Kapitel 29

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Vorsichtig schielte Caprice um die Ecke und huschte dann geduckt weiter, als sie niemanden sah. Lucas folgte ihr und auch wenn sie genau wusste, dass er sich bemühte, leise zu sein, ärgerte sie sich doch über seine schweren Schritte auf dem alten Parkett. Mit einer schnellen Bewegung wandte sie sich zu ihm um und gab ihm ein weiteres, unmissverständliches Zeichen, leise zu sein. Sie hatte längst aufgehört zu zählen, wie oft sie ihn an diesem Morgen schon ermahnt hatte, Ruhe zu wahren...

In einem Anflug von eiserner Entschlossenheit deutete sie ihm, sich in einer Wandnische zu verstecken und auf sie zu warten. Obgleich er vehement den Kopf schüttelte, schlich sie alleine weiter und kauerte sich hinter den nächsten Vorsprung, um zu schauen, ob der Weg vor ihr frei war. Als sie vorsichtig um die Ecke schielte, hätte sie vor Erleichterung am Liebsten laut aufseufzen mögen, denn zum einen war nach wie vor keiner der Entführer zu sehen und zum anderen lagen nun die Gefängniszellen, in denen sie ihren Sohn vermutete, direkt vor ihr.

Zwar kostete es sie all ihre Selbstbeherrschung, nicht einfach blind loszustürmen, doch blieb sie weiterhin still, als sie sich daran machte, die schwere Sicherheitstür zu knacken. Genau in dem Moment, in dem das Schloss mit einem leisen Klicken aufsprang, ertönten hinter ihr Stimmen, die immer näher kamen. Schnell duckte sie sich hinter einen Stapel Kisten, der in einer Ecke stand und presste sich die Hand auf den Mund, um ja kein Geräusch zu verursachen.

"Was sollen wir denn mit dem Jungen machen, wenn sie nicht kommt?", fragte eine ihr unbekannte Stimme. Eine zweite setzte gerade zu einer Antwort an, als sich eine dritte herrisch einmischte: "Sie wird schon kommen, niemals würde sie ihren kostbaren Sohn hier bei uns lassen!" Dreckiges Lachen ertönte, bei dem sich Caprice' Nackenhaare aufstellten. "Und wenn sie nicht kommt, tja, dann müssen wir den Kleinen wohl leider umlegen... Gibt bestimmt einen hübschen Pelzmantel!" Erneutes Gelächter. Caprice dagegen hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Plötzlich erklang eine derbe Stimme vom Anfang des Ganges, die dem Anführer der Truppe zu gehören schien: "Jungs, genug gelacht, ab an die Arbeit! Was bringt mir ein unbewachter Beobachtungsposten?!"

Kaum hatten sich die Schritte der vier Personen - vermutlich Männer - entfernt, kam Caprice wieder aus ihrem notdürftigen Versteck hervor und schlüpfte unbemerkt duch die Sicherheitstür, die sie noch von ihrem Sohn trennte. Der Gang dahinter lag in diffusem Dämmerlicht, dass es ihr schwer machte etwas zu erkennen, doch nach einigem Suchen fand sie mehrere leichter gesicherte Türen. 'Ein schönes Gefängnis ist mir das; von außen gesichert wie Fort Knox und innen dünne Metalltüren!', dachte sie sarkastisch, bevor sie begann, die Räume systematisch zu überprüfen.

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