fünfzehn

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Als ich vollkommen wirr an die kalte Januarluft hinausrenne, wabern in meinem Kopf tausend Erinnerungen herum, wie der Rauch der Zigarette aus meinem Mund.

Ständig sehe ich Josh vor mir, im letzten Herbst als wir anfingen, uns geheim zu treffen. Auf Partys in Abstellkammern, im Keller unter der Treppe in der Schule. Und dann dieser verfluchte Streit und die Prügelei und...

Wieso muss nur immer alles so schrecklich enden? Warum?

Genau wie damals mit Cole, alles wird scheiße und ich versage, verdammt. Ich tue einfach nichts. Zumindest nicht das Richtige.

Halb benommen trete ich nach dem Schnee, der am Boden herumliegt, und lasse ihn durch die Luft fliegen. Wut und Gewalt bringen doch auch nichts.

Ich vergrabe meinen Kopf in den Händen und lasse mich langsam auf einer Stufe nieder, die zu einem Badeteich hinabführt. Sie ist zwar arschkalt, aber wenigstens nicht voller Schnee.

So zusammengekauert sitze ich da und lasse mich von düsteren Gedanken übermannen.

Als ich hinter meinem Rücken kurze Zeit später Schnee knirschen höre, beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Sanft berührt jemand meine Hände und zieht sie von meinem Gesicht weg.

Cole.
Die leichte Enttäuschung, dass es nicht Josh ist, der mir nachgegangen ist, weicht sofort Wärme, als ich die Besorgnis und Traurigkeit in seinem Gesicht sehe, als er sich neben mich setzt.

Ich merke ihm an, dass er nicht weiß, was er sagen soll. Diese Schüchternheit kenne ich gar nicht an ihm, aber sie ist so ehrlich, dass mir ganz warm wird.

"Hallo du.", sage ich so leise, dass ich Angst habe, er könne es nicht verstehen.

"Willst du es mir erzählen?", fragt er. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, was es eigentlich ist, denn ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Daher seufze ich einfach leise.
Cole sieht mich offen an.

"Was ist zwischen dir und Joshua?", fragt er direkt, aber gleichzeitig sehr sanft.

Ich habe keine Ahnung, wie ich diese Frage beantworten soll.

"Ich hab mich ein bisschen umgehört. Ihr habt euch gegenseitig geschlagen, vor Weihnachten.", gesteht er und wendet seinen Blick ab. "Ich weiß, ich hätte das nicht von irgendwem erfahren sollen. Tut mir leid. Ich sollte nur so viel über dich wissen, wie du mir erzählen möchtest."

Ich schweige.

"Vorhin hab ich euch gesehen. Wie er dich angestarrt hat. Josh meine ich. Aber er hat nicht wütend ausgesehen, sondern traurig. Verletzt."

Auch ich wende meinen Blick ab.
Eine Zeit lang schweigen wir beide.

"In sechs Jahren kann viel passieren, weißt du?", sagt Cole plötzlich in die Stille hinein. Er sieht mich noch immer nicht an, als er leise weiterspricht.
"Vor zwei Jahren war ich mit jemandem zusammen. Einem Mädchen. Mein Vater war unheimlich froh, seit dem Kindergarten hatte er gedacht, ich sei schwul."

Ich kenne seinen Vater. Er ist ebenso liebevoll wie meiner.

"Naja, diese Beziehung hielt nicht besonders lange. Und die darauffolgende war irgendwie ...anders. Ich war Hals über Kopf verliebt."

Cole nimmt mir sanft die brennende Zigarette aus dem Mund und zieht selbst daran. Bei der Berührung an meinen Lippen bekomme ich eine Gänsehaut. Vielleicht auch nur von der Kälte.

"Jedenfalls, als ich mit dieser Person nach Hause kam, prügelte mich mein Vater grün und blau. Damals war ich mit einem Jungen zusammen."

Überrascht sehe ich auf. Cole auch, und unsere Augen treffen sich.

"Er hat mich nicht so gern gemocht wie ich ihn, anscheinend. Nach der Sache mit meinem Vater erklärte er es für beendet."

Endlich finde ich meine Stimme wieder. "Also bist du..?", will ich zögernd fragen, doch er unterbricht mich, bevor ich den Satz beenden kann.

"Ich bin bisexuell, die Gefühle für meine erste Freundin waren also nicht gespielt oder so.", erklärt Cole mit einem Seufzen.

Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. Mal wieder. Schweigsam betrachten wir eine Zeit lang die Sterne.

"Weißt du noch, als wir klein waren und du mir die Sternbilder erklären wolltest?", fragt Cole plötzlich lächelnd.

Ich lächle ebenso. Damals wollte ich Astronaut werden. Cole konnte sich die ganzen Sternbilder einfach nicht merken, die ich selbst im Schlaf beherrschte.

Als Kind hatte er so viele Sommersprossen im Gesicht, dass ich versuchte, Sternbilder darin zu erkennen. 

Nun betrachte ich sein Gesicht. Dasselbe Gesicht wie früher. Ich erkenne den Jungen darin, der mir schon immer so viel bedeutet hat.

"Du hast noch immer Sterne in deinem Gesicht.", sage ich leise, erstaunt über die Wärme in meiner Stimme.

Ich kann nicht anders, als meine Hand auszustrecken und vorsichtig seine Wange zu berühren, wo hellbraune Sommersprossen zu erkennen sind.

Obwohl meine Finger vermutlich ziemlich kalt sind, zuckt er nicht zurück. Cole sieht mich einfach mit großen braunen Augen an.

Also beginne ich, zu erzählen.

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