Von wegen Vergebung

213 19 0
                                    

Der Mai flog nur so dahin und schon bald kam der Juni. Somit rückte täglich auch die dritte Aufgabe des Trimagischen Turniers näher. Hermine und Ron übten mit Harry in jeder freien Minute, und ich war froh, dass sie mich nicht fragten, warum ich nicht bei ihnen war. Ich hatte mich ein wenig von ihnen abgeschottet und verbrachte nun wieder mehr Zeit mit Fred und George. Mittlerweile hatte ich auch eingewilligt, ihnen bei den neuen Streichen zur Seite zu stehen. Einmal hatte mich Snape erwischt und ich hatte schon befürchtet, dass ich erneut nachsitzen müsse, jedoch quittierte er es nur mit einem missbilligenden Blick und rauschte dann weiter durch die Gänge. Ich nahm es mit einem Schulterzucken hin.
Sirius hatte sich seit dem Montagabend im April nicht mehr gemeldet. Und ich hatte ihm nicht auf seinen Brief geantwortet. Ich war noch immer wütend auf ihn und konnte nicht verhindern, dass ich manchmal darüber nachdachte, was passiert wäre, wenn ich mit Dumbledore über meine Vergangenheit, meine wahre Vergangenheit, gesprochen hätte. Ich gestand es mir nur schwer selbst ein, doch ich fürchtete mich sogar ein wenig, Dumbledore darauf anzusprechen. Wenn ich noch ehrlicher war, wollte ich weiterhin einen Grund haben sauer auf Sirius zu sein, und ich glaubte, dass Dumbledore mir eben diesen Grund nehmen würde.
Die Jahresabschlussprüfungen standen bald an und ich wunderte mich, dass Hermine Harry trotzdem noch in den Pausen zur Verfügung stand. Langsam kam ich mir so vor, als würde ich sogar mehr Zeit hinter Büchern verbringen als sie.
In den Gängen sowohl als auch in der Bibliothek traf ich ungewöhnlich oft auf Draco Malfoy, der ebenfalls so gut wie immer in seine Aufzeichnungen vertieft war. Und trotzdem hatte ich das unangenehme Kribbeln im Nacken, das ich immer bekam, wenn jemand mich beobachtete.

Am Morgen des vierundzwanzigsten Junis war ich in meinem Schlafsaal als Erste wach, was jedoch daran lag, dass ich ins Badezimmer hetzte und mich übergeben musste. Es kam mir vor, als hätte sich mein Magen umgedreht, und mein Kopf schwirrte. Ich stöhnte und zog mich am Waschbecken hoch. Schließlich spülte ich meinen Mund aus und rieb mir über die Augen. Es wäre vergeblich, wenn ich versuchen würde, noch einmal schlafen zu gehen. Außerdem würde mich Hermine in knappen zwei Stunden wieder wecken.
Nachdem ich mich angezogen hatte, nahm ich meine Schultasche und ging hinunter in den Gemeinschaftsraum, der noch vollkommen leer war. Ich schnappte mir den Tagespropheten, den eine Hauselfe auf einen Tisch gelegt hatte und starrte erschrocken auf die Titelseite.

Die Potters »gestört und gefährlich«?
Der Junge, der den Unnennbaren besiegte, ist labil und möglicherweise gefährlich. Beunruhigende Tatsachen über Harry Potters seltsames Verhalten sind jetzt ans Licht gekommen, und sie wecken Zweifel, ob er geeignet ist, an einem kräftezehrenden Wettkampf wie dem Trimagischen Turnier teilzunehmen oder auch nur die Hogwarts-Schule zu besuchen.
Wie der Tagesprophet  heute exklusiv enthüllen kann, bricht Potter in der Schule des Öfteren zusammen und klagt häufig über Schmerzen, die ihm seine Stirnnarbe bereitet (Überbleibsel des Fluches, mit dem Du-weißt-schon-wer versuchte ihn zu töten). Letzten Montag, mitten im Wahrsageunterricht, wurde Ihr Tagesprophet-Reporter Zeuge, wie Potter aus dem Klassenzimmer stürzte und behauptete, er habe so heftige Narbenschmerzen, dass er nicht weiter, am Unterricht teilnehmen könne.
Topspezialisten am St. Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen halten es für durchaus möglich, dass Potters Gehirn durch den Angriff des Unnennbaren nachhaltig geschädigt wurde und dass seine Behauptung die Narbe schmerze noch immer, Ausdruck einer tiefsitzenden Störung ist.
"Gut möglich, dass er alles vortäuscht", meint ein Spezialist, "es könnte ein Schrei nach Zuwendung sein."
Der Tagesprophet hat jedoch alarmierende Fakten über Harry Potter ans Licht gebracht, die Albus Dumbledore, Schulleiter von Hogwarts, vor der Zaubereröffentlichkeit sorgfältig verborgen hat.
"Potter beherrscht Parsel", enthüllt Draco Malfoy, ein Viertklässler in Hogwarts. "Vor ein paar Jahren gab es viele Angriffe auf Schüler, und die meisten vermuteten Potter dahinter, nachdem sie gesehen hatten, wie er in einem Duellierklub die Nerven verlor und eine Schlange auf einen anderen Jungen hetzte. Aber es wurde alles vertuscht. Außerdem hat er sich auch noch mit Werwölfen und Riesen angefreundet. Wir glauben, dass er für ein bisschen Macht alles tun würde."
Parsel, die Fähigkeit mit Schlangen zu sprechen, wurde lange als eine dunkle Kunst betrachtet. Tatsächlich ist der berühmteste Parselmund unserer Zeit kein anderer als Du-weißt-schon-wer persönlich. Ein Mitglied der Liga zur Verteidigung gegen die dunklen Kräfte, das ungenannt bleiben will, stellte fest, jeder Zauberer, der Parsel spreche, solle seiner Meinung nach "einmal gründlich durchleuchtet werden. Ich persönlich würde jedem mit größtem Misstrauen begegnen, der mit Schlangen sprechen kann, denn diese Tiere werden oft bei den schlimmsten schwarzmagischen Praktiken eingesetzt und wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder mit Schurken in Verbindung gebracht." Desgleichen gilt für alle, "welche die Nähe solcher heimtückischer Kreaturen wie Werwölfe und Riesen suchten, dass sie sich offensichtlich an der Gewalt ergötzen".
Wenn man darüber nachdenkt, bleibt es natürlich nicht aus, sich zu fragen, was Harry Potters Schwester Rachel Potter damit zu tun hat? "So weit die Schüler von Hogwarts wissen, ist Rachel Potter kein Parselmund", ergänzt Draco Malfoy. "Jedoch verschweigt man uns so oder so einiges."
Rachel Potter, die in einem Muggel-Waisenhaus aufgewachsen ist, ohne Kenntnis über ihre Vergangenheit, gibt sich gerne sehr geheimnisvoll und möchte nur sehr ungern und selten Fragen von Reportern beantworten. Jedoch ist zum Tagespropheten über eine zuversichtliche Quelle, die verständlicherweise ungenannt bleiben will, durchgesickert, dass Rachel Potter immer weniger in Begleitung von ihrem Bruder und seinen geringen Freunden gesehen wird. Vielmehr soll sie eine Einzelgängerin sein, doch "man sollte sie nicht unterschätzen".
Wir können nicht sicher wissen, worauf sich die oben genannte Aussage bezieht. Schließlich ist Miss Potter in den letzten Monaten eher durch negative Schlagzeilen aufgefallen (der Tagesprophet berichtete). Wer es nicht mitbekommen hat, was wohl kaum der Fall sein wird, dem sei es kurz und knapp erklärt: Ein Disput mit ihrem Bruder trieb Rachel Potter dazu eine Intrige mit Cedric Diggory, dem siebzehnjährigen Hogwarts-Champion im Trimagischen Turnier, zu spielen, die damit endete, dass die Wahrheit ans Licht kam. In einem exklusiven Interview sagte Diggory aus, dass Miss Potter "listig, schadenfroh und launenhaft" sei. Wen würde es bei diesen typischen Slytherin-Eigenschaften wundern, wenn die Gryffindor ebenfalls Parsel sprechen könne?
Albus Dumbledore sollte unbedingt darüber nachdenken, wen er an seiner Schule aufnimmt, und vor allem, ob ein solcher Junge wie Harry Potter am Trimagischen Turnier teilnehmen darf. Manche befürchten, Potter könnte sein Heil in den dunklen Künsten suchen, um das Turnier zu gewinnen, dessen dritte Runde heute Abend stattfindet. Hilfe hätte er dabei auf jeden Fall von seiner Schwester.
Von unserer Sonderkorrespondentin Rita Kimmkorn

Bis zum bitteren Ende [Draco Malfoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt