einundvierzig

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Pünktlich vor meiner Rückkehr in die Schule versuche ich, den Rat von Noahs Omama zu befolgen und zu chillen. Mein neues inneres Mantra sozusagen.

Als Ausgleich dazu hatte ich begonnen, jeden Tag laufen und in den Fitnessraum in unserem Haus zu gehen, den sich mein Vater eingebildet hatte. Der Sport beruhigt mich und lässt mich abends schnell einschlafen.

Außerdem hoffe ich darauf, meinen leichten Winterspeck, der sich seit den Weihnachtskeksen angesammelt hat, irgendwie loszuwerden. Kann sein, dass ich ein wenig eitel bin.

Zumindest behauptet das Liv, wenn sie mir ab und zu beim Sport machen zusieht oder mich von meiner Joggingrunde nach Hause kommen sieht. Meistens laufe ich einmal um den Block, an den Zuggleisen und an dem Fluss vorbei, in den ich als Kind baden gegangen bin.

Nicolas und ich hatten die Wette, wer sich traute, als erstes im Jahr darin zu schwimmen. Mein Rekord war Mai, als der Fluss 14° Celsius hatte. Ich bin fast erfroren, ohne Scheiß. Bei dem Gedanken daran fröstle ich jedes Mal, wenn ich den Fluss entlangjogge.

Bei meiner Laufrunde komme ich leider auch an dem Haus von Nicolas' Vater vorbei. Als würde es nicht reichen, dass ich ihn bald wieder jeden Tag im Unterricht sehe. Über sein Angebot hatte ich nachgedacht. Fast in jeder freien Sekunde.

Doch als mein Vater mich zu Ferienbeginn zur Seite genommen hatte, um mir nicht gerade liebevoll einzubläuen, ich müsse ab jetzt bessere Noten schreiben, entschied ich mich dafür, Nicolas Angebot anzunehmen und ihn um Hilfe zu bitten.

War ja nichts dabei, ich musste einfach kein Drama machen, dann würde das schon werden.

Mit dieser Einstellung betrete ich am ersten Schultag nach den Winterferien den Ort des Untergangs. Gut, das war wohl auch etwas übertrieben.

Doch bevor ich in meine Klasse gehen kann, sehe ich eine Nachricht von Josh. Mein Herz beginnt, schneller zu schlagen. Wir haben nicht mehr geschrieben, seit wir nichts mehr miteinander am Laufen haben.

07:37: Hey Lee, bin im Keller bei den alten Spinds. Muss mit dir reden. Kannst du kommen?
07:39: Bitte.

Ich denke an den Bilck, den er mir immer zugeworfen hat, wenn er Bitte sagte. So, als würde er mich brauchen, genau mich. Ich konnte nie Nein sagen zu diesem Blick.

Seufzend steige ich die Treppe hinunter. Als ich mich am Geländer festhalte, zittern meine Finger. Wie kann er noch immer eine solche Wirkung auf mich haben?

Es wird nicht gerade besser, als ich Joshua vor den alten Spinds erkenne. In seinem dunkelblauen Pullover zwischen all den kaputten Schulmöbeln sieht er einfach gut aus. Verdammt, es wird wohl schwierig, wütend auf ihn zu sein.

„Morgen.", begrüße ich ihn und verstecke meine Hände in den Ärmeln meines etwas zu großen Hoodies.

Josh mustert mich kurz, bevor er seufzt und sich durchs Haar fährt.

Etwas ungeduldig schnalze ich mit der Zunge. Will er mich nur anstarren und schweigsam sein wie immer?

„Hey, du wolltest mit mir reden.",  weise ich ihn auf die Wahrheit hin und drehe mich augenverdrehend zurück zur Treppe. Da spüre ich seine Hand an meiner Schulter.

„Jetzt gib mir Zeit. Bitte.", erwidert er. „Du bist der erste, dem ich davon erzähle."

„Wenn du jetzt dein Coming-out hast, wird diese Unterhaltung dezent lächerlich, wenn man bedenkt, dass wir in der Ecke dahinten fast Sex hatten.", meine ich und deute auf ein altes Sofa, das dort abgestellt ist.

Josh wird ein wenig rot und verstärkt seinen Griff um meinen Arm. Trotzdem muss er lächeln, kurz nur, aber es war da. Dann holt er tief Luft. „Nein. Nein, Lee. Ich wollte dir sagen, dass ich... Ich hab mit Julia Schluss gemacht."

Boom.

Kurz bleibt mein Atem stehen. Haven't seen that coming. Blinzelnd starre ich ihn eine Sekunde lang an. Josh sieht unsicher zurück.

„Schmeichelhaft, dass du mir diese große Neuigkeit gleich als erstes erzählst. Ich werd sofort mit allen Mädels aus meiner Schulstufe tratschen. Du musst nich lange single bleiben.", erkläre ich übertrieben munter.

Josh seufzt wieder und dreht sich von mir weg. Jetzt seufze ich auch. „Was hast du denn erwartet, Josh?"

Er dreht sich zu mir und beißt sich nachdenklich auf seine Unterlippe. „Keine Ahnung. Ich, ich wollte einfach... mit dir darüber reden, schätze ich."

Dieses Stottern. Das ist neu. Er hat seine Entscheidung wohl nicht gut überdacht, weder die über seine Beziehung noch dieses Gespräch hier.

„War sie geschockt?", frage ich nun wieder ernst und setze mich auf eine abgefuckte Turnbank.

Josh nickt. „Sie hat nicht damit gerechnet.", erklärt er leise. „Aber weißt du, das nervt mich vielleicht sogar am meisten. Sie konnte sich nicht mal annähernd denken, wieso ich Schluss gemacht habe."

„Weil es eine Fake-Beziehung von Anfang an war?", meine ich abwertend. Julia tut mir fast ein wenig leid. „Du weißt, dass das echt scheiße von dir war, oder?"

Josh sieht bitter zu mir hinunter. „Ich fühl mich schon schlecht genug, okay? Aber... ich mag sie ja, nur nicht romantisch und außerdem... sie wollte gern mit mir zusammensein und-"

„Du bist trotzdem ein Arschloch."

Seine Augen sehen traurig zu mir hinunter. Und entschuldigend.

„Du verstehst das nicht. Meine Eltern haben mich jedes Wochenende gefragt, wann ich endlich eine Freundin mit nach Hause nehme. Ich... Sie sind so konservativ. Und religiös und..."

„Denkst du mein Vater ist nicht scheiße konservativ? Oder einfach nur scheiße? Bei ihm weiß ich es nicht so genau. Aber dann einfach mal mit einem Mädchen zusammensein obwohl du schwul bist?"

Wie aus einem Reflex unterbricht er mich leise: „Ich bin nicht sch-„

„Alter!", fahre ich ihn an. „Du hast mir hier vor ein paar Wochen das Shirt vom Leib gerissen als gäb's kein Morgen!"

Josh zuckt zusammen und atmet zischend ein. Ich bin noch nicht fertig.

„Oh Mann, gesteh's dir halt wenigstens selbst ein. Ich wette, Sex mit deiner Freundin hat dir weniger Spaß gemacht."

Halb belustigt, halb verbittert lachend setzt er sich neben mich. „Es war verdammt anstrengend, das kannst du mir glauben. Total die Vorstellungsarbeit."

Du wolltest es so.", erwidere ich kalt.

Eine Weile sagt keiner etwas. Wir sitzen einfach nur auf dieser alten Bank rum, nebeneinander.

Nachdenklich streicht sich Josh nach einer Weile übers Haar. „Wenn jemand von allein drauf kommen würde, weißt du? Dann würde ich es vielleicht sagen können. Aber... niemand kommt überhaupt auf die Idee, ich könne auf Jungs stehen."

Er sieht zu mir herüber. Sucht meinen Blick, mein Verständnis. Mein Blick wird ein weniger weicher.

„Julia dachte sofort, ich hab eine andere. Irgendwie lustig. Oder traurig." Josh lacht verbittert, bevor er vorsichtig in meine Augen sieht. „Sie hat nie gecheckt, dass ich eigentlich schon immer in jemand anderen verliebt war."

Mit schnellem Herzschlag schaffe ich es gerade so, zu schlucken und wegzusehen.

Und so sitzen wir noch ein wenig herum, bevor wir aufstehen und gemeinsam die Stufen hinaufsteigen.


Wow ich war gerade auf der Suche nach einem Lebenstipp und ja, i guess it's what Noahs Omama said. Ich chill einfach. Bestes Motto.

also stay tuned, listen to the news and try to fall asleep at night,
nono

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