sechsundreißig

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Ein Klopfen, das von den Badezimmerwänden widerhallt, weckt mich. Ich bin wohl eingepennt. Am Boden. Wie ein fucking Idiot. Autsch.

Mühsam setze ich mich auf und sehe mich verwirrt um.

„Hey, Lee? Bist du da drin?", höre ich die fragende Stimme meines älteren Bruders James.

Mit einem schmerzhaften Stöhnen stehe ich auf. Alles tut weh. Mein Herz.

Als ich in den Spiegel sehe, will ich gleich wieder anfangen zu flennen.
Meine Haare stehen mir wirr vom Kopf ab, mein Gesicht überzieht ein Abdruck vom Teppich, auf dem ich grad geschlafen hab.

Meine Augen schwarz unterlaufen und ganz rot vom Weinen. Ja, Jungs weinen. Akzeptiert es. Und das liegt nicht dran, dass ich gay bin, okay?

„Muss ich die Tür aufbrechen?", fragt James besorgt.

Ich stelle mir vor, wie er - mein Möchtegern-Arztbruder, stets besorgt um alle, sogar traurig, wenn er ein Bienchen tötet (natürlich ohne Absicht) - wie ein Polizist mit einer Waffe in der Hand hereinstürmt. Lächerlicher Gedanke. Trotz meines miesen Zustandes muss ich beinahe schmunzeln. Obwohl ich nicht mal will. Meine scheiß Fantasie, ey.

Seufzend drehe ich mich um und schließe die Tür auf.

Als ich sie ein wenig öffne und der Spalt einen Blick auf meinen Bruder freigibt, der mich so besorgt ansieht, wie ich es gar nicht verdiene, fange ich wieder an zu weinen. Diesmal sind es stille Tränen, die meine Wangen hinabfließen.

Ich kann gar nicht anders. Wenn ich einmal am Tag begonnen hab, kann ich einfach nicht mehr aufhören. Ich bin zu sensibel. Der Lieblingsvorwurf meines Vaters since 2005.

„Du siehst scheiße aus.", murmelt James und zieht mich sofort in eine feste Umarmung. Wie ein Vater. Nein, viel besser: ein großer Bruder.

Nach ein paar Sekunden klopft er mir vorsichtig auf den Rücken.

„Komm mit, wir peppeln dich wieder auf, Leechen.", fordert er mich sanft auf und bugsiert meinen matten Körper irgendwie den Gang entlang in Richtung meines Zimmers.

„Ich bin kein Vogel, der gegen die Scheibe geflogen ist, Jamie.", protestiere ich schwach murrend. „Du musst mich nicht aufpeppeln."

Kurz wirft er im Gehen einen Seitenblick auf mich, als würde er meinen labilen Geisteszustand abchecken. „Das sehe ich aber anders."

Und weil er wie immer recht hat, beschwere ich mich nicht weiter und schmeiße mich einfach wie von James befohlen in mein Bett. Wo ich reglos liegenbleibe.

„Ich bin sofort wieder da. Beweg dich nicht vom Fleck.", befiehlt mir mein Bruder leise.

Wird mir nicht schwerfallen. So unternehmungslustig wie ich gerade bin, hab ich nicht mal Lust darauf, mich umzudrehen.

Nicht mal, als ich ein paar Minuten später das Öffnen der Tür höre.

Plötzlich spüre ich das Gewicht eines Menschen auf mir. „Alter!", schreie ich erschrocken auf. Es fühlt sich an, als wäre irgendjemand auf all meinen blauen Flecken gelandet und würde sie einzeln auch noch grün färben wollen.

Die sinnlose Hoffnung, dass es Cole sein könnte, die mich für eine Sekunde lang erfüllt, verschwindet, als ich meinen Kopf umdrehe. Liv liegt auf mir drauf und lächelt mich an.

„Du musst nicht so grob sein, Liv. Wir sollen ihn aufmuntern, nicht kaputtmachen.", murmelt Noah, der hinter ihr auftaucht.

„Keine Sorge, das kriegen wir hin.", grinst Livs Gesicht direkt vor meinem.

„Schwing deinen fetten Arsch von mir runter.", beschwere ich mich grummelnd. Empört schnaubend drückt sie ihr Gewicht noch ein paar Mal auf mich drauf. „Au, aua, geh runter!", jammere ich ihr stöhnend.

Um mich zu ärgern haut sie sich erneut auf mich. „Niemand beleidigt meinen süßen Hintern.", sagt Liv mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht.

„Keine Angst, dein Arsch ist nicht fett!", meldet sich Noah zu Wort. Unschlüssig steht er vor meinem Bett herum.

„Und die Tatsache, dass du ihn bewertet hast, lässt mich jetzt besser fühlen?", lacht Liv ihm entgegen. Sie will ihn aufziehen.

„Mann, das war nicht so... ich mein ja nur...", versucht Noah sich zu erklären. Es braucht schon einiges, um ihn so blöd stottern zu lassen. Das bringt mich fast ein bisschen zum Lächeln. Trotzdem, es ist Zeit, ihm zu helfen.

„So gern ich euch auch beim Streiten zuhöre, ich bin verwirrt. Was wird das hier?", unterbreche ich ihn.

Liv dreht sich von mir runter und legt sich neben mich. „Jamie hat uns geholt und gesagt, du könntest uns vielleicht brauchen."

„Ich bin extra aus der Bibliothek gekommen, so schnell es ging. Hab am Ausgang einen Opa umgerannt.", murmelt Noah leicht grinsend.

„Ja nein Noah, red keinen Scheiß, du warst ja nicht zum Lernen in der Bibliothek.", enttarnt ihn meine Schwester neckisch und sieht ihn vielsagend an. „Du wolltest dort doch nur deine Kleine treffen."

Noah verdreht kurz die Augen, wendet sich dann aber mir zu. „Egal, jedenfalls sind wir dein Aufheiterungskomitee." Zufrieden grinst er uns an.

„Wow, sei stolz auf deine Rolle als Aufheiterer." Jetzt ist es Liv, die ihre Augen verdreht. Allerdings lächelt sie und klopft aufs Bett. „Ja was ist, willst du den ganzen Abend da rumstehen? Setz dich her."

Noah zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich fragend an. Ich grinse und nicke ihm zu. „Jetzt setz dich schon, du Idiot. Bibliothek, mh?", ziehe auch ich ihn auf, als er sich auf meine andere Seite fallenlässt.

„Sei schon still.", grummelt Noah, wird aber rot. Grinsend schaue ich die beiden erwartungsvoll an. „Also, wo ist die Aufheiterung? Pizza, Eis, schlechte Filme, das volle Programm bitte."

Noah wechselt einen Blick mit Liv und lacht, bevor er mich ansieht. „Keine Angst, mein Freund, wir haben an alles gedacht."

Solche Freunde braucht man.

Hi Kids, habt ihr auch Freunde, die sogar ihr Date in der Bibliothek stehenlassen würden, wenn es euch scheiße geht? Wenn nicht holt euch welche, ist das beste das einem passieren kann.

Und sorry wegen meinen megaverspäteten Kapiteln, ohne Scheiß ich weiß nicht wieso ich manchmal kein einziges schreiben kann und dann sechs Kapitel auf einmal.

Aber jetzt bekommt ihr wieder regelmäßig etwas, promise :3

Und die wichtigste Frage zum Schluss: Liebt ihr Ben&Jerry's Eis? Nichts ist besser, wenn es einem Freund schlecht geht. Oder gut, Eis kann man immer essen.
see ya nono

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