Die Ruhe vor dem Sturm

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 "Er müsste jeden Augenblick ankommen", sagte Hermine, während sie unruhig im Zimmer auf und ab ging. Auf ihrem Bett lagen mehrere dicke Bücher, die sie überflogen hatte, um in den Vorschriften des Zaubereiministeriums nach einem Schlupfloch was die Zauberei Minderjähriger anging, zu finden. "Er wird sauer sein."
"Wieso sollte er?", fragte ich. Vorwurfsvoll sah sie mich an. Als Antwort zuckte ich nur mit den Schultern.
"Weil wir nichts Brauchbares geschrieben haben", erwiderte Hermine dann und nahm wieder die Bücher zur Hand.
"Und wieso nicht?", fragte ich Hermine eher rhetorisch. "Weil Dumbledore es uns nicht erlaubt hat. Außerdem wissen wir selbst kaum etwas."
Ehe sie etwas antworten konnte, ging die Tür auf und ich konnte kurz das Gesicht meines Bruders erkennen, ehe Hermine ihn umarmte und rief: "HARRY! Ron, er ist da! Wir haben dich gar nicht kommen hören! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung? Rachel meinte, dass du nicht sauer sein würdest, aber natürlich bist du es. Schließlich waren unsere Briefe nutzlos, aber wir konnten dir nichts schreiben – Dumbledore hat es uns schwören lassen! Wir haben dir so viel zu erzählen, und du musst uns auch einiges erzählen! Die Dementoren! Wie konnte das passieren? Als wir es erfahren haben – und von dieser Anhörung im Ministerium – das ist einfach empörend! Ich habe Bücher gewälzt, die können dich nicht einfach rauswerfen, das können sie einfach nicht, es gibt im Erlass zur Vernunftmäßigen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger nämlich eine Ausnahmeregelung für den Fall lebensbedrohlicher Situationen –"
"Lass ihn doch mal zu Puste kommen, Hermine", unterbrach Ron sie grinsend, wofür ich ihm ziemlich dankbar war.
Hermine ließ von Harry ab und strahlte unentwegt. Ich wollte gerade meinen Bruder begrüßen, als ein weißes Etwas vom Schrank heruntergesegelt kam und sich auf Harrys Schulter niederließ. "Hedwig!", sagte er erfreut und streichelte ihr das Gefieder.
"Als sie deinen letzten Brief gebracht hat, hat sie uns halb tot gepickt, als wir dir keine Informationen schreiben konnten", erzählte ich und deutete auf Rons Zeigefinger, der einen tiefen Schnitt aufwies.

"Oh", sagte er. "Das tut mir Leid, aber ich wollte Antworten haben, versteht ihr –"
"Die wollten wir dir auch geben, Mann", antwortete Ron. "Hermine wäre fast ausgetickt. Sie hat dauernd gesagt, dass du irgendeine Dummheit machen würdest, wenn wir nichts Brauchbares schreiben würde, aber Dumbledore hat uns –"
"– schwören lassen, dass ihr mir nichts erzählt. Hat Hermine schon erwähnt."
Ich seufzte. "Hör mal, Harry. Dumbledore glaubte wohl, es wäre das Beste. Und wenn Dumbledore etwas glaubt, dann ist es auch so."
„Ach so", erwiderte er und warf einen Blick auf meine Hände, die ebenfalls von Hedwig gepickt worden waren. Ich wusste, dass es ihm nicht leid tat.
"Es ist nicht unsere Schuld", fügte ich noch hinzu.
"Ich glaub, er dachte, du wärst bei den Muggeln am besten aufgehoben –", fing Ron an.
"Jaah?", erwiderte Harry kalt. "Ist vielleicht einer von euch diesen Sommer von Dementoren angegriffen worden?"
"Nein", sagte ich. "Aber das liegt daran, dass ich dieses Haus nicht verlassen durfte."
"Warum durftest du eigentlich hier sein und ich nicht?", meinte mein Bruder nun ganz offen und sah mich böse an.
"Das weiß ich nicht", fauchte ich nun zurück. "Das kannst du Dumbledore fragen. Mir hat er auch nichts gesagt!"

