fünfundzwanzig

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Am Montag fahre ich mit dem Bus zur Schule. Für die kurze Fahrt verschanze ich mich in einer Ecke und verstecke mich unter einer Kapuze. Nur ein paar Strähnen sehen hervor.

Zu fuß will ich wegen meiner Schmerzen nicht gehen.

Und Cole werde ich schon noch früh genug sehen. Nach dieser ganzen Blamage am Wochenende habe ich generell keine große Lust, mit irgendjemandem zu sprechen.

Als ich durch die Eingangstür trete, um zu den Spinds zu gehen, streife ich beiläufig meine Kapuze ab.

Schon bemerke ich die ersten Blicke, dir mir auf meinem Weg folgen oder mir nachsehen.

Noah wartet bereits bei den Spinds auf mich. Er ist wohl mit einem früheren Bus gekommen.

"Guten Morgen, Kumpel. Nette Frisur. Steht dir gut, vor allem das Weiß.", begrüßt er mich lächelnd, bevor er seine Stimme senkt. "Aber sag mal, dein Gesicht... War dein Vater am Wochenende zuhause?"

Seufzend sieht er mich an, als auch ich in meinem Spind zu kramen beginne. Normalerweise bin ich schon schweigsam diesem Thema gegenüber, aber heute nicke ich nicht einmal.
Ich will ehrlich nicht darüber reden.

Am liebsten würde ich das gesamte Wochenende totschweigen.
Vor allem aber meinen kleinen Unfall am Samstag.

Auch Noah scheint zu verstehen, dass ich grade keine große Lust habe, seine Frage zu beantworten. Als eine Art zweiter Versuch, mit mir zu plaudern, wechselt er das Thema.

"Apropos Wochenende, wenn ich so darüber nachdenke fällt mir ein, was Liv am Samstag gesagt hat.", beginnt er mit einem Stirnrunzeln.
"Wenn ich mich recht erinnere meinte sie, dass sie schon wieder jemanden auseinanderreißen würde oder so?"

Fragend sieht er mich an.
Ich unterdrücke den Impuls, mein Gesicht in den Händen zu vergraben. Allerdings schätze ich es, dass mein bester Freund versucht, mich zu verstehen.

"Okay, ich lass es ja schon gut sein.", beendet er das Thema lächelnd.
Das schätze ich fast noch mehr an ihm.

Jetzt ist es an der Zeit, mal ein bisschen zuzuhören und ein ebenso guter Freund zu sein wie er es für mich ist.

"Erzähl mir von Emma.", wende ich mich nun wiederum an Noah. Als ich sehe, wie er zu grinsen beginnt, erwidere ich es mit einem Lächeln.

Es freut mich, dass er so gut drauf ist, auch wenn ich es gerade nicht bin. Aber es geht nicht immer nur um mich.

Darum lege ich mal meine schlechte Laune beiseite und ziehe Noah ein bisschen mit Emma auf, bevor er mir mehr von ihr erzählen kann.

"War ja echt ziemlich cool, wie du das Buch auf deinem klugen Köpfchen balanciert hast. Ich wette, das hat richtig Eindruck hinterlassen.", necke ich ihn schief grinsend.

Noah vergeht das Grinsen bei meinen Worten und wird stattdessen ganz rot im Gesicht. Frustriert stöhnt er auf und vergräbt das Gesicht in den Händen. "Oh Mann Lee, hör auf, mich zu ärgern. Ich bin sowieso immer der totale Idiot, wenn sie bei mir ist."

Ich grinse wieder. "Das ist doch nicht nur so, wenn du bei ihr bist."

Daraufhin sieht er mich durch seine Finger hindurch an und seufzt erneut. "Darum bin ich sonst immer nur mit Mädchen befreundet. Aber bei ihr funktioniert das irgendwie nicht."

Ich kann mir ein leises Lachen nicht verkneifen. Aber Noah sieht so ungewohnt verzweifelt aus, dass ich ihn schnell beruhigen möchte.

"Mach dir keinen Kopf. Sie mag dich sicher so, wie du bist. Zumindest hat sie dich auf der Party so angesehen.", sage ich beschwichtigend.

"Was? Meinst du wirklich?", fragt mich mein bester Freund mit weit geöffneten Augen. Auf seinen Lippen breitet sich langsam ein Lächeln aus.
"Ich sollte ihr einen schönen Tag wünschen. Ich wette, sie ist schon auf dem Weg in ihre Klasse. Da werd ich sie wohl vorher abfangen."

Kichernd schnappt er sich sein Zeug und knallt seinen Spind zu. "Wir sehen uns später, Kumpel. Wünsch mir Glück!", grinst er mich an und klopft mir auf die Schulter, bevor er an mir vorbeiläuft. Beinahe hüpfend verschwindet er den Gang hinunter.

Kopfschüttelnd sehe ich ihm nach. Noah ist verliebt, Noah ist verliebt, singt die Stimme meines Kindergarten-Ichs in meinem Kopf.

"Es sieht schön aus, wenn du lächelst.", unterbricht mich jemand, der sich anscheinend von der Seite angeschlichen hat.

Erschrocken wende ich mich der Stimme zu. Die Cole gehört, wem sonst. Sofort stürzen die schlechten Gefühle wieder auf mich ein. Mein Lächeln verschwindet. Kaum ist meine Laune ein bisschen besser, muss sie mir irgendjemand versauen. Na vielen Dank auch.

"Was?", frage ich mit einem genervten Stirnrunzeln. Zuerst ignorieren und dann so etwas. Genau was ich im Moment brauche.

Mit meinem angepissten Ton verletze ich anscheinend Coles Gefühle. Bei seinem schuldbewussten Gesichtsausdruck habe ich sofort ein schlechtes Gewissen.

"Es tut mir leid, Lee. Bitte sei nicht böse auf mich.", sagt er so flehend, dass ich mich zurückhalten muss, mich nicht auch sofort zu entschuldigen. Für was auch immer. Am besten für alles.

Schnell wende ich meinen Blick ab. "Warum hast du mich nicht angerufen? Oder wenigstens eine Nachricht geschrieben?"

Sofort durchzuckt mich der Gedanke, dass ich nicht so viel erwarten sollte. Was würde jemand wie er auch schon von mir wollen? Wieso sich wegen mir Sorgen machen?

"Tut mir leid, ich weiß, dass meine Probleme nicht deine sind." Kopfschüttelnd will ich mich wegdrehen und so schnell wie möglich verschwinden.

"Nein, hey warte!", sagt Cole und hält mich am Handgelenk fest. Die Berührung lässt mich aufsehen.

Schnell fängt Cole an zu sprechen, so als würde ich ihn sofort stehenlassen, wenn er nicht gleich alles erklärt.
Was ja auch irgendwie der Wahrheit entspricht.

"Ich hab dich nicht angerufen, weil ich weiß, dass es meine Schuld ist. Es tut mir leid, dass er dich verprügelt hat, es tut mir leid, dass ich nichts getan habe, es tut mir leid, dass ich wieder in deinem Leben bin, okay?"

Als er in mein angeschlagenes Gesicht sieht, verzieht er den Mund. Der Blick auf meine Schmerzen lässt seine Stimme brechen. Leiser und noch verzweifelter fährt er fort.

"Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich einfach von dir ferngehalten, aber das schaff ich wohl einfach nicht. Bitte sag, dass du mich nicht mehr sehen willst, dann kann ich wegbleiben und du bist besser dran."

Verzweifelt zieht er an meinem Handgelenk, das er noch immer festhält.

"Sag schon was.", fügt er noch hinzu. So bittend und leise und mit zitternder Stimme, dass alles in mir zum Chaos wird.

Ich sage gar nichts.

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