46.Kapitel- Tattoo Ink

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"Pssst, Louise?" fragte Harry flüsternd von vorne, nachdem wir etwa zwei Stunden stillschweigend im Auto unterwegs waren. Er saß auf dem Fahrersitz vor mir, die eine Hand umschloss fest das Lenkrad, die andere lag locker auf der schmalen Armatur neben dem Fenster.  "Ja?" hauchte ich leise zurück, um Zayn nicht zu wecken, der auf dem Beifahrersitz eingeschlafen war.

"Bist du noch wach?" 

"Ja, so halbwegs." antwortete ich müde und setzte mich aufrecht hin.

"Unterhältst  du dich mit mir? Ich schlaf sonst glaub ich ein."

"Na klar. Erzähl mir was." Neugierig beugte ich mich nach vorn und stütze  meinen Kopf in die Hände. 

"Hmm, was denn?" fragte er und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

Ich dachte einen Moment nach und schaute aus dem Fenster, es herrschte völlige Dunkelheit auf dem Highway. "Darf ich dich was persönliches fragen?"

"Schieß los."

"Wie viele Frauen hattest du schon?"

Es war einen Augenblick still. Ich beobachtete im Rückspiegel, dass er die Backen aufplusterte, wie ein Kugelfisch und dann nachdenklich die Luft ausstieß. "Nächste Frage."

"Harry." ermahnte ich ihn vorwurfsvoll. Er wollte sich doch jetzt tatsächlich vor der Frage drücken. Und die interessierte mich wirklich!

"Also wenn du von einer wirklich ernsten Beziehung redest, dann nur eine. Wenn du von nächtlichen Besuchen redest... waren es weitaus mehr als zehn."

"Weitaus?" hackte ich nach.

Auf seinen Lippen bildete sich ein verschmitztes Lächeln. "Ein Mann genießt und schweigt."

Ich schüttelte grinsend den Kopf. So so, bei dem Thema schwieg er also, war aber mit 'weitaus' mehr als zehn Frauen im Bett gewesen. Ob er überhaupt noch die genaue Anzahl an Frauenbesuchen kannte?  Eigentlich passte dieses ganze Frauen-Aufreißen gar nicht zu Harry. Er konnte wirklich ziemlich liebenswürdig und treu sein.

Schließlich begann ich das Thema zu wechseln, denn ich wollte nicht, dass er mich auch über meine Beziehungen ausfragte. Dann musste ich wieder an meinen Ex-Freund denken, der mir damals mit den zwei Mädchen in seinem Bett so schmerzvoll das Herz gebrochen hatte. Ich schluckte und schob den Gedanken schnell wieder beiseite. Dann fiel mir die Gang wieder ein, die unser Leben so gewaltig aufmischte. "Gibt es noch irgendwelche geheimen Details, die ich über Mindless wissen sollte?"

"Über Mindless? Oh, da gibt es so viel zu erzählen." lachte er und ließ das Fenster einen winzigen Spalt herunter. Kühle Zugluft wehte in den Wagen. " Also die Gang wurde vor ein paar Jahren von Trevor und seinem Kumpel Ben gegründet, der ist allerdings schon tot. Er wurde bei einer Schießerei getroffen. Dazu kamen dann die anderen Mitglieder. Fast alle waren aus ärmlichen Verhältnissen, dem Ghetto oder von der Straße. Für sie war eine Gang der letzte Ausweg. Somit schafften sie sich eine neue 'Familie', ein Dach über dem Kopf und Geld. Ihr zu Hause wurde dann das Lagerhaus am Stadtrand. Dort schlafen sie immer noch nachts und leben alle zusammen, auch wenn das nicht immer gut geht." 

"Das heißt?" fragte ich neugierig.

"Sie prügeln sich um ihre Schlafplätze und das Essen. Und wenn jemand eine Frau mitbringt gibt es sowieso immer Stress, da die anderen sie auch wollen. Na ja, wie dem auch sei, das Geld bekommen sie über das Handeln mit Drogen, Waffen und Prostitution. Schon ziemlich heftig was die Typen das veranstalten, greifen sich die nächstbeste Tusse aus dem Club und verkaufen sie dann an Bordell-Stammkunden."

Ich schluckte. Was  manche Frauen - nun freiwillig oder unfreiwillig- über sich ergehen lassen mussten, war wirklich die Hölle. Was wenn man unfreiwillig mit einem Mann schlafen muss, dem man schutzlos ausgeliefert ist? Unvorstellbar.

Roadtrip with MalikWo Geschichten leben. Entdecke jetzt