Im Zimmer trat eine gespannte Stille auf.
"Er war so wütend", sagte Hermine dann. "Dumbledore. Wir haben ihn gesehen. Als er herausgefunden hat, dass Mundungus vor dem Ende seiner Schicht verschwunden ist. Er hat einem Angst eingejagt."
"Was soll's, ich bin froh, dass er abgehauen ist", sagte Harry. "Wenn nicht, hätte ich nicht gezaubert und Dumbledore hätte mich vermutlich die ganzen Sommerferien über bei den Dursleys gelassen."
"Machst du dir denn keine Sorgen wegen der Anhörung im Zaubereiministerium?", fragte Hermine leise.
"Nein", erwiderte Harry. Ich wusste, dass er log, aber ich sagte nichts. Ich ließ mich zurück auf mein Bett sinken und beobachtete ihn. Er ging im Zimmer umher und betrachtete es.
"Also, warum will Dumbledore mich unbedingt im Dunkeln lassen?", fragte er dann irgendwann. "Habt ihr – ähm – ihn zufällig mal gefragt?"
"Um ehrlich zu sein, haben wir nicht viel mit Dumbledore gesprochen", antwortete Ron und warf mir einen Blick zu. "Er kam immer abends und hat mit –"
"Er hat an den Versammlungen teilgenommen", unterbrach ich ihn gerade noch rechtzeitig.
"Und ihr?", fragte Harry.
"Was denn?"
"Habt ihr an den Versammlungen teilgenommen?"
"Dürfen wir nicht", sagte Ron. "Mum will uns nicht mal in die Nähe der Versammlungen lassen, sie sagt, wir wären zu jung –"
Weiter kam er nicht, denn Harry hatte sich herumgedreht und seine Wut brach aus ihm hervor.

"ALSO WART IHR NICHT BEI DEN VERSAMMLUNGEN, NA UND? ABER IHR WART HIER, ODER? IHR WART ZUSAMMEN! UND ICH STECKE EINEN MONAT LANG BEI DEN DURSLEYS FEST! UND ICH HAB MEHR GESCHAFFT, ALS IHR DREI JE GESCHAFFT HABT, UND DUMBLEDORE WEISS DAS - WER HAT DEN STEIN DER WEISEN GERETTET? WER HAT RIDDLE ERLEDIGT? WER HAT EUCH VOR DEN DEMENTOREN GERETTET?"
"Um genau zu sein, hast du mich nicht vor den Dementoren gerettet", warf ich ein und stierte Harry sauer an. Doch er schrie einfach weiter.
"WER MUSSTE LETZTES JAHR AN DRACHEN UND SPHINXEN UND ALL DEM ANDEREN EKELGETIER VORBEI? WER HAT VOLDEMORT ZURÜCKKOMMEN SEHEN? WER MUSSTE VOR IHM FLIEHEN? ICH!"
"Ich war dabei, Harry"", sagte ich nun lauter und trat einen Schritt auf ihn zu. „Letztes Jahr war ich mit dir auf diesem Friedhof und habe gesehen, wie Wurmschwanz Cedric umgebracht hat! Und ich habe auch gesehen, wie Voldemort wieder auferstanden ist! Er wollte mich töten, genauso wie dich, und ist gescheitert! ICH WAR DABEI!"
Harry sah offensichtlich so aus, als würde er nicht wissen, was er antworten sollte. Ron stand bestürzt mit halb offenem Mund da, Hermine schien den Tränen nahe.
"Harry, es tut uns wirklich leid", sagte Hermine verzweifelt. "Du hast Recht – ich wäre auch wütend!"

