Soixante - De 'tutta la famiglia'

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Nur zehn Minuten später erreichten wir das Dorf und wurden rasch vom Schneepflug losgelöst. Wir winkten noch dankend, was die Männer erwiderten, ehe sie weiterdüsten. Ich bog in die Strasse meiner Grosseltern ein und musste bald schon anhalten, weil überall Autos standen – irgendwie klar an Weihnachten.

«Wow», murmelte Harry und ich grinste nur schwach ab der Blechlawine. «Das ist immer so... fast immer... naja, es gibt eine verkorkste Geschichte um die Familie meiner beiden Eltern rum, die beide verbindet... willst du sie hören?» - «Ja, wenn... das nicht zu weit geht?» - «Okay, wir können noch kurz hier bleiben.»

Ich räusperte mich und knibbelte an der Trinkflasche rum, die Harry mir gegeben hatte. «Es ist so, dass mein Vater... bei dessen Eltern wir hier sind... ja auch Bernard heisst. Das ist so, weil meine Grosseltern väterlicherseits zeitweise zu wenig Geld hatten... und da meine beiden Grossväter an derselben Uni studiert haben, haben sie meinen Vater... zu meinen anderen Grosseltern geschickt; zuerst zusammen mit seiner Schwester in all den Ferien, später dann... für die Schulzeit. Das ist auch der Grund, weshalb ich Bernard nach meiner Mutter heisse und weshalb Papa ihren Namen angenommen hat – er gehört mehr der Familie Bernard an als Maman der Familie Faure.»

Harry nickte langsam, lächelte leicht. «Ich bin sicher, deine Eltern sind ganz besondere Menschen.» - «Ja... meine Grosseltern auch. Alle vier... Ach was, eigentlich meine ganze Familie. Sie hatten nur viel zu tun mit mir, denke ich.»

Harry schmunzelte und ich streckte ihm die Zunge raus. «Ich würde gerne deine Familie meiner gegenüberstellen, damit meine Cousins und Elaine lernen, was Familie heisst.» - «Machen wir das doch – lad deine Familie nach London ein... Platz genug hätte es ja? Feiern wolltet ihr doch eh nur mit den Familien.» - «Hm, da müssen wir Louis fragen, weil wir bei ihm feiern – er hat am meisten Platz – doch ich denke, das sollte klappen», schmunzelte Harry. Ich grinste. «Und weil es bei uns Tradition ist, mit der Familie Silvester zu feiern, wird sich auch keiner verzettelt haben. Oooh, und Fiz und Connor können ihren Neujahrskuss haben!» - «Und wir auch.» - «Stimmt...», murmelte ich mit roten Wangen. Es wäre mein erster.

«Komm, lass uns gehen...» - «Wie machen wir das mit Chico? Er humpelt sicher noch!» - «Ich hol einen Schlitten.» - «Was?»

Ich sprang aus dem Auto und stapfte durch den Schnee zur Garage meiner Grosseltern – Papy hatte ihnen mal ein Haus gekauft, wohl von seinem Lotto-Spiel; weshalb sie endlich auch schön wohnen konnten – und schnappte mir einen Kinder-Bob, womit ich wieder zurückstapfte. Es schneite jetzt etwas weniger fest, und doch konnte ich sehen, dass noch einiges vom Himmel fallen würde. Tja, Alpenwetter.

«Hier bin ich», grinste ich Harry entgegen und Harry schüttelte den Kopf – er sass neben Chico auf der Kofferraumkante und kraulte meinem Hund das Fell. Der hechelte aufgeregt und ich klopfte auf den Bob. «Komm, wir setzen dich hier rein, Chico. Harry, hilfst du mir?»

Zusammen hievten wir Chico in den Bob, wo er brav Platz machte. Dann nahm Harry unsere Koffer und ich meinen Rucksack, dann schloss ich das Auto. «Was müssen wir eigentlich wegen den Air-Bags machen?», fragte ich Harry, der nur mit den Schultern zuckte. «Frag einfach, vermutlich müssen neue rein und ein neuer Check muss gemacht werden.» - «Verdammt», grummelte ich und griff nach dem Seil, an dem der Bob hing. «Tja, das ist jetzt so und fertig. Mach dir keine Gedanken. Geht's?» - «Fragt der richtige», frotzelte ich, als ich sah, wie Harry die Koffer durch den Schnee trug. «Ist gar nicht so schwer», grinste er spitzbübisch und ich hob eine Augenbraue, sagte aber nichts mehr. Er war eh wie ich etwas durcheinander, denke ich.

«Hier sind wir», murmelte ich und betrachtete das grosse Haus, das in meiner Kindheit mein liebster Winter - und Sommeraufenthaltsort gewesen war. Immer noch war im Winter.

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