fünfundreißig

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Schluchzend vergrabe ich meinen Kopf zwischen meinen Armen. Irgendwie liege ich wohl am Boden. Arme und Beine nah am Körper angezogen. Wie ein verdammtes Baby.

Ich muss endlich mit diesem scheiß Flennen aufhören. Mit einem Ruck setze ich mich auf. Die Bewegung lässt wieder einmal Schmerzen durch meinen Bauch zucken.

Doch das reicht mir noch nicht. Ich betrachte meine Wunden und drücke mir mit meinen Händen auf meine blauen Flecken. Der Schmerz lässt mich zwischen zusammengebissenen Zähnen zischend die angehaltene Luft ausatmen.

Tja, damit erreiche ich genau, was ich wollte. Es lenkt mich von meinen Erinnerungen ab.

„Scheiß Penner.", murmle ich noch ein letztes Mal schniefend und bin nicht sicher, ob ich mich selbst oder meinen Idiot von Vater beschimpfe. Vielleicht uns beide.

Nach dieser verkackten Nummer meines Vaters vor ein paar Jahren lag ich einige Tage im Krankenhaus. Ich war, laut meiner eigenen Aussage gegenüber den Ärzten, die Treppen hinuntergefallen.

Wenn ich daran denke, kann ich ein humorloses Lachen kaum unterdrücken.

Cole war weg. Zufälligerweise war plötzlich das Jugendamt vor seiner Tür gestanden und hatte seinem Vater das Sorgerecht wegen Alkoholismus entzogen. Er musste zu seiner Mutter ziehen, zwei Stunden Autofahrt von hier entfernt.

Es war kein Zufall. Surprise surprise.

Mein Vater hatte es wohl irgendwie initiiert. Und mir damit gezeigt, dass ich gegen ihn immer verlieren würde. Dass er den einen Menschen, den ich schon immmer geliebt habe, verletzen würde, bestrafen würde, nur weil er den Fehler machte, mich zu mögen.
Ich war schuld. Ich bin schuld.

Plötzlich klopft etwas gegen die Tür. Ich höre sofort erschrocken auf, so schniefend zu atmen und halte die Luft an.

„Ähm Lee?" Coles Stimme dringt durch die Badezimmertür zu mir vor.

Verfickte Scheiße. So darf er mich nicht sehen. Die Erinnerung durchzuckt mich und lässt mich die Augen zusammenkneifen. Er soll mich nie wieder sehen.

Wieso kann sich emotionaler Schmerz so verdammt brutal anfühlen? Oder bin ich einfach zu sensibel? Hat mein Vater recht? Bin ich wertlos?

„Lee, bist du da drin?", fragt Cole zögerlich. Seine Stimme klingt etwas verunsichert. „Was auch immer du da drin machst... ähm wir können es auch... gemeinsam tun?"

Fast lache ich auf. So wie er das sagt, denkt er wohl etwas Zweideutiges. Wirklich süß. Wäre es nur das.

„Gott was rede ich da..", murmelt er vor der Tür. Ich kann ihn fast vor mir sehen, wie er sich übers Gesicht fährt.

„Naja, du warst so lang weg und... hör zu, ich bin auch ein wenig verunsichert okay?"

Ich lasse meinen Atem raus. Er klingt zittrig. Schnell lege ich mir die Hand auf den Mund.

Vor der Tür höre ich ein paar Geräusche. Es klingt, als würde sich Cole auf den Boden setzen. Vorsichtig klopft er nochmal.

„Oleander. Kannst du bitte einfach diese scheiß Tür aufmachen, damit ich mit dir reden kann? Egal was ich getan hab, es war nie meine Absicht, okay?"

Sein bittender Ton bricht mein Herz. Und das Schlimmste ist, ich bin selbst schuld. Ich werde diese Tür nicht aufmachen.

Diese Stimme, die in meinem Kopf gerade sarkastisch Love is an open door singt, würde ich mir am liebsten rausprügeln. Scheiß Disney-Songs.

Und Prinz Hans von den südlichen Inseln ist sowieso das größte Arschloch.

Ich atme einmal tief durch und denke daran, wie sehr mein Herz brechen würde, wenn mir mein Vater ihn noch einmal wegnehmen würde. Cole - nicht den Prinzen.

Egal ob es an meinem derzeitigen Zustand liegt oder nicht: Ich fasse einen Entschluss. Wie zur Konzentration schließe ich meine Augen. So kalt und abweisend wie möglich antworte ich.

„Geh jetzt, Nicolas. Tut mir leid, aber wir können nicht ...zusammen sein oder was auch immer." Ich versuche, so viel Abwertung in diese Worte zu legen wie ich kann.

„Wie... was? Was meinst du? Komm schon, verarschst du mich? Ist nicht lustig, Lee." Er versucht es mit einem Lachen, aber ich höre die Verwirrung und Angst in seiner Stimme, als sie kippt.

„Das ist kein Scherz. Geh endlich." Die Kälte in meiner Stimme erschreckt mich. Aber er muss endlich verschwinden.

„Lee, das kannst du doch nicht ernst meinen.", protestiert er ungläubig. Je länger er bleibt, umso verzweifelter werde ich. Wie soll ich ihn dazu bringen, mich einfach zu vergessen? Ohne mich ist er so viel besser dran. Das sollte ihm doch bewusst sein.

„Jetzt verschwinde endlich!" Wütend schlage ich mit der flachen Hand gegen die Tür. Auf der anderen Seite höre ich ein erschrockenes Keuchen.

„Lee...", setzt er an. „Jetzt hau schon ab!", schreie ich ihm entgegen und haue noch mal gegen die Tür, diesmal fester. Ich höre ihn erschrocken aufspringen.

„Weißt du was? Du bist wie dein Vater! Kalt und schlägst um dich! Wie ein Verrückter!", schreit er mir entgegen. Ein Verrückter. Das bin ich. Gestört. Eine Gefährdung.

„Was tust du dann noch immer hier?!", brülle ich zurück.

Die nächsten Worte verstehe ich nur schwer. Sie klingen so gebrochen. „Nichts. Gar nichts.", murmelt er leise.

Auf der anderen Seite verstummt es. Ich höre kein Atmen, keine Bewegung.

Ich hab ihn weggeschickt. Weg. Er ist weg. Ich habe das Richtige getan. Doch warum fühle ich mich jetzt noch miserabler als vorher?

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