Mein Bruder sah sie an, immer noch heftig atmend, dann warf er mir einen langen Blick zu. Hedwig schrie beklommen vom Schrank runter. Es trat eine lange Pause ein, in der einzig das traurige Knarzen des Bodens unter Harrys Schritten zu hören war.
"Was ist das eigentlich für ein Haus?", blaffte er uns nun an.
Ich verdrehte die Augen und sank wieder auf mein Bett.
"Das Hauptquartier des Phönixordens", sagte Ron.
"Würde mir vielleicht mal jemand erklären, was der Phönixorden –"
"Das ist eine Geheimgesellschaft", sagte Hermine eilig. "Dumbledore hat sie gegründet. Es sind dieselben Leute, die das letzte Mal gegen Du-weißt-schon-wen gekämpft haben."
"Wer gehört dazu?"
"Eine ganze Menge Leute", antwortete ich. "Aber wir haben vielleicht zwanzig von ihnen kennen gelernt."
"Und?", fragte Harry wütend.
"Und was?", sagte ich.
"Voldemort!", erwiderte er zornig. Ron und Hermine zuckten zusammen. "Was ist los? Was hat er vor? Wo ist er? Was tun wir, um ihn aufzuhalten?"
"Wir haben dir doch schon gesagt, dass der Orden uns nicht zu den Versammlungen lässt!", fuhr ich ihn an. "Wir sind genauso schlau wie du!"
"Na ja", sagte Hermine schnell, als sie Harrys Miene sah. "Wir haben eine ungefähre Vorstellung."
"Fred und George haben nämlich Langziehohren erfunden. Und die sind echt nützlich", sagte Ron.
"Langziehohren?"
"Ja, nur wir konnten sie in letzter Zeit nicht mehr benutzen, denn Mum hat es rausgefunden", erklärte er und ich lachte leise, als ich mich daran erinnerte. "Sie hat einen Tobsuchtsanfall bekommen und alle Langziehohren in den Müll geworfen, die sie finden konnte."
"Und was habt ihr herausgefunden?"
"Wir wissen, dass manche Ordensleute Todesser verfolgen und sie beobachten. Und andere werben noch mehr für den Orden an und bewachen irgendetwas und reden über Wachdienste – AARGH!"

Mit zwei lauten Knalls hatten Fred und George aus dem Nichts heraus mitten im Zimmer Gestalt angenommen.
"Hört auf damit!", sagte Hermine mit matter Stimme.
"Hallo, Harry", sagte George, während die Zwillinge sich zu mir aufs Bett setzten. "Wir dachten uns schon, dass wir dein zartes Stimmchen vernommen hatten."
"Du brauchst deine Wut nicht zu verstecken, nur raus damit", strahlte Fred und ich lachte. "Vielleicht gibt's in fünfzig Meilen Umkreis noch ein paar Leute, die dich nicht gehört haben."
"ihr habt also die Apparierprüfung bestanden?", fragte Harry mürrisch.
"Mit Auszeichnung", antwortete Fred und hielt seine Hand hoch, in der er etwas hielt. 
"Langziehohren?", sagte ich und zog die Augenbrauen hoch. Die Zwillinge nickten.
"Seid bloß vorsichtig", meinte Ron und starrte das Ohr an. "Wenn Mum noch eins von denen sieht ..."
"Das ist das Risiko wert, die haben gerade ein wichtiges Treffen", erklärte George, der sich gegen meine angewinkelten Beine lehnte.
"Worauf warten wir dann noch?", fragte ich und wollte aufstehen, als Ginny zur Tür reinkam. "Das könnt ihr vergessen. Mum hat die Tür mit einem Imperturbatio-Zauber belegt."
"Schande", sagte George. "Ich hätte gerne gewusst, was Snape vorhat."
"Snape!", sagte Harry rasch. Mir schien, als hätte Ginnys Ankunft sein Gemüt ein wenig besänftigt. "Was macht er denn im Orden?"
"Trägt einen Bericht vor. Top secret."
"Mistkerl", sagte Fred.
"Er ist jetzt auf unserer Seite", sagte Hermine.
"Wer's glaubt", schnaubte ich und machte Ginny Platz, die sich neben mich setzte.
  
Wir sprachen kurz über die Beziehung, die sich langsam zwischen Bill und Fleur Delacour aufbaute, und kamen dann zu einer genauen Erörterung über ‚das Problem Percy'.
"Percy und Dad hatten einen Streit", erklärte Fred. "Ich hab Dad noch nie derart mit jemandem streiten sehen. Normalerweise ist es Mum, die schreit."
"Es war in der ersten Woche nach Ende des Schuljahres", erklärte Ron. "Wir waren kurz davor, hierher zu kommen und uns dem Orden anzuschließen. Da kommt Percy heim und erklärt uns, er sei befördert worden."
Ich musste der Geschichte nicht mehr lauschen, schließlich kannte ich sie schon von den Zwillingen. Auch wenn ich die erste Ferienwoche alleine mit Sirius im Hauptquartier verbringen musste, hatte ich mich auf meine Schulhausaufgaben konzentriert und sie als Ausrede benutzt, um nicht mit ihm zu reden. Schließlich standen dieses Schuljahr die ZAGs an und ich wollte ausnahmsweise gut abschneiden.
Jedenfalls war Percy Weasley zum Juniorassistenten des Zaubereiministers befördert worden und hatte gedacht, dass seine Eltern mächtig stolz sein würden – waren sie aber nicht. Schließlich war Cornelius Fudge ein blinder Feigling, der nicht einsehen wollte, dass Voldemort wieder da war. Mr und Mrs Weasley wollten, dass ihr Sohn nach Hause kam und die Stelle als Assistent aufgab, aber natürlich entschied sich Percy gegen seine Familie und sagte furchtbare Dinge zu Mr Weasley.
Nach einer Weile streckte ich mich und gähnte. "Ich glaube, ich lasse das Abendessen ausfallen und gehe direkt ins Bett. Ich bin wirklich sehr müde, okay?"
Hermine nickte, Ginny tätschelte meinen Arm und die Zwillinge lächelten mir zu. "Keinen Hunger?"
Ich schüttelte den Kopf und ließ mich unter die Decke gleiten. Wer weiß, was Mrs Weasley morgen wieder von uns verlangen würde. Womöglich sollten wir wieder versuchen die Doxys aus den Vorhängen im Salon zu bekommen.

Am nächsten Morgen wurde ich unsanft von Mrs Weasleys Stimme geweckt. "Steht auf, Mädchen. Es gibt Frühstück und dann entgiften wir den Salon!"
Kaum, dass sie weg war, ließ ich mich nochmal in mein Kissen zurücksinken.
"Alles okay?", hörte ich Hermine fragen.
Ich brummte kurz zur Antwort. "Ich hatte einen komischen Traum. Verwirrend."
"Um was ging's?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht mehr genau. Seidenschnabel und ich waren in Hogwarts und haben den Gemeinschaftsraum der Slytherins durchsucht."
Hermine, Ginny und ich verbrachten unser Frühstück eher gemütlich, während Fred und George ein wenig abseits saßen und die Köpfe zusammensteckten. Irgendwas waren sie doch schon wieder am aushecken.
Auf Harry und Ron trafen wir erst, als wir schon im Salon waren und die doxybewucherten Vorhänge betrachteten. Jeder von uns hatte ein Tuch, um Nase und Mund zu schützen und eine Flasche Doxyzid, das die Doxys außer Gefecht setzten sollte.
"Unglaublich, dass dieser Hauself Kreacher nicht gedacht hat, es wäre nötig, zu putzen", sagte Mrs Weasley.
Ich konnte sehen, wie Hermine ihr einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. "Kreacher ist steinalt, er hat es wahrscheinlich nicht geschafft –"
"Du wärst überrascht, was Kreacher so alles schafft, wenn er wirklich will, Hermine", sagte Sirius, der gerade hereinkam. Ich wandte mich ab. "Also ... dieses Schreibpult."
Er beugte sich vor, um das ruckelnde, verschlossene Schreibpult zu inspizieren. "Nun, Molly, ich bin mir ziemlich sicher, dass da ein Irrwicht drin ist", sagte Sirius und spähte durchs Schlüsselloch, "aber vielleicht sollte Mad-Eye zur Sicherheit nochmal einen Blick drauf werfen."
"Ganz recht, Sirius", erwiderte Mrs Weasley und wandte sich wieder den Doxyzid-Flaschen zu.
Kam es mir nur so vor oder sprachen Mrs Weasley und Sirius nicht so wie sonst miteinander? Beide waren äußerst höflich und bedacht, unbekümmert. Ich fragte nicht, denn ehrlich gesagt, wollte ich es auch gar nicht wissen.
In diesem Moment ertönte im Erdgeschoss eine laute, klirrende Glocke, und sofort hob ein vielstimmiges Schreien und Wehklagen an.
"Andauernd sag ich ihnen, sie sollen nicht an der Haustür läuten!", rief Sirius verärgert und hastete hinaus. Wir hörten ihn die Treppe hinunterpoltern, während Mrs Blacks Gekeife erneut durch das Haus hallte:
"Schandflecke, schmutzige Halbblüter, Blutsverräter, Gossenkinder..."
"Schließ bitte die Tür, Harry", sagte Mrs Weasley.

Das Dedoxieren der Vorhänge dauerte fast den ganzen Vormittag. Es war nach zwölf, als Mrs Weasley endlich ihr Schutztuch abnahm, sich in einen durchhängenden Sessel sinken ließ und zufrieden seufzte.
Die Vorhänge summten nun nicht mehr, sondern hingen schlaf und feucht vom heftigen Besprühen da. Vor uns auf dem Boden stand der mit den betäubten Doxys gefüllte Eimer.
Die klirrende Türglocke ging erneut und alle sahen Mrs Weasley an.
"Bleibt hier", sagte sie entschieden, Mrs Blacks Schreie drangen erneut von unten herauf. "Ich bring euch ein paar Sandwiches hoch."
Sie ging hinaus und schloss sorgfältig die Tür. Während alle anderen zum Fenster stürzten und auf die Vordertreppe des Grimmauldplatzes Nummer 12 lugten, ließ ich mich in den anderen Sessel sinken und machte mir nicht die Mühe aufzustehen. Auch nicht, als von unten Mrs Weasleys zornige Verwünschungen gegen Mundungus, der seine Kessel vom Schwarzmarkt hier verstecken wollte, zu uns heraufdrangen.

Die Tage vergingen und Mrs Weasley hielt uns eisern auf Trab, während wir gegen das Haus kämpften, um es endlich sauber zu kriegen. Doch je mehr Tage verstrichen, desto näher rückte Harrys disziplinarische Anhörung im Zaubereiministerium.
"Meint ihr, sie verurteilen ihn?", sagte Hermine, als wir am Mittag auf Mr Weasleys und Harrys Rückkehr warteten.
Sie fragte das zum gefühltesten hundertsten Mal und ich verdrehte genervt die Augen.
"Hör auf, dir Sorgen zu machen. Harry hat sich gegen die Dementoren verteidigt, sonst wäre er gestorben. Das ist erlaubt, das hast du selbst gesagt", erwiderte ich. Ron brummte zustimmend.
Hermine versuchte sich zu beruhigen und ich schenkte ihr noch eine Tasse Tee ein. Es vergingen eine Stunde, zwei Stunden, dann drei Stunden... Endlich klapperte das Türschloss und wir hörten, wie sich die Haustür öffnete. Ron war der Erste an der Küchentür und riss sie auf, nur um dann die Treppen hoch in den Flur zu stürmen, Hermine hinterher. Ich ging gemächlich hinterher und wurde dann von einem fröhlichen Bild begrüßt. Harry strahlte, Hermine umarmte ihn, Sirius klopfte ihm auf die Schulter. "In allen Anklagepunkten freigesprochen!", rief mein Bruder, als er mich sah.
Auch mir zauberte es ein Lächeln ins Gesicht. Schnell kamen auch schon Fred, George und Ginny herbei und stimmten eine Art Siegeslied für Harry an. "Er ist frei, er ist frei, er ist frei..."
Zusammen begaben wir uns wieder in die Küche, um bei einem festlichen Abendessen Harrys Freilassung zu feiern.

