzem einen flauschigen Pelz und gefährliche Zähne gehabt hatte; was wohl gut war, denn welcher vernünftige junge Mann würde sich schon für eine Bestie mit zwei Gestalten interessieren? Der Schöhnheit allerdings, die Caprice mit ihren dunklen Haaren und den stechend grünen Augen darstellte, gafften viele Männer nach - ganz unabhängig davon, ob Werwolf oder nicht. Scheinbar ohne die verlangenden Blicke zu bemerken, ging sie elegant die Straße entlang und verschwand schließlich in dem Eingang eines kleinen gemütlichen Einfamilienhauses.

"Ich bin wieder daaa!", rief Caprice ins Wohnzimmer, als sie in ihrem behaglichen Haus ankam. Sie versuchte, sich ihre Niedergeschlagenheit und Angst nicht anmerken zu lassen, auch wenn sie sich sicher war, dass der Kleine die Sorgenfalten in ihrem Gesicht bestimmt bemerken würde. "Caprice!", laut lachend fiel ihr der kleine Junge in die Arme und schmiss sie fast um. Ein kleines Schmunzeln konnte die junge Frau sich trotz ihrer eigentlich schlechten Stimmmung allerdings nicht verkneifen, als sie fragte: "Was ist denn los, mein Schatz?" "Ich habs getan! Ich hab mich verwandelt!" Mit einem Schlag wich alle Fröhlichkeit aus Caprice' Augen. Auf einmal lagen nur noch Sorge und Bestürzen in ihrem Blick, als sie den kleinen Jungen musterte, der sie noch immer fest umklammert hielt. Dieser hob jetzt den Kopf und fragte traurig: "Freust du dich etwa nicht?" Und dann fügte er noch um einiges leiser hinzu: "Und warum weinst du?" Erst jetzt bemerkte die 22-Jährige die Tränen, die sich still einen Weg über ihre Wangen bahnten. Erschrocken wischte sie diese weg und zwang sich zu lächeln. Sie durfte nicht schwach werden, schon gar nicht vor dem Jungen!

"Ich habe nicht geweint, mein Schatz.", antwortete sie nach einem Augenblick energisch. "Doch hast du, ich habs genau gesehen!", beharrte der Kleine trotzig. "Nein! Keine Widerrede! Und jetzt zeig, verwandel dich!", bestimmte Caprice in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Als Tochter des ehemaligen Beta war sie befehlsgewohnt und ihr Junge klappte auch sogleich den Mund wieder zu, den er schon geöffnet hatte, um erneut zu protestieren, konzentrierte sich und wurde dann zu einem kleinen Wolfsjungen. Sie stand einfach nur da, blickte ihn an und taumelte plötzlich. Schneller als sie gucken konnte, stand der Junge auf einmal wieder in Menschengestalt neben ihr und packte ihren Arm, während er panisch rief: "Was ist denn los? Was hast du, Mama?" Doch die junge Frau antwortete nicht. Sie sagte keinen Ton, als sie benommen bis zum Sofa lief und sich hinsetzte. Sie sagte noch immer nichts, als sie ihren Kopf in die Hände stützte und zu schluchzen begann. Erst als das kleine Kind sich neben sie setzte und sich verängstigt an sie drückte, sprach sie. Sie redete leise und abgehackt, doch das Kind konnte jedes Wort verstehen: "Das... das ist nicht möglich! Er... er ist noch zu jung! Ich hä...hätte es wissen müssen, als ich ihn aufgenommen habe..." Der Junge riss die Augen vor Entsetzten weit auf, als er begriff, dann stammelte er: "D...dann bist du... du gar nicht mei...meine Mutter?"

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