Auch aus Steinen wird ein Weg

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Am allerletzten Tag der Ferien packte ich gerade meinen Koffer, als Hermine mit ein paar Umschlägen in unser Schlafzimmer kam.
"Was hast du da?", fragte ich und stand auf, um mich zu strecken.
"Die Bücherlisten", antwortete Hermine aufgeregt und reichte mir meine.
Wurde auch Zeit, dachte ich. Normalerweise kamen sie früher und nicht erst am letzten Tag. Ich packte noch die letzten Sachen in meinen Koffer, dann nahm ich den Umschlag und brach das Siegel auf. Wie gewöhnlich enthielt es die Erinnerung, dass das Schuljahr am ersten September losging und ich überflog kurz den Text, doch beim letzten Abschnitt kam ich ins Stocken.
"Oh nein", sagte ich und Hermine sah auf.
"Was ist los?", fragte sie und wollte aufstehen, um zu mir zu kommen, doch ich hielt sie mit einer schlichten Handbewegung davon ab.
Ich begann den letzten Abschnitt laut vorzulesen. "Außerdem freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu können, dass sie zur Vertrauensschülerin des Hauses Gryffindor ernannt wurden. Herzlichen Glückwunsch. Ihr Abzeichen finden sie beigelegt in diesem Briefumschlag."
"Nein", sagte Hermine. "Das ... ähm ... Rachel, das ist toll!"
Vorwurfsvoll sah ich sie an. "Du bist eine miese Lügnerin, Hermine."

Ich legte den Brief neben mich auf das Bett und sah meine beste Freundin an. "Tut mir leid. Ich weiß, du wolltest diese ... Position."
Sie hatte sich von mir abgewandt und las erneut ihre Bücherliste durch. "Nur zwei neue Bücher. Wer wohl dieses Buch von Wilbert Slinkhard auf die Liste gesetzt hat... Sieht aus, als hätten wir einen neuen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste."
Ich stand auf und stellte mich neben Hermine, doch sie sah mich extra nicht an. "Wenn ich könnte, würde ich dir das Abzeichen geben. Du weißt genau, dass ich für sowas nicht gemacht bin."
"Weißt du, Rachel", erwiderte Hermine. "Es wäre schön gewesen, wenn du ausnahmsweise nicht eine Sonderbehandlung von Dumbledore kriegen würdest! Ich kann dir sagen, warum er dich zur Vertrauensschülerin ernannt hat! Weil du dich sonst immer nur um dich selbst kümmerst."
Erschrocken wich ich einen Schritt zurück. "Bitte", fauchte ich. "Wie du willst, Hermine." Ich nahm das glänzende Abzeichen, auf dem der Gryffindor-Löwe mit einem V zu sehen war und steckte es mir gut sichtbar an den Pullover. "Soll ich so rumlaufen und so tun, als wäre mir jeder wichtig?"
Dann stolzierte ich aus dem Zimmer, polterte die Treppen runter und riss mir das blöde Abzeichen ab. Ich ballte meine Hand zu einer Faust. Noch nie war ich so sauer auf Hermine gewesen. Ich war doch noch nicht einmal Schuld daran, dass ich jetzt Vertrauensschülerin war! Ich konnte doch nichts dafür, dass sie es unbedingt wollte und ich es bekommen hatte! Ich hatte mich dafür nicht freiwillig gemeldet!

Es besserte meine Laune keineswegs, als Fred und George erfuhren, dass ich nun Vertrauensschülerin war und mich deswegen aufzogen. Ron war Vertrauensschüler, entgegen der Erwartungen aller, und Harry benahm sich ein wenig wie Hermine, doch er konnte es viel besser verstecken, als meine beste Freundin. Falls sie das noch war.

Gegen sechs kam Mrs Weasley aus der Winkelgasse zurück. Sie hatte uns die neuen Schulbücher besorgt und Ron einen neuen Besen (das neueste Sauberwisch-Modell), als Geschenk. Unten im Keller hatte sie ein scharlachrotes Spruchband über den schwer beladenen Tisch gespannt, auf dem stand:

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!
DIE NEUEN VERTRAUENSSCHÜLER
RON UND RACHEL

"Ich habe mir gedacht, dass wir heute kein normales Abendessen machen, sondern eine kleine Party veranstalten", verkündete Mrs Weasley in hocherfreuter Stimmung, als wir in die Küche kamen.
Ungehört seufzte ich auf. Genau sowas hatte mir noch gefehlt.
Sirius, Lupin, Tonks und Kingsley Shacklebolt waren schon da. Kurz darauf stampfte auch schon Moody herein, der sich auf Mrs Weasleys Bitte hin das Schreibpult im Salon ansah, in dem tatsächlich ein Irrwicht sitzen sollte.
Die Feier kam schnell in Gange und es kamen noch ein paar Ordensmitglieder und dauernd bedankte ich mich bei fremden Personen, die mir zu meinem neuen Amt gratulierten. Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken und goss mir ein wenig von dem Butterbier ein.
"Was ist los?"
Ich sah auf und erkannte, dass Sirius neben mir saß. Ohne irgendeine Reaktion zu zeigen, wandte ich mich meinem Butterbier zu.
"Bist du nicht froh, Vertrauensschülerin zu sein?", fragte er weiter.
"Hermine verdient es viel mehr als ich", erwiderte ich trocken.
Sirius atmete angespannt aus. "Dumbledore wird seine Gründe haben, ausgerechnet dich zur Vertrauensschülerin zu ernennen. Schließlich kannst du manchmal auch eine ganz schöne Herausforderung darstellen." Er lachte leicht.
"Ach", sagte ich, "wirklich?" Ich trank einen Schluck Butterbier.
Sirius räusperte sich. "Kannst du ganz kurz hier warten? Ich muss Harry suchen. Ich will euch beiden was zeigen."
Damit stand er auf und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich leerte mein Glas Butterbier und stand auf. Ich hatte weder Lust mit Harry noch mit Sirius zu reden, deswegen drängelte ich mich zwischen den Leuten hindurch, um in mein Zimmer zu gehen. Allein sein.

Bis zum bitteren Ende [Draco Malfoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt