vierundreißig

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Der Boden unter meinen Füßen fühlt sich kalt an, als ich ins Badezimmer trete. Wie so oft, wenn ich nicht weiß, was verdammt nochmal ich eigentlich tun sollte, stelle ich mich vor den Spiegel, die Hände am Waschbecken abgestützt, und sehe mir in die Augen. Dort erkenne ich all die Vorwürfe, die ich mir selbst mache.

„Alter, was machst du eigentlich.", fahre ich mich leise zwischen zusammengebissenen Zähnen an.

Die Sache mit meinem Vater, der mich hasst und am liebsten totprügeln würde. Das Gespräch mit Josh, der mich anscheinend vermisst aber niemals mit mir zusammensein kann oder will, weil ich nicht gut genug bin. Jetzt das mit Cole. Und ich, der alles immer schlimmer macht und zerstört.

Fuck. Alles ist zuviel. Ich kann nicht mehr atmen. Kann nicht mehr in meine eigenen Augen sehen. Meine Umgebung verschwimmt um mich herum. Meine Atmung ist viel zu laut und schnell, trotzdem bekomme ich keine Luft. Als würde sich eine eiskalte Klaue um meine Lungen legen, und um meinen Kopf.

Alle schrecklichen Gedanken stürzen auf mich ein. Ich höre nur mehr mein lautes Keuchen, spüre, wie meine Beine mein Gewicht nicht halten können. Das ganze Gewicht dieser Welt, all meiner Probleme, die über mir zusammenbrechen und mich auf den Boden zwingen. Sobald ich daran denke, wie wenig ich eigentlich aushalte, wie empfindlich ich bin, hasse ich mich nur noch stärker.

Ich spüre nur mehr Schmerzen, überall, in meinem Kopf, auch in meinem Gesicht. Tränen fließen unkontrolliert meine Wangen hinab. Mein verzweifeltes Schluchzen hallt von den Badezimmerwänden wider.

„Hör auf hör auf hör auf zu weinen.", schluchze ich, vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Meine geschlagene Wange pulsiert. „Bitte hör auf!", befehle ich mir selbst verzweifelt, kaum hörbar zwischen meinen Schluchzern. Doch ich kann einfach nicht aufhören.

Kalte Fliesen unter mir, die Badewanne hinter meinem nackten Rücken. Wie zur Beruhigung wippe ich am Boden kauernd vor und zurück.

„Sei endlich still!", schluchze ich meinen Kopf an, doch er hört nicht auf, mir meine verdammten Erinnerungen entgegenzuschleudern.

Die Sonne scheint unerträglich heiß auf unsere Köpfe hinab, selbst hier im Schatten. Wir hören das stete Zirpen der Grillen, irgendwo das Geräusch eines Rasenmähers. Der Duft von gegrilltem Fleisch weht zu uns herüber.

Ich spüre das frisch gemähte Gras an meinen Armen und Beinen kitzeln, genauso wie die Wärme, die sein Körper dicht neben mir liegend ausstrahlt.

„Könnte es doch immer Sommer sein.", höre ich ihn mit einem kleinen Seufzen sagen. Seine Stimme ist hell, noch fast wie die eines Kindes, obwohl man manchmal schon das Krächzen hört. Ich weiß, dass er vor mir erwachsen werden wird.

Vorsichtig öffne ich die Augen. Alles ist leuchtend. Die Blätter des Baums über mir, der wolkenlos blaue Himmel, der dazwischen hervorblitzt. Ich drehe meinen Kopf, der auf meinen Armen ruht, und grinse ihn an.

Seine warmen braunen Augen strahlen mir entgegen. Tief in mir spüre ich, dass alles gut ist, immer gut sein wird, wenn er bei mir ist.

Wie zufällig streift sein hinter dem Kopf verschränkter Arm meinen. Sein Ellenbogen an meinem.

Die letzten paar Wochen waren voller solcher Berührungen. Wie zufällig.

Wenn er mir einen Pfirsich gab und meine Hand einen Moment länger berührte als gewöhnlich. Wenn wir beim Lagerfeuer nebeneinander saßen und sein Oberschenkel an meinem war. Wenn wir im Fluss schwimmen waren und er mich untertauchte. Und nicht mehr loszulassen schien.

Wie ich diese Berührungen wollte. Liebte.

Früher war es mir nicht aufgefallen. Vorher hatten wir schon fast jeden Nachmittag miteinander verbracht. Doch seit er aus dem Ferienlager zurück war, hatte sich etwas verändert.

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