Während die nächsten Tage vergingen (und sich somit auch das Ende der Ferien näherte), bemerkte ich, dass Harry, Ron und Hermine wieder immer mehr alleine miteinander sprachen und sich oft im Zimmer meines Bruders und seines besten Freundes einschlossen. Ich wollte nicht fragen und ich tat auch so, als würde ich es nicht bemerken. Schließlich war es so: wenn sie mich dabeihaben wollten, dann kämen sie zu mir. Stattdessen verbrachte ich wieder mehr Zeit mit den Zwillingen und half ihnen ihre Nasch-und-Schwänz-Leckereien auszuprobieren. Einmal blutete ich so stark aus der Nase, dass Mrs Weasley erste Hilfe leisten musste, und ich mir schnell die billige Ausrede einfallen ließ, ich sei wegen Kreacher gegen einen Schrank gelaufen.
Das Leben im Hauptquartier des Phönixordens war nicht annähernd so interessant und aufregend, wie es hätte sein sollen. Manchmal wusste ich nicht, was ich den lieben langen Tag machen sollte. Deswegen besuchte ich ab und zu Seidenschnabel (gerade dann, wenn Sirius nicht dort war) oder lief im Haus umher, auf der Suche nach einer Beschäftigung. An einem späten Nachmittag lief ich zufällig an der Küche vorbei und blieb stehen, als ich glaubte, meinen Namen gehört zu haben.
" ... ehrlich sein muss, dann bin ich froh, dass Rachel nicht dabei war, als wir Harry davon erzählt haben. Sie muss es nicht erfahren." Ich erkannte die Stimme von Mr Weasley.
"Wenn Harry es erfahren darf, dann hat auch sie das Recht darauf!", erwiderte eine andere Stimme. Sirius.
Wovon redeten sie da bitte?
"Harry weiß selbst nicht viel. An dem Abend, an dem er ankam, hat er nur das Nötigste erfahren. Wenn Dumbledore wollen würde, dass auch Rachel von diesen Sachen in Kenntnis gesetzt wird, dann hätte er es längst getan", sagte Mrs Weasley aufgebracht.
Ich konnte die Spannung, die zwischen den Anwesenden herrschte, beinahe sehen (auch wenn eine Holztür dazwischen stand).
"Wenn ich etwas zu diesem Thema sagen dürfte ..." Die unverwechselbare Stimme von meinen Zaubertränkelehrer Severus Snape. "Miss Potter muss über gewisse Dinge eben nicht Bescheid wissen. Alle, die mit ihr zu tun haben, wissen, dass sie Sachen zu überstürzt und unbedacht angeht. Wenn sie von unserem Verdacht von Voldemorts Plänen und Fudges Verschwörung erfährt, würde sie handeln wollen. Und Dumbledore will das gewiss verhindern – um jeden Preis."
Kurz herrschte Stille, dann hörte ich das Scharren von Stuhlbeinen und wusste, dass die Versammlung nun beendet war. Eilig schlich ich die Treppen nach oben in mein Zimmer und hoffte, dass man die knarzenden Stufen nicht bis in die Küche hören konnte.
Ich wusste nicht, was ich über das eben Erfahrenen denken sollte, doch für mich war eins sicher: all diejenigen, die an Harrys Ankunftsabend noch beim Abendessen dabei gewesen waren, verheimlichten mir etwas. Und den Leuten, die etwas vor mir verbargen, vertraute ich nicht.

Bis zum bitteren Ende [Draco Malfoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt