zwanzig

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Als wir durchs Haus gehen, bleibt Cole vor jedem Fenster, an jeder Ecke stehen. Schon als Kind fand er unser Haus faszinierend. Alles so groß, breite Gänge, viele Türen.
Ein Paradies für neugierige Knirpse, die voller Fantasie die Welt entdecken wollten.

Wenn man noch dazu bedenkt, wo er früher wohnte und auch jetzt wieder lebt, erscheint der Unterschied zwischen meinem und seinem Zuhause noch größer.

Sein Zuhause, in meiner Erinnerung jede Ecke, jedes Möbelstück übersäht mit Bierdosen seines Vaters.
Dazwischen dieser kleine Junge mit den etwas zu großen Ohren, den dreckigen Hosen, der seinen Vater aus dem Rauschschlaf aufzuwecken versucht.

Eigentlich hätte ich ihn beschützen müssen.

Wenn ich ihn jetzt so ansehe, wie er erfreut die Fenster bestaunt, verstärkt sich mein schlechtes Gewissen nur noch.

Cole wendet sich von dem Ausblick des Fensters ab und grinst mich an. "Lee, jetzt schau doch nicht so grimmig. Ich weiß ja, dass du ein Morgenmuffel bist aber...diese Aussicht!", ruft er mit einem breiten Lächeln.

Ich kann nicht anders, als es zu erwidern und ihn leicht am Arm weiterzuziehen. "Komm jetzt, du Schleimer. Bedank dich bei unserem Architekten."

Doch schon ein paar Schritte später bleibt er mit einem Aufkeuchen stehen.

"Was?", frage ich überrascht und starre ihn an. Cole wiederum starrt auf unsere mächtige Treppe. Besser gesagt auf das breite Geländer.

"Ach du scheiße, das habe ich fast vergessen!", schreit er mir mit weit aufgerissenen Augen schon fast entgegen. Cole sieht mich an, als müsste ich mich genauso daran erinnern wie er es tut.
Perplex schaue ich zurück.

"Diese Treppe? Das Geländer?", versucht er mit hochgezogenen Augenbrauen und einem breiten Grinsen zu erklären. Wie um seine Worte zu unterstützen zeigt er auf das massive Treppengeländer aus Stein, das ungefähr so breit ist wie mein Unterarm.

Keine Ahnung, worauf dieser Verrückte hinauswill.

"Tut mir leid ich...", stottere ich noch immer ein bisschen verwirrt.
Ich werde allerdings unterbrochen, als sich Cole hinter mich stellt, seine Hände zwischen meine Schulterblätter drückt und mich zum Treppenabsatz schiebt.

"Also wenn du mich jetzt die Treppe hinunterschubsen willst muss ich als dein Gastgeber ehrlich sagen, dass ich das dezent unhöflich finde."

Hinter mir höre ich Cole lachen.
"Keine Angst, ich will nur alte Kindheitstraditionen wieder aufleben lassen.", erklärt er.

Ich will weiter nachfragen doch da stemmt er sich auch schon auf dem Treppengeländer hoch und setzt sich darauf.

Plötzlich erinnere ich mich wieder. Grinsend hebe auch ich meinen Körper auf das Geländer und setze mich hinter Cole.

Wie früher machen wir so etwas wie einen Countdown.

"Eins.", beginne ich lächelnd.
"Zwei.", sagt Cole grinsend.
"Drei!", rufen wir beide und rutschen das Geländer hinunter.

Lachend wie kleine Kinder.

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