Chapter 11

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Das Einzige, was ich registrierte, waren meine Füße, die beim Rennen hart auf den Boden aufschlugen. Es fühlte sich ganz anders an als sonst, als wäre ich um einiges schneller als normalerweise. Doch ich ignorierte diese Symptome, denn schließlich befand ich mich ja auch nicht in einer normalen Situation. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. weil ich meinen Retter einfach so mit Evelyn hatte stehen lassen. Doch andererseits bezweifelte ich nicht, dass er auch mit ihr fertig werden würde. Trotzdem. Er hatte besorgt geklungen, als er mir bei meiner Flucht hinterhergerufen hatte. Machte er sich vielleicht genau in diesem Moment Sorgen um mich? Ich versuchte, mich auf die .

Ich spürte, den angenehmen Wind, der mir ins Gesicht pustete und nahm zum ersten Mal, seit meinem überstürzten Weglaufen, den intensiven Geruch des Waldes wahr, in dem ich mich befand. Der Duft beruhigte mich sofort, ich fühlte, wie mein rasendes Herz langsamer zu schlagen begann und auch mein hektischer Atem sich beruhigte. Ich wurde immer langsamer, bis ich schließlich zwischen zwei großen schneebedeckten Tannen auf einer breiten Wurzel stehen blieb. Ich wollte die Stille und das Gefühl der Geborgenheit, das mich im Wald überkommen hatte genießen und schloss deshalb die Augen.

Doch sobald sich meine Lider schlossen, stürzten Bilder auf mich herein. Lachende Gesichter, Menschenmassen, Umarmungen, Streitereien. Einfach alles, was mich in den letzten Tagen so viel beschäftigt hat. Ich erinnerte mich an Dinge, die ich davor nicht für möglich gehalten hätte. Und auch die beiden Personen aus meinem angsteinflößenden Traum waren wieder in meinem Gedächtnis aufgetaucht. Wie konnte ich nur die Menschen, die ich so sehr liebte, vergessen? Clarisse hatte recht gehabt, ich hatte mich erinnern müssen.

Mich juckte es am Ohr, deswegen wollte ich meine Hand heben und mich an der Stelle zu kratzen. doch ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmen musste. Sobald ich den Arm anhob, hatte ich das Gefühl das Gleichgewicht zu verlieren. Ich richtete meinen Blick auf meine Hände und bekam den Schock meines Lebens. Anstatt meiner Hände befanden sich sehr haarige Pfoten mit Krallen satt meinen Fingernägeln in meine Sichtfeld.

Ich wand meinen Kopf, um den Rest meines Körpers zu betrachten, auch dieser war vollständig mit einem hellgrauen Fell bedeckt und befand sich in einer animalischen Vierfüßlerstellung. Meine Gedanken begannen zu rasen. Das war doch alles nicht möglich. Mein Leben war doch normal, was war innerhalb dieser wenigen Tage nur passiert, dass alles aus den Fugen geriet. Und warum verdammt noch mal steckte ich nicht in meinem Körper! Aufgelöst und nach Gleichgewicht suchend strich ich mir über meine Nase, nur um erschreckt festzustellen, dass meine Hand beziehungsweise meine Pfote ganz feucht war. Nein, Nein, Nein! Mir entfuhr ein Schluchzer, doch er hörte sich mehr wie ein jämmerliches Heulen an.

Auf einmal spürte ich ein Ziehen, dass von meinem Rücken ausging. Ich konnte es nicht einordnen, doch ich hatte es im Gefühl, dass dies ein Anzeichen dafür war, dass die fürchterlichen Schmerzen von vorhin wieder kehren würden. Ich krümmte mich zusammen, um mich auf die Qualen vorzubereiten, die mich erwarten würden, doch es reichte bei Weitem nicht aus. Als mich die ersten Wellen überrollten, schrie ich leidvoll auf.

In meinen Ohren erklang jedoch nur das Heulen, dass sich anhörte, wie das Rufen eines einsamen Wolfes. Und wieder knackte es an jeder erdenklichen Stellen in meinem Körper, die sich neu zusammenzusetzen schienen. 'Sei stark! Beim letzten Mal hattest du es schließlich auch geschafft.' Diese beiden Sätze waren der einzige Anker, der mich davon abhielt, mich in den Schmerzen zu verlieren. Denn ich wusste nur eins. Letztes Mal hatte das Leiden sein Ende gefunden und auch dieses Mal würde es nicht anders sein.

Mir rollten warme Tränen in Strömen über das Gesicht, als ich schließlich wieder aufatmen konnte, weil ich die Qualen überstanden hatte. Nur noch das Stechen in meiner linken Schulter erinnerte mich daran, dass ich mich gerade nicht in einem schrecklichen Traum, sondern in der Realität befand, wobei ich die Bedeutung dieses Wortes nicht mehr so ganz verstand. Ich hatte geglaubt, dass die Realität einen beschützte, dass niemals solche schrecklichen Sachen passieren könnten. Und doch war mir all dies widerfahren.

Ich zog die Knie so nah wie möglich an meinen Körper und bettete meinen Kopf auf die so entstandene Fläche, sodass die warmen Tropfen auf meine nackten Beine fielen. Ich beobachtete wie eine Träne an meiner Wade entlang bis ganz nach unten rollte und vom Boden verschluckt wurde. Warum tat sich für mich nicht, wie auch für die Tränen, der Boden auf, warum empfing er mich nicht mit offenen Armen und verschlang mich? Das wäre im Moment nämlich das Beste, was mir passieren könnte. Ich wollte, nie wieder in meinem Leben solche Höllenqualen erleiden müssen.

Meine Schultern wurden von warmen, großen Händen umfasst und eine Stimme begann sanft auf mich einzureden: „Allison. Es ist alles gut, es ist vorbei. Kannst du mich hören? Es ist alles in Ordnung, du bist in Sicherheit." So etwas nannte er Sicherheit? Dass ich jeder Zeit wieder zu dem pelzigen Etwas mutieren konnte? Doch trotz meiner Zweifel und meiner Tränen, die immer noch nicht versiegt waren, beruhigte mich seine tiefe Stimme. Er legte eine kuschelige Decke um meinen Körper. Als er sich vorbeugte, kitzelte sein Atem auf meiner Haut und die kleinen Härchen auf meinem Arm stellten sich auf.

Er zog mich in eine ziemlich unerwartete Umarmung, wenn man bedachte, dass er vor wenigen Minuten, oder waren es Stunden, noch gesagt hatte, ich wäre ihm egal und Evelyn könne mich töten. Bei dieser Erinnerung kam mir noch ein anderer Gedanke: „W...was... hast du... Was hast du mit Ev... Evelyn gemacht?", ertönte meine brüchige Stimme und ich erschrak selber über ihren schlechten Zustand.

Doch mein Gegenüber zog mich nur noch fester an sich und strich mir beruhigend über den Kopf. „Sie kann dir nichts mehr antun, ich habe sie umgebracht." „Du hast sie sie-" Ich unterbrach meinen Satz, weil ich spürte, wie sich während dem Reden ein Riss durch meinen trockenen Lippen gezogen hatte. Bevor das Blut auf sein T-Shirt tropfen konnte, fing ich es schnell mit meiner Zunge auf.

Sobald das Blut meine Zunge berührte, bildete sich eine Geschmacksexplosion in meinem Mund. Ich schmeckte alle Einzelheiten und Bestandteile deutlich heraus und vor allem verspürte ich auf einmal den Hunger, der sich anfühlte, als ob ich schon seit einer Woche nichts gegessen hatte. Ich fühlte mich, als ob ich einen ganzen Braten verschlingen könnte.

Mein Retter schien die Veränderung zu spüren und richtig einordnen zu können. „Du hast bestimmt Hunger. Wir sollten zum College aufbrechen." Ich nickte zustimmend, obwohl ich nicht wusste, was für ein Ort das College war. Ich blickte auf und bemerkte, dass von seinen Augen, die vorher noch haselnussbraun gewesen waren, ein unnatürliches Leuchten ausging. „Was ist mit deinen Augen?", fragte ich überrascht.

„Das gleiche wie mit deinen", erwiderte er und drückte mir eine Scherbe in die Hand. Was wollte er denn jetzt mit einer Scherbe. Als er meinen fragenden Blick entdeckte, nahm er mir die Scherbe wieder aus der Hand und drehte sie so, dass ich mich selber darin sehen konnte. Sofort schreckte ich vor meinem Spiegelbild zurück. „Es ist alles in Ordnung. Das ist ein ganz normales Symptom, es bedeutet nur, dass du erregt bist."

„Ich bin was?", sofort schoss mir die Röte ins Gesicht. „Mein Gott, wie alt bist du denn", er verdrehte die Augen, wirkte aber nicht sonderlich genervt, als hätte er meine Frage bereits erwartet. „Das bedeutet, dass dein Körper sich vom Vollmond angezogen fühlt und kommt nur in ganz wenigen anderen Situationen vor. Aber die ganzen Fragen kannst du zu Hause stellen, wir müssen jetzt gehen, komm."

Mit diesen Worten stand er auf. Doch statt darauf zu warten, dass ich mich ebenfalls erhob, legte er einen Arm unter meine Kniekehlen, die andere spürte ich warm in meinem Rücken und schon zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich von ihm in die Luft gehoben. „Ich kann selber laufen!", protestierte ich. Doch er schüttelte bloß den Kopf und begann zu rennen. So schnell zu rennen, dass sich die Welt um mich herum zu drehen begann...

Shadow of your life, the story of a werewolf [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt