sechs

372 51 4
                                    

Als Liv die Küche betritt, wird sie Zeugin der größten Mehlschlacht aller Zeiten.

"Ergebt euch, Erzherzog Oleander van Allen!"

Unsere alten Adelstitel aus Kindergartentagen finden endlich wieder Verwendung.

"Niemals, Graf Nicholas Somerville."

Und schon landet eine riesige Ladung Mehl in meinem Gesicht. Das kann ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen.

Mit einer Hand schnappe ich Coles Nacken, mit meiner anderen Hand voll Mehl wuschle ich ihm durch die hellen Haare. Lachend nimmt er mein Gesicht und streicht seine mehligen Hände an meinen Wangen ab.

Plötzlich ist sein Gesicht so nah an meinem, seine warmen, braunen Augen nur zentimeterweit von meinen entfernt. Für einen Moment hören wir beide auf zu lachen und erstarren mitten in der Bewegung.

Bis Liv auf uns zukommt, mit einem erstaunten Grinsen im Gesicht.

"Coley, es ist, als wärst du nie weggewesen!"

Ich spüre noch eine Sekunde lang Coles Atem, bevor er sich zu Liv umwendet und sie anstrahlt.

"Livvy, komm in meine mehligen Arme!"

Ohne Zögern umarmt sie Cole lachend.
So ist mein Zwilling, durch und durch ein cooler Mensch.

Kurz durchzuckt mich so etwas wie Eifersucht, weil sie eine Umarmung von ihm bekommt und ich nicht mal einen Handschlag. Aber das ist natürlich Schwachsinn.

"Wie geht's dir, erzähl mal. Ich hab dich ewig nicht gesehen.", fordert Liv ihn auf. Sie sieht eine Schüssel mit Teigresten, die sie sich schnappt und mithilfe eines Löffels ausschleckt.

"Tja, ich muss jetzt wieder bei meinem Dad leben, aber ihr wisst ja, wie das ist.", meinte Cole und sieht uns mit einem Schulterzucken an.

Da hat er recht. Die komplizierte Beziehung zu unseren Vätern verbindet uns wohl schon immer.

"Meine Mutter zieht ebenfalls um, daher wohn ich wieder hier. Aber wenigstens kenn ich schon ein paar Leute in der Schule." Mit einem Seitenblick auf mich lächelt er. Liv lächelt zurück.

"Ich hab dich echt vermisst, weißt du das?" Liv schafft es, solche Worte ehrlich klingen zu lassen. Vermutlich, weil sie es auch wirklich so meint.

Cole lacht sanft und umarmt Liv nochmal, bevor sie nach oben in ihr Zimmer verschwindet.

Kaum ist sie zur Tür raus sagt Cole: "Sie ist echt süß. So groß geworden."

In mir wird alles kalt und mein andauerndes Lächeln von vorher verschwindet schlagartig. Ernsthaft? Er will meine Schwester angraben?

Kurz blicke ich ihm ins Gesicht, dann drehe ich mich um und nehme die Brownies aus dem Backrohr, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen.

Um ihm irgendetwas zu antworten - wenigstens bin ich immer noch höflich - murmle ich ein "Mhm".

Cole merkt wohl meine plötzliche Kälte.

Als ich mich wieder umdrehe, sieht er mich verwirrt an und zieht eine Augenbraue hoch. Ich mache dieses Dein-Ernst?-Gesicht. Total unangebracht, Kumpel.

Oder vielleicht, sagt mein Gewissen oder was auch immer diese nervige Stimme in meinem Inneren ist, bist du einfach eifersüchtig?

Cole fängt plötzlich an zu lachen.
Und kann gar nicht mehr aufhören damit.

Am liebsten würde ich ihn gerade rauswerfen, aber ich habe Angst, dass er dann durchs Fenster ins Zimmer meiner Schwester klettert.

"Mann, ich will doch nichts von Liv! Sie ist wie eine Schwester für mich.", bringt Cole unter Lachen heraus.

Oh. Das ist ...beruhigend.
Andererseits, vielleicht bin ich dann wie ein Bruder für ihn? Ich versuche ebenfalls zu lachen. Funktioniert nur irgendwie nicht so gut.

Zum Glück unterbricht das Klingeln eines Handys meine zum Scheitern verurteilten Lachversuche.

"Oh Mist.", flucht Cole, als er sein Handy aus seiner Hosentasche holt und auf das Display sieht. "Mein Dad. Fuck, es ist schon total spät."
Er sieht mich mit leicht geweiteten Augen an. Wir haben wohl beide die Zeit vergessen.

"Ich muss nach Hause."

Etwas überstürzt steht er auf und geht zum Eingangsbereich. Ich folge ihm. Während er sich seine Schuhe, Jacke und die Mütze anzieht, öffne ich die Tür für ihn.

Kurz zögert Cole, als wüsste er nicht, ob er mich zum Abschied wie Liv umarmen soll. Dann grinst er mich jedoch einfach an.

"Ich hol dich morgen früh ab, wenn du willst. Dann können wir gemeinsam zur Schule gehen wie früher."

Ich lächle als Bestätigung zurück.

"Wir sehen uns wieder, Erzherzog Oleander van Allen."

"Bis morgen, Graf Nicholas Somerville."

boy storiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt